Gerichtet werden
Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Gericht hören? - Wahrscheinlich daran, dass ein Mensch, der bei einer strafbaren Handlung ertappt worden ist oder einer solchen verdächtigt wird, vor Gericht gestellt wird. Dort wird dann die Schuldfrage geklärt und wenn der Person die strafwürdige Handlung nachgewiesen worden ist, wird sie oder er verurteilt und die festgesetzte Strafe verhängt.
Leider denken wir an diesen Ablauf auch, wenn in der Bibel vom Gericht Gottes die Rede ist. Das Reden vom Gericht Gottes meint dort aber etwas anderes. Das Gericht Gottes in der Bibel hat nicht so sehr mit Strafe und Verurteilung zu tun, sondern damit, es wieder zu richten, richtig zu machen. Das hebräische Wort für Gericht hat mit »vollenden«, »ganz machen«, »wieder einrenken«, »zurechtrichten« zu tun. So wie wenn das Essen fertig ist und jemand ruft: "Kommt essen, es ist angerichtet." Dahinter steht die Glaubenserfahrung, dass ein liebender Gott nicht die Bestrafung der schuldig Gewordenen im Auge hat, sondern die Versöhnung mit den Sündigen durch Vergebung.
Das Gericht Gottes, wie es in der Bibel bezeugt wird, besteht immer aus Gerechtigkeit und Gnade. Das gilt sogar bei der Rede über die "Rache" Gottes. Da wurde oft die Hälfte des Verses weggelassen. "Ein Tag der Rache für den Herrn. / Er selbst wird kommen und euch retten". Das versteht die Bibel unter der "Rache" Gottes, dass wir gerettet werden.
Nach der Gerechtigkeit kommt die Gnade
Leider wurde das in der kirchlichen Verkündigung über das Gericht Gottes oft vergessen. Die Absicht Gottes, Gerechtigkeit herzustellen und Gnade zu schenken, wurde auseinander gerissen. Der Akzent lag oft auf der Gerechtigkeit, und zu dieser gehören auch die Feststellung von Schuld und ihre Sühne. So wurden oft schreckliche Szenarien der Drohung mit Hölle und Fegefeuer aufgebaut. Viele Menschen hatten panische Angst in Sünde zu sterben und fürchteten sich, in die Hölle zu kommen.
Das Ziel des göttlichen Gerichtes sind aber die Gnade, die Vergebung und Versöhnung.
Das ergibt sich auch ganz logisch als Konsequenz der Erfahrung, dass Gott die Liebe ist. Das Ziel der Liebe Gottes ist, dass alles gut wird, dass alle Menschen miteinander versöhnt sind und in den Himmel kommen.
Wenn man darüber nachdenkt, regt sich bei vielen Menschen Widerstand. Ist das dann nicht ein »Liebe-und-Griesschmarren-Gott«, ist es dann nicht egal, ob ich gut oder böse lebe? Triumphieren dann am Ende nicht wieder die Verbrecher, während die, die sich gemüht haben anständig und gut zu leben, die Blöden sind?
Nein, so ist es nicht. Gerade die jüdische und christliche Religion hat den Wert der Gerechtigkeit an ganz zentraler Stelle. Gott sorgt für Gerechtigkeit. Er schützt und stützt die Schwachen, die zu kurz Gekommenen, er macht sich stark für die Opfer und zieht die TäterInnen zur Rechenschaft.
Aber damit ist es noch nicht aus. Nach der Gerechtigkeit kommt die Gnade: Das Angebot Gottes zu Vergebung und Versöhnung. Das ist das Ziel.
Nicht richten sondern retten will Jesus
Auch die heutigen Bibelstellen weisen uns darauf hin. Von der großen Liebe Gottes spricht Paulus im Brief an die Gemeinde von Ephesos, vom überfließenden Reichtum seiner Gnade. Und im Evangelium spricht Jesus davon, dass Gott ihn, den Sohn, in die Welt gesandt hat, nicht um sie zu richten, sondern um sie zu retten. Und zwar um alle zu retten, Opfer und TäterInnen.
Jesus dreht die gängige Vorstellung sogar um, gibt das Gericht in unsere Hände. Nicht Gott schickt uns in die Hölle oder ins Fegefeuer zur Buße. Wir selber bringen uns an den richtigen "Ort" im Jenseits. Wer glaubt, wer Gottes Heilswillen traut, wer sich seiner Vergebungsbereitschaft anvertraut, der/die ist schon gerettet. Auch dann, wenn noch offene Rechnungen der Schuld zu bezahlen sind und um Vergebung gebeten werden muss. Dieser noch nötige Versöhnungs-, Reue- und Schuldbewältigungsprozess ist mit dem Begriff Fegefeuer gemeint.
Wer sich aber verschließt, wer an diese Liebe und Barmherzigkeit Gottes nicht glaubt, nicht glauben will, nur der/die ist in Gefahr sich selber in die Hölle zu bringen.
Das Licht der Wahrheit überwindet das Dunkel der Schuld
Jesus erklärt es mit dem Bild vom Licht: Wer die Wahrheit tut, wer sich dem Licht der Wahrheit stellt, wer um Versöhnung bittet und selber vergeben will, der und die sind schon im Licht von Gottes rettender Liebe und Güte. Nur wer sich verweigert, versteckt, entzieht, weil er/sie dem Gnadenangebot Gottes nicht traut, nicht bereut und sich nicht für die Vergebung seiner/ihrer Schuld öffnen will, ist in Gefahr in der Finsternis zu bleiben.
Es stimmt, dass wir unsere Schuld verbergen, im Dunkel verstecken möchten, weil es weh tut Versagen einzugestehen, weil es schmerzhaft ist, Unrecht zuzugeben und um Verzeihung zu bitten. Aber es liegt nicht an Gott, es liegt an uns, was, nach dem Tod im Gericht Gottes mit uns geschieht. Gott sorgt für Gerechtigkeit und dann will er uns zurechtrichten, heilen, begnadigen, erlösen. Gottes Ziel ist das Heil und der Himmel für alle. Darauf zu vertrauen kann uns große Zuversicht geben und uns vor allem die Angst vor dem göttlichen Gericht im Tod nehmen.
© Mag.a Dorothea Schwarzbauer-Haupt,