International
Immer öfter begegnen uns in den Diözesen und Ordensgemeinschaften Mitteleuropas Priester, Ordensfrauen, Ordensmänner aus ehemaligen Missionsländern. Zum Teil sind es Priester, die von ihrer Heimatdiözese nach Europa geschickt wurden, um hier ihre theologische Ausbildung zu vertiefen, damit sie dann in ihre Heimat zurückkehren und an den Hochschulen kompetent wirken können. Andere sind gekommen, um Immigranten und Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, seelsorglich zu betreuen. Wieder andere wurden herbeigeholt, um dem Priestermangel vor Ort abzuhelfen. Diese haben vor, bei uns zu bleiben.
Nicht wenige sehen in dieser Entwicklung eine Umkehrung der Missionsbemühungen. In den vergangenen Jahrhunderten sind Missionare aus Europa in alle Welt hinausgezogen, um in zuvor unbekannten Ländern das Evangelium zu verkünden und dort Kirche aufzubauen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts sind jedoch die meisten Kirchen in den ehemaligen Missionsländern eigenständig geworden. Sie sind zwar immer noch dankbar für finanzielle Unterstützungen und für Solidaritätsaktionen, sind aber meist nicht mehr auf personelle Hilfe aus dem Norden angewiesen.
Bedeutet das nun das Ende der mehrere Jahrhunderte dauernden Missionsbewegung? Brauchen wir heute noch Mission? Oder ist mittlerweile Europa selbst zum Missionsland geworden? Manche wünschen sich, dass sich die Missionsrichtung umkehrt, dass nun Europa und Nordamerika Zielgebiete der Mission werden. Ein solches Denken ist wohl ein wenig einfältig und unterschätzt die geistige und religiöse Entwicklung, die weltweit im Gange ist. Sie nimmt auch das Wirken der bereits existierenden Kirchen nicht ernst. Zweifellos ist aber ein Umdenken im Gange, das vielen Menschen noch wenig bewusst geworden ist.
Wozu brauchen wir angesichts dieser Entwicklung heute noch einen Weltmissionssonntag? Mit dem Wandel der Mission hat sich auch die Bedeutung des Weltmissionssonntags geändert. Ich halte ihn aber nach wie vor für sehr wichtig.
Weltweite Solidarität
Der Weltmissionssonntag ist ein Tag der weltweiten Solidarität der Christen. In Europa ist es gefahrlos, sich zu Christus und zu einer christlichen Kirche zu bekennen. Das ist nicht überall so. In vielen Ländern der Erde werden Christen verfolgt und sind in ihrer Existenz bedroht. Sie leben mehr oder weniger im Untergrund. Zahlenmäßig sind es mehr denn je. Wir dürfen sie nicht vergessen, auch wenn wir zur Verbesserung ihrer Lage oft nur wenig beitragen können.
Seit Beginn des Christentums haben sich gerade die Schwachen, Benachteiligten und Unterprivilegierten vom Evangelium angesprochen gefühlt. Gott liebt alle Menschen gleich. Jesus hat sich besonders den Kleinen zugewandt und in der Tradition der Propheten auch soziale Gerechtigkeit eingefordert. Das gilt auch heute noch. Vielen Kirchen fehlt es an den nötigen Mitteln, ihre Aufgaben gut erfüllen zu können, weil sie Kirchen der Armen sind. Wir tun gut daran, sie auch weiterhin mit Spenden zu unterstützen und etwas von unserem Reichtum abzugeben.
Weltweite Einheit
Es gehört zum Wesen des Christentums, dass es in die jeweilige Kultur hinein Wurzeln schlägt und diese Kultur in christlichem Geiste mit- und umgestaltet. Die eine Kirche Christi hat daher viele Gesichter und auch nationale Ausprägungen. Bei allen Unterschieden ist es wichtig und notwendig, dass wir wenigstens einmal im Jahr die Einheit dieser Kirche hervorkehren und sichtbar machen. Diese Einheit bewusst zu machen und zu wahren, ist gerade in unserer Zeit, in der Nationalismen das Zusammenleben der Völker behindern, eine große Herausforderung.
Die Kraft des Evangeliums neu entdecken
Mission ist auch heute ein unverzichtbarer Aspekt kirchlichen Lebens. Und gerade deshalb finde ich es wichtig, mit dem Missionssonntag ein drittes Anliegen zu verbinden. Auch wenn es in allen Kontinenten und Ländern der Erde christliche Gemeinden und Kirchen gibt, ist damit die Mission der Kirche nicht erfüllt. Jesus Christus möchte nicht nur zu allen Menschen kommen. Er möchte die Menschen durch seinen Geist verwandeln. Das ist gemeint, wenn von Evangelisierung die Rede ist. Der Geist Jesu, der Geist des Evangeliums möchte immer tiefer in alle Lebensbereiche eindringen und so das Angesicht der Erde erneuern.
Wir spüren, wie weit wir von diesem Ziel noch entfernt sind. Wenn wir Mission so verstehen, geht es um mehr als um das Gewinnen neuer Mitglieder. Glaubenszeugnis meint nicht so sehr, dass wir auf Schritt und Tritt hervorkehren "ich bin Christ". Es geht um ein überzeugtes und überzeugendes Leben aus dem Geist des Evangeliums.
Gerade an den Bruchstellen des Lebens, wenn nicht alles so glatt geht, wie wir es möchten, kann der Same des Wortes Gottes in die glatte und abweisende Oberfläche auch der modernen Gesellschaften eindringen, sie aufbrechen und seine Kraft entfalten. In diesen Momenten sollten wir Auskunft geben können über das, was uns Hoffnung gibt und im Glauben Halt finden lässt. Viele Christen haben bei uns nie gelernt, über das zu sprechen, was sie im Innersten ihres Herzens bewegt, was ihrem Leben und ihrem Glauben Halt und Kraft gibt. Diesem Defizit abzuhelfen wäre ein lohnendes "Missionsprogramm" für unsere Tage.
Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe
Im Evangelium dieses Sonntags fasst Jesus das, was ihm an seiner Sendung (Mission) am wichtigsten ist, mit den Worten zusammen: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist des zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Jesus hat dafür gelebt und ist dafür gestorben, diese Liebe, die von Gott ihren Ausgang nimmt, den Menschen nahe zu bringen. Diese Sendung fortzusetzen ist unsere Mission.