Böse Geister
Klar, mit Jesus wollen die bösen Geister nichts zu tun haben. Sie haben Angst vor ihm. Sie fühlen sich ihm ausgeliefert. Sie kommen an ihn nicht heran. Das fuchst sie. Aber heute, in der Synagoge in Kafarnaum, bringt einer von ihnen sogar das Kunststück fertig, endlich einmal die Wahrheit zu sagen - sogar noch aus freien Stücken, ohne Not: "Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes". Alle hören es. Merkwürdig genug: böse Geister lieben es nicht, in die Öffentlichkeit zu geraten oder gezerrt zu werden. Diskretion ist ihr Markenzeichen und ihr Geheimnis. Werden sie nämlich entdeckt - ist es mit ihrer Macht aus. Es ist, als ob sie nackt ausgezogen würden.
Also, reden wir heute doch einmal über nackte Geister! Eine sehr befreiende Perspektive, das Ergebnis schon vorwegzunehmen. Denn die bösen Geister, offiziell zwar längst vertrieben, haben sich allerlei Kostümierungen und Maskeraden einfallen lassen, durch die Hintertüren dann doch nach Platz zu nehmen in unseren guten Stuben.
Die vielen Gesichter eines bösen Geistes
Da gibt es den bösen Geist, der sich als Überlegenheit verkleidet. Er geistert in Kollegenkreisen herum, sitzt mit am Stammtisch und bringt es sogar ins Fernsehen. Andere werden durch ihn klein gemacht, zurechtgestutzt, zusammengestaucht. Natürlich: immer mit den besten Argumenten. Und selbstverständlich immer als bescheiden getarnt. Wir wissen schließlich, was geht und was nicht, was ankommt und was nicht. Eine Blöße gibt sich der böse Geist nicht. Er geht sehr professionell ans Werk. Wenn er etwas gut kann, dann: gut reden. Der stärkste Verbündete: die Angst. Wo so viel Überlegenheit ist, muss sie sich auch behaupten können. Wer sich fürchtet, widerspricht nicht.
Es gibt den bösen Geist, der sich als Wahrheit tarnt. Er liebt schöne Feiern, gesetzte Worte und leider auch geweihte Räume. Entschuldigung: Es ist so wichtig, nach der Wahrheit zu fragen. Für die Wahrheit einzustehen. Für die Wahrheit zu kämpfen. Aber wenn sich Lieblosigkeit breit macht, Rechthaberei nicht einmal tarnt, hinter vielen Sätzen die Abgrenzung geradezu lauert - dann kann sich der böse Geist sogar mit Weihrauch vertragen, was er sonst hasst wie die Pest.
Hauptsache, er kann sich absetzen - und andere zu Außenseitern machen, die nicht richtig glauben, nicht das Richtige glauben und überhaupt lieber draußen bleiben mögen. Die Wahrheit muss dann spazieren wie ein Pfau, kriechen wie eine Schlange, heulen wie ein Wolf. Die Wahrheit kann sich nicht wehren. Wenn es niemanden gibt, der ihr zu ihrem Recht verhilft.
Schließlich liebt es der böse Geist gar, als gutes Gewissen zu erscheinen: als gutes Gewissen, einem anderen die Freundschaft aufzukündigen, den Krieg zu erklären, endlich einmal reinen Tisch zu machen. Es ist nicht gut, zimperlich zu sein, ewig den Gutmenschen zu spielen, sich an der Nase herumführen zu lassen: Jetzt ist es genug. Sagt der böse Geist - und gibt ein gutes Gewissen. Eigentlich könnte ich darüber reden, Spielräume ausloten, den Dingen auf den Grund gehen. Aber bei so vielen guten Gründen tue ich es nicht. Mein Gewissen ist rein, sage ich. Aber wenn ich darüber nachdenke, ist mir nicht mehr wohl.
Für den 1. Weltkrieg gab es Gründe, für den 2. auch. Für die Ehescheidung gab es Gründe, für die Trennung von den Kindern auch. Für die Hasstirade gab es Gründe, für den Rundumschlag auch. Aber was waren das für Gründe? Ich schäme mich - für mein gutes Gewissen.
Heute höre ich die bösen Geister sagen: Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes.
Jetzt ist es vorbei mit der Überlegenheit, der Wahrheit und dem guten Gewissen.
Jetzt zählt nur noch er: der Heilige Gottes.
Erkenntnis
Markus erzählt, dass der böse Geist, nachdem er sich weit aus dem Fenster gelehnt hat, mit einer ganz großen Geste das Spielfeld verlässt. Der Mensch, der ihm lange Wohnrecht einräumte - oder einräumen musste - wird noch einmal durchgeschüttelt. Aber dann, mit einem großen Geschrei, sucht der böse Geist das Weite.
Wie weit er wohl gekommen sein mag? Hat er sich geschlagen gegeben? Fiel ihm ein neues Opfer zu? Ich weiß es nicht, Markus erzählt es nicht. Wichtig ist nur, dass alle mitbekommen, was hier geschieht: ein böser Geist, der lange, allzu lange seinen bösen Einfluss geltend machen konnte, hat seinen Meister gefunden. Dafür braucht er, dafür brauchen wir die ganz große Bühne! Es wurde schon zu lange geschwiegen! Zu lange wurden die Schultern eingezogen! Zu lange!
Überraschender- oder auch auffälligerweise wird hier im Evangelium keine Schuld zugewiesen. Der Mann, von dem die Rede ist, wird uns nicht einmal vorgestellt. Wie er zu dem bösen Geist kam - uninteressant. Was das für ein böser Geist war - ohne große Bedeutung. Wie der Mensch sich bisher zu wehren versuchte - auch die Niederlagen werden nicht erzählt.
Aber es fällt das Wort: besessen. Wir sehen, wie ein Mensch sich nicht mehr gehört, wie eine andere Macht sich seiner bemächtigt, Besitz von ihm ergreift. Namenlos. Gesichtslos. Geschichtslos. Ich kenne viele Situationen, auch in meinem eigenen Leben, wo das Wort "besessen" angemessen beschreibt, wie wir uns fühlen - und geben. Ich möchte jetzt einfach nur hören, was sich in Kafarnaum ereignete.
Bekenntnis
Richtig glücklich bin ich, dass Markus als guter Beobachter und Zeuge den bösen Geist selbst das Wort finden lässt, dass ihn zu Fall bringt: Ich weiß, wer du bist: Der Heilige Gottes. Wer hätte das einmal gedacht, dass der böse Geist ein Glaubensbekenntnis formuliert, die Wahrheit findet und eben auch die Wahrheit über sich selbst. Das hätte ich ihm ehrlich gesagt auch nie zugetraut. Diesem Windhund, Spieler und Lump.
Übrigens: Im Markus-Evangelium ist es eben dieser böse Geist, der überhaupt zum ersten Mal ein Bekenntnis ausspricht. Wenn Sie so wollen: die Urform eines Bekenntnisses. Ich weiß, wer du bist - du bist der Heilige Gottes. Der Geist spricht aus, was vor ihm noch kein Mensch gesagt hat und sich zu sagen traute. Diese Pointe hat der Evangelist fein versteckt. Aber nicht so fein, dass wir ihm nicht auf die Schliche kommen könnten. Ein ebenso schöner wie bizarrer Gedanke: Der böse Geist stellt Jesus für uns heraus, hilft uns, ihn zu entdecken und zu bekennen.
Ein grandioser Schluss! Der Evangelist erzählt, dass alle, die das sehen und hören, erschrecken. Einer fragt gar den anderen, eine die andere: "Was hat das zu bedeuten? Hier wird mit Vollmacht eine ganz neue Lehre verkündet. Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl." Am Ende also Staunen. "Sogar die unreinen Geister"!
Uns verwundert nicht mehr, dass sich Jesu Ruf rasch verbreitet und vermehrt. Ein Ruf eilt ihm voraus. Seitdem. Endlich.
Befreiung
Ich muss die bösen Geister nicht mehr fürchten, ich muss sie auch nicht mehr verschweigen. Sie haben sich selbst - nackt ausgezogen. Wenn sie mir jetzt wieder begegnen, maskiert als Überlegenheit, als Wahrheit, gar als gutes Gewissen, will ich ihnen nicht mehr den Hof machen. Die große Geste gönne ich ihnen: einmal gut schütteln - und dann mit Geschrei dahin fahren. Adieu!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Hans Hütter (2000)