Hermann Hesse hat in seinem Gedicht "Stufen" die wunderbaren Worte geprägt, dass allem Anfang ein Zauber innewohnt "der uns beschützt und der uns hilft zu leben".
Von einem solchen Anfang berichtet Matthäus im heutigen Abschnitt des Evangeliums. Das Szenarium ist vorbereitet: Johannes hat Jesus getauft und ist nun selbst von den Behörden aus dem Verkehr gezogen und ins Gefängnis geworfen. Jesus überdenkt nochmals seinen Auftrag - und Matthäus verweist dazu auf die Verheißung des Jesaja: In Jesus ist das Licht gekommen, das die Dunkelheit erhellt. Schon hier ist der Verweis auf das Ende mitgegeben: Denn auch die Toten bleiben nicht im Schattenreich; auch ihnen leuchtet dieses Licht.
Jesus erfüllt die Verheißungen
Für Matthäus ist dieser Hinweis sehr wichtig, dass sich in Jesus die alten Verheißungen erfüllen. Immer wieder verweist er in seinem Evangelium darauf, dass sich in Jesus erfüllt, was die Propheten verkündet hatten.
Diese Aussagen haben für uns Christen heute eine mehrfache Bedeutung. Zum einen wird damit klar ausgesagt, dass Jesu Handeln in einer Linie mit dem Handeln Gottes an seinem Volk liegt. Die Taten Gottes, von denen das Alte Testament berichtet, und die Taten Jesu gehören zusammen; sie interpretieren sich gegenseitig. Jesus ist nicht gekommen, das Alte aufzuheben, sondern zu erfüllen. Damit aber ist die große Bedeutung der jüdisch-christlichen Tradition unseres Glaubens ausgesagt. Wir können unseren christlichen Glauben, wir können Jesus und seine Botschaft nicht wirklich verstehen, wenn wir uns nicht auch bemühen, die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens zu verstehen. Denn Jesus lebt aus diesem Glauben heraus, und sein Leben und seine Verkündigung bauen auf diesen Wurzeln auf. Gerade eine Weltgebetswoche für Einheit, wie sie gerade zu Ende gegangen ist, kann das wieder deutlicher machen: Dass es so viel Gemeinsames gibt zwischen den unterschiedlichen christlichen Kirchen und auch zwischen den christlichen Kirchen und unseren Brüdern und Schwestern im jüdischen Glauben. Denn es ist die Wurzel, die den Stamm trägt - und diese Wurzeln sind von Jesus nicht abgeschnitten, sondern weitergeführt worden.
Die Zusammenfassung seiner Botschaft:
Kehrt um - das Reich Gottes ist nahe
Matthäus bereichtet nun davon, wie Jesus seinen öffentlichen Auftritt, seine Verkündigung beginnt. Und diese Verkündigung schließt unmittelbar an jene des Johannes an: Er ruft auf zur Umkehr. Diese Umkehr wird nicht näher bestimmt: Wohin umkehren? Zum alten Gesetz? Zu früheren Traditionen? Auf den rechten Weg?
Die inhaltliche Beschreibung der Umkehr erfolgt mit Jesu ganzer weiteren Lehre und seinem Handeln. Umkehr meint bei Jesus: Hinkehr zu Gott; Hinkehr zum eigentlichen Inhalt der Gebote, die er dann mit Gottes- und Nächstenliebe zusammenfassen wird. Umkehr meint bei Jesus die Abkehr von äußerlicher Scheinheiligkeit zu einer innerlichen Zuwendung zu Gott und zu den Menschen.
Die Begründung, die Jesus mitliefert, ist ebenfalls nur ein Stichwort: Das Himmelreich ist nahe. Damit aber wird von Anfang an klar gesagt: Jesus geht es nicht um einen Umsturz der weltlichen Herrschaftsverhältnisse; es geht ihm darum, die Herrschaft, das Reich Gottes anzukündigen. Und er selbst ist es, der mit seinem Kommen, mit seinem Leiden und Sterben den Beginn des Reiches Gottes in dieser Welt setzt.
Die Berufung von Jüngern zeigt die Art des Handelns Jesu
Die erste Handlung, die von Jesus erzählt wird, ist die Berufung von Jüngern. Damit ist aber ein sehr deutliches Zeichen gleich von Anfang an gesetzt: Jesus will seine Botschaft nicht allein verkündigen; er sucht sich Mitarbeiter, die mit ihm unterwegs sind und die dadurch auch authentisch bezeugen können, was Jesus wichtig ist.
Von Anfang an ist es Jesus, der aktiv auf die Menschen zugeht. Er will, dass sich seine Jünger ein Beispiel an ihm nehmen. Und dazu wählt er sich nicht Gelehrte aus, sondern Arbeiter und Fischer. Auch das zeigt, dass es ihm vor allem um das rechte Handeln geht. Was sie von ihm lernen ist vor allem die Einheit von Wort und Handeln. Er ruft auf zur Umkehr - und lebt gleichzeitig vor, was er darunter versteht: Er versucht, nicht den Buchstaben des Gesetzes, sondern den Geist des Gesetzes zu erfüllen. Er wendet sich jedem Menschen zu, ohne Ansehen von Herkunft oder Rang. Und er wendet sich in allen Fragen im Gebet und im Gespräch an Gott.
Berufung zum alltäglichen Apostolat
Schließlich zeigt dieser Anfang der Verkündigung Jesu, dass er sich nicht in Synagogen oder in den Tempel zurückzieht. Jesus geht mit seiner Botschaft mitten in den Alltag der Menschen hinein - und er ruft einzelne auch aus diesem Alltag heraus in den besonderen Dienst.
Was Jesus uns von daher mitgibt, ist die Bedeutung dieses Alltags: Hier ist der Ort, wo wir Gott begegnen können; wo uns sein Ruf erreichen will. Gottesbegegnung geschieht nicht nur an den herausgehobenen Orten und Zeiten, sondern mitten im Leben.
Und umgekehrt bedeutet es auch, dass die Berufung in den besonderen Dienst, der Ruf in die Verkündigung, auch in diesem Alltag erfolgen kann und zu diesem Alltag zurückführen will. Jesus predigt nicht den Rückzug aus der Welt, sondern es geht ihm um eine Heiligung, um eine Umkehr zu Gott mitten in dieser Welt.
Matthäus berichtet von dem Zauber des Anfangs der Verkündigung Jesu. An mir selbst, an einem jeden von uns, liegt es nun - auch heute -, sich von diesem Zauber berühren zu lassen.