Mein Kalender
Der Kalender ist mit jedem Tag dünner geworden und heute sind wir beim letzen Blatt des Jahres. Voll geschrieben und abgestoßen, mit Eselsohren, Streichungen und Kaffeeflecken liegt der alte erschöpft auf dem Schreibtisch. In der Schublade lauert schon neu und unschuldig sein Nachfolger, bis jetzt noch ein unbeschriebenes Blatt, denk ich.
Der alte dagegen bläht sich gesprächig auf und erinnert an schöne Begegnungen, unliebsame Termine, an Abschiede, Alltagsforderungen und freie Zeiten. Ich blättere in meinem alten Kalender herum und das auslaufende Jahr nimmt noch einmal Gestalt an. Das ist ja auch schon wieder ein Jahr her und das muss schon vor zwei Jahren gewesen sein und doch noch so nahe! Und diese Notiz hatte ich schon ganz vergessen. Das war ja erst in diesem Jahr! Dabei wird mir klar, die Eintragungen im Kalender sind nur Fakten und Termine und dazu gehören Geschichten, die noch etwas ganz anderes aussagen.
Den Geschichten nachgehen
Geschichten sind noch etwas ganz anderes als die reinen Fakten im Kalender. Da spielen auch die Gefühle und inneren und äußeren Erlebnisse eine ganz große Rolle. Mit welchen Gefühlen bin ich hineingegangen in diese Termine, was hat mich dabei umgetrieben, wie habe ich mich darauf eingelassen? Und wie war die Durchführung? Wie habe ich mich dahinter geklemmt oder auch nicht, damit es gut hinausgeht für mich, für andere, für uns alle?
Und dann mein Gefühl danach: Dankbarkeit - Enttäuschung - Überraschung?
Und wie ging es mir mit den Terminen, die nicht vorher in den Kalender eingetragen waren, sondern die ungefragt einfach plötzlich da waren: ein Krankheit, ein Unfall oder sogar der Tod eines bekannten, eines lieben Menschen?
Und wie ging es mir mit Dingen, die mir so passiert sind, oder wo so klar mein Egoismus ausgebrochen ist und ich andere verletzt habe?
Und wie sehe ich Ereignisse, in denen ich einfach reich beschenkt worden bin ohne dass ich etwas dazu getan habe?
Ich merke, die zu den Terminen im Kalender gehörenden Geschichten haben das Jahr unwahrscheinlich reich gemacht. Und sie haben mich reich gemacht, beileibe nicht nur die positiven, auch manche dunkle Termine haben zum Reifen meiner Person viel beigetragen. So gesehen werde ich sehr dankbar auf dieses Jahr zurückschauen und mich wundern, wozu der Mensch allem fähig ist.
Vor Gottes Angesicht
Noch einmal eine ganz andere Dichte bekommt mein Kalender 2008, wenn ich ihn vor dem Angesicht Gottes anschaue:
Ich spüre, dass dieses Jahr nicht mein Produkt war, dass es sich nicht aus Gewinn und Verlust, aus Erfolg und Misserfolg zusammensetzen lässt.
Ich spüre, dass Gott mit mir diesen Weg gegangen ist. Dass er mich nicht allein gelassen hat, sondern mich immer wieder bei meinem Namen gerufen hat und mir gezeigt hat, worauf es im Leben tatsächlich ankommt: nämlich auf die Liebe. Und Gott ist die Liebe, sagt uns Johannes. Und darum suche ich gern nach der Quelle der Liebe.
Auch an den Stellen, wo ich meinte, Gott hat mich im Stich gelassen, wo nur eine Spur im Sand meines Lebensweges zu sehen ist, werde ich entdecken dürfen, dass es die Stellen im Jahr waren, wo mich Gott getragen und geschleppt habe, bis ich wieder Fuß fassen konnte.
Dieses vergehende Jahr hinstellen vor Gottes Angesicht, lässt mich staunen, was Er und Ich alles fertig gebracht haben. Und auch bei dem, was wir nicht fertig gebracht haben, bleibt er an meiner Seite. Alles Gründe, für dieses Jahr sehr, sehr dankbar zu sein und Gott zu loben und zu preisen. "Der Herr krönt das Jahr mit seinem Segen."
Ausblick auf das Neue Jahr
Im Blich auf das neue Jahr 2009 hab ich mich natürlich gewaltig getäuscht, als ich meinte, der neue Kalender warte noch ganz unberührt und rein und sauber in der Schublade, bis er heute Nacht um 12 Uhr herausgezogen wird.
Der ist schon oft heraufgezogen worden. Da hat sich schon mancher Termin eingeschlichen und ich erinnere mich, dass es ein besonderes Gefühl war, im neuen Kalender jetzt schon etwas einzutragen.
Die Betrachtung des vergehenden Jahres sagt mir im Blick auf das kommende Jahr: Die Fakten sehen und kommen lassen. Sie allein sind nicht alles.
Gespannt und offen sein auf die Geschichten, die diese Fakten beinhalten und reich machen werden.
Und auf Gott setzen, dass ich alles, wirklich alles, vor sein Antlitz bringen darf, was da kommen wird.
Schließen möchte ich mit dem Satz:
Der Mensch hat ungeahnte Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten;
ganz zu schweigen von den ungeahnten Möglichkeiten, die Gott mit uns Menschen hat, unser Leben zu gestalten.
Darum ist glücklich und selig zu preisen, wer sich traut, mit Gott zusammen heute Nacht ins neue Jahr hineinzugehen.