Meine Angst
Doch, ich habe Angst! Ich bewundere Jesus, ich bewundere das Evangelium: "Fürchtet euch nicht". Nicht einmal, gleich dreimal: "Fürchtet euch nicht". Ich schaue mich um. Ich lese die Zeitung. Ich sehe fern. Mir ist meine Unbefangenheit abhanden gekommen. Manchmal ist mir angst und bange.
Was sich im Osten Europas abspielt, in der Ukraine und ihrer Nachbarschaft, spielt sich vor unseren Haustüren ab. Der Hass rüstet wieder auf. Er versteckt sich hinter nationalistischen Parolen, er winkt mit historischen Argumenten, er kennt nur "schwarz" und "weiß". Aus den Unruhen ist doch längst Krieg geworden - und keiner sagt das so. Wir fürchten uns vor Worten ... wie vor Menschen. Die Wahrheit ist längst zum Opfer geworden.
Im Irak findet ein Land keinen Frieden. Alte Feindschaften sind wieder aufgebrochen. Auch im Islam. Zwischen Schiiten und Sunniten. Zwischen mächtigen Interessensgruppen. Zwischen Landesteilen. Die vielen Dissonanzen lassen sich nicht einmal mehr diplomatisch umschiffen. Eine ganze Region ist seit Langem gefährdet - und die christlichen Gemeinden schwanken zwischen Angst und Trotz. Wir wissen nur wenig von ihnen. Aber wir spüren die Furcht, die umgeht. Die eigene Hilf- und Ratlosigkeit auch.
Redet am hellen Tag
Ich muss heute eine Predigt über Furchtlosigkeit halten! Das Evangelium gibt sogar den Ton vor. Die Verheißung, aus dem Bann der Angst heraustreten zu können, ist wie ein cantus firmus, wie ein roter Faden, der in unser Leben reicht.
Als erstes fällt das Zutrauen Jesu auf, dass alles, was Angst macht, ins Licht geholt wird. Eine Kampfansage ist das! Machenschaften, die eingenebelt, verdunkelt oder verschleimt werden, wird der Schutz der Dunkelheit - und des Hinterzimmers - genommen. Die Angst, die gemacht wird, um Menschen einzuschüchtern und wehrlos zu machen, kommt auf den Tisch. Alle Welt redet darüber. Die Schlagzeilen leuchten dick. Ein tolles Bild, auch noch im Internetzeitalter: "davon redet am hellen Tag" ... "das verkündet von den Dächern." Von der Wahrheit sagt Jesus, dass sie frei macht. Die Angst muss ein Gesicht bekommen - und gesehen werden. Gesehen werden können. Darum reden wir von ihr, stellen uns ihr. Wer aufs Dach steigt, kauert nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange! - "Fürchtet euch nicht vor den Menschen!"
Ich denke jetzt auch an kritische Journalisten, die vor Ort recherchieren, unheilvolle Entwicklungen entlarven und durch ihre Berichterstattung so manche Fassade bröckeln lassen.
Gezählte Haare
Jesus sagt dann auch, dass unsere Haare auf dem Kopf alle gezählt sind. Alle. Dieses Bild ist mir schon immer nachgegangen. Ein Wunder sondergleichen. Schon der Versuch, mit dem Zählen anzufangen, scheitert an der Haarpracht (und selbst die Stoppeln auf der Glatze lassen sich nicht zählen). Dass uns kein Haar gekrümmt werden kann - nicht einmal ein (!) Haar - macht mutig und verwegen. Während die Angst Haare auf den Zähnen hat.
Wer die Haare gezählt hat? Wer sie behütet? Es ist Gott, der seine Schöpfung bewahrt, sie liebevoll in seine Hand nimmt. Das ist das stärkste Argument gegen die Angst. Ich denke jetzt aber auch an meine Mutter. Manches Mal habe ich meinen Kopf in ihren Schoß gelegt. Besonders, wenn ich vor etwas Angst hatte und am liebsten abgehauen wäre. Sie streichelte meinen Haarschopf, ließ meine Haare durch ihre Finger gleiten. Viele Jahre danach ist das für mich immer noch das Bild geborgenen und glücklichen Lebens. Dass danach die Angst weg war, kann ich nicht erzählen, aber sie war leicht geworden - durchlässig. Liebe macht stark. Das erzählt das Evangelium.
Christusbekenntnis
Ich darf heute eine Predigt über Furchtlosigkeit halten! Das Evangelium gibt sogar den Ton vor. Es erzählt von Licht - und von Geborgenheit. Von einem hellen Tag - und von gezählten Haaren. Das macht Mut, aus dem Bann der Angst herauszutreten - und die Dinge dieser Welt beim Namen zu nennen. Trotzig und unverzagt!
Die Furchtlosigkeit führt in ein Bekenntnis. In das Bekenntnis zu Christus. In dem "Ja" zu ihm wird uns ein Raum geschenkt, in dem sein Licht leuchtet und uns seine Liebe bleibt. Mitten in der Welt, die wir lieben - und die wir gelegentlich auch fürchten. Obwohl wir uns oft schwach und klein vorkommen (und uns auch in dieser Rolle durchaus verstecken können), wird uns heute zugemutet und zugetraut, im Licht Jesu zu leben und für andere Menschen zu kämpfen. Er geht uns voran, er stärkt uns den Rücken, er ist an unserer Seite.
Bekennen wir ihn, ist das auch eine Absage an alle dunklen Mächte. Und eine Zusage, Liebe und Geborgenheit zu schenken. Das eine nicht ohne das andere. Die Predigt über die Furchtlosigkeit hat Jesus gehalten.
In einem Lied von Jochen Klepper - 1938 in einer Zeit der Angst geschrieben - heißt es:
Auch deines Hauptes Haare
sind wohl von ihm gezählt.
Er bleibt der Wunderbare,
dem kein Geringstes fehlt.
Den keine Meere fassen
und keiner Berge Grat,
hat selbst sein Reich verlassen,
ist dir als Mensch genaht.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.