Durchkreuzte Lebenspläne
"Leben ist das, was passiert,
während du eifrig dabei bist andere Pläne zu machen."
(John Lennon)
Das kennen Sie sicher auch: wenn Sie voller Vorfreude auf etwas sind oder sich etwas fest vorgenommen haben - und dann kommt etwas Unerwartetes dazwischen. Das können kleine Dinge im Alltag sein, wie z. B. ein geplanter Ausflug, der wegen Regen "ins Wasser fällt". Aber auch unsere großen Lebenspläne und -wünsche werden manchmal durchkreuzt: wenn für den Traumberuf keine Ausbildungsstelle zu finden ist, wenn der Wunsch nach einem Kind nicht in Erfüllung geht, wenn eine Krankheit oder der Tod eines lieben Menschen unser Leben plötzlich total verändern.
"Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist andere Pläne zu machen." - das hat auch Maria hautnah erfahren: mit Josef verlobt, vielleicht mitten in den Hochzeitsvorbereitungen, mit der Vorstellung von einem ganz normalen Ehe- und Familienleben im vertrauten Dorf Nazareth. Und dann - passiert das: Etwas völlig Neues tritt in ihr Leben, schon mit dem Gruß des Engels "Du Begnadete, der Herr ist mit Dir." Diese Anrede passt so wenig zu dem Bild, das Maria von sich selbst hat, dass sie erschrickt. Sie beginnt zu überlegen, was das jetzt zu bedeuten hat. Genau das tun wir ja auch bei solchen unvorhergesehenen Ereignissen in unserem Leben: Wir versuchen das Neue mit dem Verstand zu erfassen. Wir vergleichen das Neue mit unseren bisherigen Erfahrungen und versuchen so die Konsequenzen abzuschätzen. Aber manchmal kommen wir damit nicht weiter: das Erschrecken bleibt.
Da wird Maria vom Engel ermutigt: "Fürchte dich nicht!" Doch wie er dann die von Gott gewollte Zukunft Marias beschreibt, klingt alles andere als beruhigend: statt des ganz normalen Familienlebens in Nazareth ein Kind, das "Sohn Gottes genannt wird"!?
Feste Vorstellungen loslassen
Darauf reagiert Maria auf zweierlei Weise ganz überraschend:
Zum einen zweifelt sie gar nicht daran, dass es so kommen wird, sondern fragt direkt nach dem "Wie". Sie hat ihre eigenen Pläne und Erwartungen schon losgelassen, sie stehen ihr und Gott nicht mehr im Wege. Maria kann sich erwartungsvoll und offen auf das Leben, auf Gottes Willen, auf eine ungewisse Zukunft einlassen. Allzu feste Vorstellungen loszulassen sind auch wir oft herausgefordert: sei es beim Traumberuf, der Planung des Ruhestands oder dem Wunsch nach einem perfekten Familienleben. Unsere engen Bilder loslassen: Nur so werden wir frei und offen für andere, neue Möglichkeiten, die unser Leben bietet. Nur so können wir selber erfahren, was Dietrich Bonhoeffer schrieb: "Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche."
Gott wirken lassen
Das zweite Überraschende an Marias Reaktion: Sie fragt nicht voller Tatendrang - wie mancher von uns das schnell tut: "Was soll ich machen?". Sondern ihre Frage lautet: "Wie soll das geschehen?" Und auch der Engel spricht nicht vom "machen", sondern von Gottes geheimnisvollem Wirken. Was ist Marias Aufgabe? Nichts machen, außer: geschehen lassen, Heiligen Geist über sich kommen lassen, sich von der Kraft Gottes erfüllen lassen.
Für uns Menschen, die gerne alles im Griff haben wollen, ist das eine große Herausforderung: statt zu machen zu lassen. Aber gerade in Situationen wie Krisen oder Krankheiten, in denen wir spüren, dass wir nicht mehr alles in der Hand haben, kann dieses "geschehen lassen können" befreiend wirken. Eine solche gelassene Haltung hat niemand von heute auf morgen. "Geschehen lassen können" wird in einem langen Prozess gelernt und will selbst dann immer wieder neu geübt werden. Dabei dürfen wir uns darauf verlassen, dass der Heilige Geist ja nicht nur in besonderen Menschen wie Maria wirkt. Gottes Kraft ist in jedem von uns lebendig wirksam.
Das bedeutet nicht, dass Lassen besser sei als Machen, oder gar, dass wir alles mit uns machen lassen sollten. Die Kunst besteht vielmehr darin wahrzunehmen, wann eher Handeln und aktives Gestalten angebracht ist und wann eher Zulassen und Gelassenheit.
Sich gegenseitig ermutigen
Sich selbst und seine Zukunft so vertrauensvoll Gott zu überlassen wie Maria - das klingt vielleicht abgehoben und riskant wie ein Seiltänzer ohne doppelten Boden.
Aber Gott lässt Maria - und uns - nicht "in der Luft hängen". Ungefragt weist der Engel Maria auf ihre Verwandte Elisabeth hin: Maria ist nicht allein, da gibt es eine Seelenverwandte! Der geht es ganz ähnlich und sie ist Maria sogar zeitlich voraus. Deren Zukunftsperspektive sah bisher auch ganz anders aus. Aber Gott stört sich nicht an irgendwelchen Etiketten wie "die Unfruchtbare". Darin zeigt sich Gottes unfassbare Weite und sein Wille zu geglücktem Leben für uns Menschen. Auch Elisabeth lernt gerade sich auf ein völlig neues Leben einzulassen und sich dabei Gottes Wirken anzuvertrauen.
Auch uns stellt Gott solche "Verwandte" an die Seite, vielleicht auch dort, wo wir es erst gar nicht vermuten. Wenn wir entdecken, wer ähnliche Wege geht, dann können wir uns gegenseitig ermutigen, uns auf Unerwartetes einzulassen. Dann können wir leichter wie Maria Ja sagen zu Gottes Willen für unser Leben und unsere Zukunft. Dann können wir lernen, Gottes Wirken an uns zu-zu-lassen mit den Worten: "Mir geschehe."
© Claudia Simonis-Hippel, in: Bernhard Krautter/Franz-Josef Ortkemper (Hg.), Gottes Volk Lesejahr B/2012. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2012..