Kalte Dusche
Am 2. Weihnachtstag stellt uns die Kirche vor eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie stellt uns die Frage, inwieweit wir dem Kind in der Krippe, Jesus Christus, folgen wollen.
Wie eine kalte Dusche mitten in die Gemütlichkeit dieser weihnachtlichen Tage wirkt das Fest des Hl.Stephanus und die gehörten Texte des Neuen Testamentes. Eine kalte Dusche ernüchtert, kann darum auch heilsam und befreiend sein. Im Evangelium warnt Jesus seine Jünger hellsichtig, dass sie sich vor den Menschen in Acht nehmen sollen, weil sie diese vor Gericht bringen und in den Synagogen auspeitschen werden.
Diese knallharte Aufforderung zur Wachsamkeit vor den Menschen wird uns ausgerechnet am Tag nach Weihnachten zugemutet, an dem uns die Botschaft von der Menschenfreundlichkeit Gottes verkündet worden ist, und was wir in den Weihnachtsliedern auch heute besingen, die Ehre Gottes und den Menschen Frieden. Wie verträgt sich das miteinander? Die Ausrufung einer Menschenfreundlichkeit von Gott her, der ja aus dieser Freundlichkeit und Liebe selbst Mensch wird in Jesus Christus, und die Warnung Jesu: nehmt euch vor den Menschen in Acht?
In den Fußstapfen Jesu
Exemplarisch stellt sie uns einen Menschen vor Augen, der als Diakon gewählt und als streitbarer Ansprechpartner der Zeitgenossen sich in die Fußstapfen Jesu begibt. Angefeindet. Opfer einer Hetzkampagne (vgl. Apg 6,11-14). Und doch wortgewaltig und überzeugend. In seiner feurigen Rede (Anmerkung: diese ist in der Leseordnung ausklammert; vgl. Apg 7,1-53) führt Stephanus aus, wie sehr das Gottesvolk immer wieder die Rettergestalten, die Gott ihnen schickt, ablehnt - und damit auch das Heilsangebot Gottes.
Stephanus schenkt seinen Zuhörern nichts. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund, was durchaus damals so üblich war. Er bezeichnet sie als "Halsstarrige, die sich mit Herz und Ohr immer wieder dem Heiligen Geist widersetzen" (vgl. Apg, 7,51). Er nennt sie Verräter und Mörder. Kein Wunder also, dass diese aufs äußerste über ihn empört waren. Die Spaltung zwischen Judentum und urchristlichen Gemeinde ist im Gange.
Der Hörer wird bemerkt haben, dass es Parallelen zwischen dem Weg Jesu von seiner Verurteilung bis zu seinem Kreuz gibt. Der Verfasser der Apostelgeschichte, Lukas, hat dies sehr bewusst so konstruiert. Hier geht es tatsächlich um die Nachfolge Jesu. Bis zu seinem bitteren Ende.
Aus der Idylle in die Realität
Die Krippe ist der Ort, wo die Hoffnung zur Welt gekommen ist. Der Ort, an dem das Licht der Welt geboren worden ist. Der Ort aber auch der Entscheidung: Mensch, der du vor mir stehst, bist du bereit, mir nachzufolgen? Auch dann, wenn die Kerzen auf dem Christbraum erloschen sind? Auch dann, wenn es für dich ungemütlich wird, du angefragt wirst, manchmal auch belächelt oder gar runtergemacht wirst, weil du dich mit Eifer für mich und Gottes Reich einsetzt?
Mensch, der du vor mir stehst, oder möchtest du dich lieber mit einer oberflächlichen Beziehung mit mir begnügen? So im Sinne: Nützt es nichts, so schadet es nichts. Du bist Christ, weil alle Christen sind. Aber dich und dein Leben berührt das wenig. - Bist du so einer?
Stephanus hatte einen starken Glauben. Doch er war auch erfüllt vom Heiligen Geist, voll Gnade und Kraft. So weiß es zumindest der Verfasser der Apostelgeschichte, Lukas, über ihn auszurichten. Das ist der Grund, warum Stephanus zu einem solchen Zeugnis fähig war.
"... worin auch immer Gottes Macht bestehen mag, der erste Aspekt Gottes ist niemals der des absoluten Herrn, des Allmächtigen. Vielmehr ist es jener Gott, der sich auf unsere menschliche Ebene begibt und sich Grenzen auferlegt." (Jacques Ellul: Anarchy and Christianity) zitiert der Autor in seinem Roman "Die Hütte". Dieser menschgewordene Gott, der sich selbst Grenzen auferlegt, führt den Menschen an seine Grenzen und mutet ihm diese zu.
"Macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt."
(Mt 10,19)
Das heutige Fest holt uns wieder in die Lebensrealität. Es gibt Widerstand. Es gibt Menschen, die mit einem Böses im Sinn haben. Es gibt Momente der ungerechten Behandlung, sogar des Gerichtes. Vielleicht kennen auch wir das aus unseren eigenen Erfahrungen. Zwischen den Zeilen können wir aber von einem großen Vertrauen lesen. Vertrauen, dass, was auch immer auf einen zukommt, und sei es das Gericht oder der zu erwartende Tod wie bei dem Heiligen dieses Tages oder was auch immer, was Angst macht oder uns meinen lässt, am Ende zu sein, dass da einer längst schon mit seiner Hilfe, dem Geist eures Vaters, wird er im Evangelium von Jesus genannt, entgegengekommen ist. Darin erweist sich erst recht die Menschenfreundlichkeit Gottes. Sie führt uns aus der Enge in die Weite. Und dank diesem Geist sind wir zu Großem befähigt.
Einladung zur Tiefe im Glauben
Der Heilige Stephanus wurde für viele zu einem Vorbild im Glauben. Viele tragen seinen Namen. Und auch viele andere sind seinem Vorbild in der Nachfolge Jesu bis in den Tod gefolgt. Unzählige in der Kirchengeschichte bis in unsere Zeitgeschichte.
Das Fest des Heiligen Stephanus ist Einladung, mit dem Glauben an Jesus in die Tiefe zu gehen und sich herausfordern zu lassen. Es rüttelt wach und lässt auch uns vielleicht fragen, wo der Heilige Geist in einem selbst am Wirken ist und wozu er uns befähigt, wenn wir uns mit vollem Eifer für eine gute Sache, für den Zusammenhalt in der Familie, für Versöhnung zwischen Streitenden, für die Armen, für das Leben, für die frohe Botschaft einsetzen.