Überraschungen
Lassen Sie sich gern überraschen? Dann ist Ihnen sicherlich der Geschenkkarton vor dem Altar mit der Schleife aufgefallen. Mir geht es immer so, dass ich mich gerne überraschen lasse, solange die Überraschung berechenbar, einsehbar oder voraussehbar erscheint, also letztendlich keine Überraschung mehr ist. König David, von dem die Lesung aus dem ersten Testament berichtet, muss ähnlich gestrickt gewesen sein, denn auch er versucht seine Risiken zu verringern und mögliche Überraschungen berechenbar zu machen, also ganz nüchtern zu denken.
David ist dabei, das Nomadenleben seines Volkes zu beenden, er selbst wohnt bereits in einem Haus, ist sesshaft geworden und sein Leben planbarer. Die Überfälle von Feinden haben abgenommen und er gilt auf der ganzen Linie als Sieger, dank eines oder besser dank seines Gottes, der als Zeichen seiner Gegenwart die Bundeslade gewählt hat, um mit seinem Volk in einem Zelt von Ort zu Ort zu ziehen. David ist ein cleverer König, er sagt sich: "Wenn ich mich an einen Ort binde, dann macht es keinen guten Eindruck, wenn ich den, durch den ich meine Erfolge erzielt habe, in einem Zelt weiter ziehen lasse. Womöglich führt er dann noch andere zum Erfolg." Gott mit einem Haus einzufangen und an sich zu binden, das ist mehr als ein gut durchdachter Schachzug. Dafür holt sich David auch noch Rückendeckung bei dem Propheten Natan und der redet ihm auch noch nach dem Mund.
Wenn Gott überrascht...
Doch dann die Überraschung: Gott selbst meldet sich zu Wort und ich glaube nicht, dass dem großen König David danach noch zum Singen und Harfe spielen zu Mute war. Denn Gott lässt ihm durch den Propheten Natan mitteilen: "Du willst mir ein Haus bauen? Hast du vergessen, dass ich der Baumeister bin, dass ich es war, der dich zum König gemacht hat? Wenn du gestorben bist, werde ich deinem Sohn ein Königtum geben, das ewig Bestand hat und ich will für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein." Gott sagt nicht nur einfach Nein zu Davids Plänen, er hinterfragt sie und verheißt eine Zukunft, die die Pläne Davids um vieles übersteigt. David wollte nur einen berechenbaren Gott, doch Gott verheißt ihm in seinen Nachkommen eine Vater-Sohn-, eine Liebesbeziehung auf Gegenseitigkeit.
In dieser verheißenen Beziehung zwischen Gott und Mensch, zwischen Vater und Sohn gibt es nichts berechnendes mehr, keine Angst vor Überraschungen, keinen Zwang, den Anderen kontrollieren zu müssen, in dieser neuen Beziehung klingt eine andere Melodie: die Melodie von angenommen und geliebt sein, von Achtung und Vertrauen, von Zutrauen und Treue. Und doch, solange wir noch nicht vollends in diese neue Vater-Sohn-Beziehung eingetaucht sind, sollten wir auf Gottes Überraschungen gefasst sein. Seine Überraschungen sind in der Lage, unsere Lebensplanungen über den Haufen zu schmeißen, unser Leben durcheinander zu wirbeln, um ihm eine neue Richtung zu geben und das unabhängig von unserem Alter.
... übertrifft er alle Erwartungen
Es kann einen alten König David genauso treffen, wie die vielleicht 14 oder 16jährige Miriam. Auch sie hatte ihre Lebensplanung gerade in trockenen Tüchern, war verlobt, vielleicht hatten die Eltern sie sogar versprochen und jetzt hatte sie Gefallen an dem Gedanken gefunden, eine Familie zu gründen, Kinder zu bekommen, Glücklich zu sein. Doch auch hier die Überraschung: wieder einmal meldet sich Gott selbst zu Wort, diesmal nicht über einen Propheten, sondern über einen himmlischen Boten. Auch bei Miriam verneint Gott nicht nur einfach ihren Lebensplan, er verheißt eine Zukunft, die weit über das von ihr gewünschte hinausgeht. Das zerbrechliche Glück einer kleinen Familie wird ihr durch die Botschaft des Engels genommen, doch verheißen wird ihr das große Glück der Geburt einer neuen Gottesbeziehung.
Wie Eva die Urmutter der Menschheit, so soll Miriam, so soll Maria zur Urmutter der verheißenen neuen Gott-Mensch-Beziehung werden. Jesus, soll sie ihr Kind nennen, d.h.: Jahwe ist Hilfe und deshalb dürfen wir ihn auch Immanuel nennen: Gott ist mit uns, so wie es dem Josef verkündet wird. Im heutigen Evangelium aber verheißt der Engel Gabriel: "Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben."
Gott ist ein treuer Gott, die Verheißung, die er dem König David schenkte, wird nun bei Maria eingelöst, indem Jesus zum Thronerben Davids bestimmt wird. Dieser Jesus bezieht seine Größe aus seiner neuen und einmaligen Gottesbeziehung, er wird Sohn des Höchsten genannt werden, Sohn Gottes und Gott wird ihm Vater sein.
Gott überrascht auch mich
Wenn die Erwartung des Messias für das Volk Israel verbunden war mit der Verheißung dieser neuen Gottesbeziehung, wenn der Engel Gabriel die Menschwerdung dieser neuen Gottesbeziehung in Jesus ankündigt, dann müssen auch wir heute 2011 Jahre nach Christus mit den Überraschungen Gottes rechnen. Oder sind Sie wirklich so eng mit diesem Jesus verbunden, dass seine Beziehung zum Vater sich in Ihrer Gottesbeziehung spiegelt? Wir alle sind zwar mit der Taufe hinein genommen in dieses neue Sein, in diese neue Gottesbeziehung und vom Verstand her leuchtet uns das ja auch ein: sind wir doch durch die Taufe zu Erben, zu Söhnen und Töchtern Gottes geworden. Doch unser Alltag, unser Erleben und Erfahren bringt uns immer wieder in alte Bahnen, Denkmuster und Verhaltensweisen zurück.
Wie oft ertappe ich mich dabei, die Gegenwart Gottes an eine Ort zu binden, ihn dadurch ansprechbarer, vielleicht auch berechenbarer zu machen. Oder denken Sie an Ihr Gottesbild, wie oft und wie schnell wird aus dem liebenden Vater ein strafender und verurteilender Richtergott. Und schaue ich auf meine Sohn-Vater-Beziehung, ist da wirklich der Sohn, der im Gebet mit dem Vater spricht, oder habe ich den Sohn wie einen Mantel an den Nagel gehängt und bin wieder in die Rolle eines demütigen Bittstellers geschlüpft, der um Gnade fleht, oder in die eines Richters, der Gott Vorhaltungen macht. Und wie schnell ist das Vertrauen und Zutrauen in meiner Gottesbeziehung dem Zweifel und dem Misstrauen unterlegen, wenn meine Wünsche und Planungen sich nicht so verwirklichen lassen, wie ich mir das vorgestellt habe.
Maria konnte sich damals nicht vorstellen, wie diese neue Gottesbeziehung in Jesus Mensch werden, Hand und Fuß bekommen sollte, doch der Engel lehrte sie Vertrauen: "Bei Gott ist kein Ding unmöglich." Lassen auch wir uns hinein nehmen in dieses Vertrauen, damit die Überraschung Gottes, seine Verheißung und Zusage gelingen kann: Ich will für dich Vater sein und du wirst für mich Tochter, du wirst für mich Sohn sein.