Worte und Taten
Dem Seelsorger Matthäus kommen die Worte Jesu im heutigen Evangelium wie gerufen. Denn er kann an ihnen aufzeigen, welche Gesinnung, welcher Geist in einer christlichen Gemeinde und in jedem Gläubigen herrschen soll. Zwar gebraucht Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten als warnendes Beispiel, aber es wird nicht unbedacht, sondern bewusst eigens erwähnt, dass Jesus sich an "das Volk und seine Jünger" wendet. Sie und wir sollen überprüfen, wie es um uns steht.
Drei Bereiche zum Nachdenken greift Jesus heraus.
In einem ersten Punkt geht es um die Frage, ob unser Reden mit unseren Taten übereinstimmt.
Moses hatte als erster durch die Niederschrift der Zehn Gebote die Glaubensinhalte des Volkes schriftlich festgehalten. Die danach entstehenden Texte des Alten Testamentes entfalteten auf der Grundlage der Zehn Gebote den Glauben Israels eigentlich nur weiter. Sie zeigen an vielen Einzelbeispielen, wie der Glaube an Jahwe gelebt werden soll. Die Schriftgelehrten und Pharisäer trugen wesentlich dazu bei, dass die Inhalte des jüdischen Glaubens im Volk bekannt wurden und bewusst blieben. Diesen positiven Anteil der Pharisäer und Schriftgelehrten zu sehen, ist Jesus wichtig. Er möchte nicht, dass niemand mehr auf das hinhört, was sie sagen und verkünden, nur weil menschliches Versagen bei ihnen zu finden ist.
Den Hinweis Jesu, die Worte der Pharisäer zu bedenken und zu achten, obwohl ihre Lebensführung nicht tadellos ist, halte ich für sehr wichtig. Denn wohin würden wir in unserer Kirche, in unseren Gemeinden geraten, wenn die Botschaft Gottes nur noch von denen verkündet werden dürfte, die ein untadeliges Leben führen. Welcher Christ ist so vollkommen, dass er stets und immer den ganzen Willen Gottes verwirklicht. Alle, die das Wort Gottes weitersagen und weitergeben - Papst, Bischöfe, Priester, Diakone, Eltern, Lehrer, Katecheten, Ehepartner -, müssen doch von sich sagen: Höre auf das, was ich dir sage, schaue nicht auf meine Taten!
Wir sollen durch die Worte des heutigen Evangeliums aufmerksam werden, uns nicht dazu verführen zu lassen, den Worten anderer keinen Wert mehr beizumessen, sobald wir entdecken, dass ihr Handeln nicht voll mit ihrem Reden in Einklang steht. Natürlich ist es einfacher, auf den zu hören, dessen Reden und Handeln übereinstimmen. Aber an dieser Stelle sollten wir uns schon noch einmal bewusst machen: Auch der Versager, der Sünder kann Richtiges sagen, auf Gutes und Wichtiges aufmerksam machen. Jesus jedenfalls legt uns an Herz: Hört auf das, was sie sagen, auch wenn ihr Handeln zu bemängeln ist. Euch selbst aber überprüft, ob eure Worte mit euren Taten übereinstimmen.
Schwere Lasten
Den zweiten Punkt benennt Jesus mit dem Satz: "Sie binden den Menschen Lasten auf." Jesus kritisiert nicht, dass auch die Pharisäer Menschen sind mit Versagen, Verfehlungen und Sünde. Das hätte er ertragen, wie bei allen anderen. Aber er kämpft gegen die Haltung der Pharisäer, die als religiöse Lehrer und Führer des Volkes den Menschen Gebote und Satzungen aufbürdeten, die sie rigoros einforderten ohne Rücksicht auf den einzelnen Menschen und dessen Lebensumstände.
Jesus will, dass der Glaube den Menschen aufrichtet und erhebt. Damit soll nicht gesagt werden: Glaube dürfe nie etwas mit Last oder Mühe zu tun haben. Aber Last und Mühe müssen dem Glück und Wohl des Menschen dienen. Und alle Forderungen müssen die Lebensumstände des einzelnen Menschen im Blick behalten.
** Wie leicht ist es für jemanden, der von seiner Familie, den Freunden und Kameraden angenommen und geliebt ist, wieder zu lieben und damit das Gebot der Liebe einzuhalten. Aber welche Last trägt der Mensch, der bereits als Kind nicht gewollt wurde, immer wieder abgelehnt und abgeschoben wurde. Wie soll er mit der Liebe zum Nächsten zurechtkommen? Darf man von ihm rigoros das gleiche Maß an Liebe fordern?
** Wie leicht ist es für jemanden, Sonntag für Sonntag mit dem Ehepartner oder gar der ganzen Familie den Sonntagsgottesdienst zu besuchen, im Vergleich zu jenem, der jedes Mal eine Familientragödie heraufbeschwört, wenn er nur die Absicht äußert, zur Kirche gehen zu wollen. Darf man von ihm in gleicher Weise die Einhaltung des Sonntagsgebotes erwarten oder fordern?
** Wie einfach ist es für jemanden, an Gottes Güte und seine Liebe zu glauben, wenn es ihm gut geht und er die Nähe Gottes öfter erfahren hat. Aber wie viel Mühe muss der in seinem Glauben aufwenden, dessen Leben mit Schicksalsschlägen nur so gepflastert ist, der sich von Gott und den Menschen völlig im Stich gelassen fühlt. Welches Ausmaß an Gottesliebe darf man von ihm erwarten?
** Wie leicht kann der verzeihen, dessen Ehre wiederhergestellt wurde im Vergleich zu dem, dessen Zukunft durch Verleumdung so gut wie ruiniert ist.
Jesus will, dass wir in unseren Forderungen an die anderen nicht rigoros sind und ihnen damit Lasten auferlegen, die an den Lebenssituationen und Lebensverhältnissen des einzelnen vorbeigehen. Er will nicht, dass wir an anderen ständig herumzerren, sie mit Vorhaltungen bedrängen oder nicht Leistbares von ihnen fordern. Dem anderen einen Hinweis geben, ihn aufmerksam machen, ihn vorsichtig und einfühlsam ermahnen, das ist in Ordnung. Aber zu mehr sind wir nicht berechtigt. Bevor wir uns allzu lange damit aufhalten, im Leben der anderen herumzuwühlen und negativ Kritik üben, sollten wir uns vielmehr darauf konzentrieren: Wie könnte ich dem anderen helfen, in seinen Lebenssituationen und Lebensbrüchen durch den Glauben aufgerichtet und getragen zu werden.
Ehrenplätze
Im dritten Punkt nimmt Jesus die menschliche Eitelkeit in den Blick.
Jesus bemerkte, wie die Pharisäer nach den Ehrenplätzen schielten und eingeschnappt waren, wenn man sie übersah. Wahrscheinlich hätte Jesus auch das als eine menschliche Schwäche ertragen; jeder sehnt sich nach Anerkennung und Wertschätzung. Aber was Jesus ablehnt, ist die Haltung der Pharisäer, dass sie nicht als Glaubensbrüder begrüßt werden wollen, die mit den anderen auf gleicher Stufe vor Gott stehen. Die Pharisäer sehen sich als die Besseren, als solche, die von Gott mehr geliebt und daher bevorzugt werden. In diesem Gefühl, die Lieblinge Gottes zu sein, fordern sie für sich die Ehrenplätze, diktieren und befehlen sie. Anstatt zu dienen herrschen sie.
Im Hinweis zum dienen - und damit zur Demut - zeigt uns Jesus den Weg, den wir gehen sollen. Er fordert nicht Sündelosigkeit von uns, aber dass wir uns alle Mühe geben, in einem hohen Maß den Willen Gottes zu verwirklichen, damit unser Reden und Handeln nicht einen völligen Widerspruch darstellen. Jesus will, dass wir den Mut haben, uns nicht mit weißer Weste zu präsentieren und besser darzustellen als wir sind. Aufrichtig und ehrlich sollen wir leben.
Dienen bedeutet für Jesus vor allem: Jedem die Barmherzigkeit, Güte und Liebe Gottes verkünden und zugestehen. Wir alle haben in Gott einen gütigen Vater und in seinem Sohn einen barmherzigen Herrn und Meister.
Und wer sich eine dienende Haltung erworben hat, der wird sich auch von einem Sünder, von einem komplizierten und schwierigen Menschen oder von jemandem mit dunkler Vergangenheit etwas sagen lassen. Denn gerade Menschen mit gebrochenem Leben und eigenen Schulderfahrungen begreifen von Gott und seiner Barmherzigkeit oft mehr als die so genannten Gerechten.
Jesus zielt mit seinen Worten also nicht darauf ab, die Pharisäer lächerlich oder madig zu machen und uns am Ende gar dazu zu verleiten, dass wir uns über sie erheben. Es geht Jesus darum, uns am Verhalten der Schriftgelehrten und Pharisäer ein Beispiel zu liefern, wovor wir uns unbedingt hüten und was wir besser machen sollen:
- Unsere Reden und Handeln in hohem Maß in Einklang zu bringen
- Den Nächsten nicht überfordern
- Sich bewusst bleiben, dass Gott alle ohne Ausnahme in seine Liebe einschließt
Missachten wir Jesu Einladung zur Besinnung an uns nicht. Er ringt mit uns um ein Menschsein, das von Liebe, Wohlwollen und Güte geprägt ist.
Manfred Wussow (2005)
Regina Wagner (1996)