Maria Magdalena
Maria Magdalena schafft es gerade hochmotiviert und überaus hübsch ins Kino – haben Sie den Film schon gesehen? In der fachmännischen Kritik heißt es: „Die junge, unangepasste Frau bricht aus der patriarchalischen Enge ihrer Familie und Dorfgemeinschaft aus (man denkt bei diesen Anfangsszenen unwillkürlich an muslimische Frauen im Nahen Osten heute), schließt sich dem Outsider Jesus an, erfährt bei ihm Achtung ... und findet durch ihn zu einer befreienden Spiritualität und einem Leben tätiger Barmherzigkeit. So ist sie am Ende nicht nur diejenige, die ihm bis in den Tod treu bleibt, sondern sie wird auch die erste Zeugin seines neuen Lebens und Predigerin eines Glaubens an Christus, der den Tod überwindet. Dabei schreckt sie nicht davor zurück, mit mächtigen Männern zu streiten – ihrem Vater, dem Bruder oder mit Petrus ... Die weibliche Hauptfigur stiftet so eine schöne Sensibilität für den »liberalen« Jesus, und schenkt eine Ahnung dafür, dass ein christlicher Glaube auch heute noch möglich ist.“
(https://www.epd-film.de/filmkritiken/maria-magdalena)
Sie werden, wenn Sie den Film gesehen haben, schon die passenden Worte für ihn finden. Dass Jesus liberal gewesen sein soll, ist eine schöne moderne Sehnsucht. Dass die weibliche Hauptfigur – in einem Film unerlässlich – eine schöne Sensibilität stiftet, wird vielen gefallen. Dass ein christlicher Glaube auch heute noch möglich ist, ist für den Kritiker auch nur eine Ahnung. Was kann ein Film darstellen? Was nicht? Und was sehe ich dann?
Im Evangelium wird uns eine Gewissheit geschenkt. Die Gewissheit, dass Jesus auferstanden ist. Dabei wiegen die letzten Worte schwer: „Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.“
Laufen und gehen
Die letzten Worte im Evangelium wiegen deshalb so schwer, weil eigentlich nur erzählt wird, dass das Grab leer ist. Der Stein ist weggerollt. Maria, die frühmorgens am ersten Tag der Woche – „als es noch finster war“ – zum Grab kommt, entdeckt das als Erste. Ist das Ostern? Schon Ostern? Der weggewälzte Stein kann alles heißen, nur nicht automatisch, dass Jesus auferstanden ist. Was muss man eigentlich wissen, um die Auferstehung Jesu glauben zu können?
Wenn wir in der Geschichte bleiben, die der Evangelist Johannes überliefert, überraschen zunächst einmal Verben: laufen und gehen. Alles gerät in Bewegung. An diesem Morgen. Maria rennt zu Petrus und Johannes, hier „der andere Jünger“ genannt. Petrus und Johannes gehen dann hinaus und kommen zum Grab. Nach der laufenden und atemlosen Maria scheinen es die beiden Herren nicht so eilig zu haben. Maria hatte doch auch nur geäußert, dass sie – wer auch immer das sein mochte – Jesus weggenommen haben. Elektrisiert hat das die beiden wohl nicht. Oder doch? Dann nimmt die Geschichte plötzlich Fahrt auf: die beiden Jünger laufen um die Wette. Der „andere Jünger“ ist wohl etwas schneller, lugt auch schon ins Grab, lässt Petrus dann aber den Vortritt. Eine Ehrenbezeugung? Vielleicht. Was die beiden sehen? Nicht viel: Leinentücher. Totentücher. Auffällig nur, dass das Schweißtuch, das den Kopf bedeckte, sorgfältig abgenommen schien und säuberlich zusammengerollt in einer Ecke liegt. Nach Flucht sieht das nicht aus. Auch nicht nach einer Entführung. Und warum hätten die Unbekannten das so machen sollen, wenn sie Jesus weggenommen hätten, wie Maria erst dachte? Nein, es muss etwas passiert sein. Von langer Hand vorbereitet? Manchmal ist es ein Detail, das eine Spur legt. Warum nur ist das Schweißtuch Jesu so liebevoll zusammengerollt, achtsam gehortet? Das Grab ist leer – nur warum? Maria rennt, am Ende laufen auch die beiden Jünger um die Wette – doch ganz am Ende heißt es im Evangelium: „Da gingen die Jünger wieder heim“.
Geschlagen, verwundet, getroffen
Es ist eine schnelle Geschichte geworden. Die Spannung wird sichtbar, doch auch das ratlose Schweigen. Ließe sich das in einem Film darstellen, ohne peinlich berührt zu sein? Zugegeben: Das Evangelium ist kein Film. Aber was wir darstellen können, sind Menschen, die traumatisiert und verängstigt sind. Schnelle Schnitte sind dann nicht angezeigt. Eher einfühlsame Szenen, die nachzeichnen, wie der Tod in das Leben einbricht. Maria kommt ja zu einem frischen Grab. Gestern erst verschlossen. In einem Garten. Josef von Arimathäa und der Schriftgelehrte Nikodemus haben Jesus gesalbt und in Leinentücher gewickelt. Ein letzter Liebesdienst. Aber das Kreuz, an dem Jesus aufgehängt wurde, steht noch. Maria hat das Bild im Kopf. Es geht ihr auch nicht aus dem Sinn. Auch nicht an diesem Morgen. Sie ist eine Geschlagene, Verwundete, Getroffene.
Viele Menschen sind geschlagen, verwundet und getroffen. Kurz tauchen sie im Fernsehen auf. Wenn wieder einmal von einem Bombenangriff berichtet wird, wenn Bilder von der Flucht gezeigt werden, wenn ein Terroranschlag die Nachrichten okkupiert.
In Frankreich denken viele Menschen an einen Polizisten, Arnaud Beltrame, der sich letzte Woche bei einem Attentat im südfranzösischen Städtchen Trèbes selbst als Geisel im Tausch für das Leben einer Frau anbot. Der islamistische Attentäter ging auf den Tausch ein; kurz darauf erschoss er Beltrame. Der Tod feiert ein Fest – und viele Menschen richten es ihm aus. Die Aktien der Rüstungsunternehmen stehen gut. Daten sind käuflich – und Menschen auch. Nicht nur Waffen, auch Worte, Schlagzeilen, Vorurteile treffen Menschen hart. Viele können sich nicht wehren, viele schweigen. Viele fressen die Wut in sich hinein.
Viele werden zu Schatten ihrer selbst. Ich freue mich immer, wenn sie aufstehen – und ihren Widersachern keine Rache entgegenbringen. Selbstverständlich ist das nicht. Aber ist Bitterkeit, Trostlosigkeit, Angst – selbstverständlich? Es ist schon bemerkenswert, wie die Geschichte von Maria tatsächlich verfilmt wird. Es ist nicht das große Kino. Eher Format Tagesthemen. Eine Reportage. Eine Talkshow. Wenn wir die vielen Bilder nebeneinander stellen, die vielen Gesichter an uns heranlassen, gleicht das jenem Morgen, von dem der Evangelist erzählt: „als es noch dunkel war“.
Frühmorgens
Als es noch dunkel war... Der Evangelist erzählt die Ostergeschichte als eine Geschichte in der Frühe des ersten Tages. Der erste Tag – das ist der Tag der Schöpfung, nein, nicht der ganzen: der Tag des Lichts, das die Finsternis abtrennt. Jetzt erst ist Dunkel Dunkel, jetzt erst wird Tag Tag, jetzt erst wird Leben Leben. Nach dem ersten Tag kann die Welt Welt sein, Schöpfung Schöpfung, Mensch Mensch. Ostern ist der erste Tag! Wir sehen die Sonne aufgehen. Und das Leben siegt.
In der Frühe sind die zurückgelassenen Leinentücher, das sorgsam und liebevoll zusammengelegte Schweißtuch Indizien, dass Jesus nicht mehr im Reich des Todes zu Hause ist, sondern ihn überwunden hat. In alten Geschichten wird sogar von Jesu Höllenfahrt erzählt. Jesus bringt die Hölle zum Einsturz, durchbricht ihre Dächer und Mauern – und führt alle hinaus, die vom Tod gefangen gehalten werden. Ob sich das in einem Film zeigen lässt? Im Fernsehen? Auf YouTube?
Vielleicht viel einfacher als geahnt: Ich sehe Menschen, die eine Kette bilden. Friedlich. Sie protestieren gegen den laxen Umgang mit Waffen. Ich sehe Menschen, die mutig, vielleicht auch kompromisslos, in Kirchen ein Asyl einrichten. Ich sehe Menschen, die es satt haben, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und alte Kulturen vor die Hunde geraten. Ich sehe viel... Ich sehe auch über Vieles hinweg. Meistens sehe ich nicht, dass immer, wenn das Dunkel weicht, ein österlicher Tag aufgeht. Vielleicht habe ich die Auferstehung Jesu auch noch nicht verstanden? Könnte doch sein, wo es doch von den Jüngern heißt: „Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.“
Petrus, übrigens, wird in seiner Osterpredigt – die wir in der Lesung gehört haben - , sagen: „Gott aber hat ihn – Jesus - am dritten Tag auferweckt und hat ihn erscheinen lassen, zwar nicht dem ganzen Volk, wohl aber den von Gott vorherbestimmten Zeugen: uns, die wir mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken haben. Und er hat uns geboten, dem Volk zu verkündigen und zu bezeugen: Das ist der von Gott eingesetzte Richter der Lebenden und der Toten.“
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.