Lesung aus dem Buch der Weisheit.
Gott hat den Tod nicht gemacht
und hat keine Freude am Untergang der Lebenden.
Zum Dasein hat er alles geschaffen
und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt.
Kein Gift des Verderbens ist in ihnen,
das Reich der Unterwelt hat keine Macht auf der Erde;
denn die Gerechtigkeit ist unsterblich.
Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen
und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht.
Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt
und ihn erfahren alle, die ihm angehören.
Die atl. Lesung stammt aus dem Buch der Weisheit, einem der jüngsten Bücher des Alten Testamentes. Die Weisheit ist als Mittlerin zwischen Gott und Menschen zu sehen. Ihr 'Gegenspieler' ist der endgültige Tod, vermittelt durch das personifizierte Böse, den Teufel. Das Buch der Weisheit ringt mit den Fragen: Wie wird Gott in der Welt erkannt? Was steht seiner Erkenntnis, was seinem Wirken entgegen?
Die weisheitliche Lesung, allerdings gestückelt, wurde passend zum Evangelium ausgewählt. Gott wird als Schöpfer vorgestellt, der das Leben will und den Menschen „zum Bild seines eigenen Wesens gemacht“ hat – also unsterblich. Darin begründet ist, dass Gott den Tod nicht gemacht hat.
Zur weisheitlichen Erfahrung jedoch gehört auch, den Tod wahrzunehmen. Er wird auf den Teufel zurückgeführt. Sein Beweggrund: Neid. Jedoch: nur die, die dem Teufel angehören, erfahren den Tod. Diese weisheitliche Sicht auf den Tod trennt allerdings Sterben und Tod.
Der schroffe Dualismus von Gott und Teufel, Leben und Tod ist schon in der biblischen Überlieferung hinterfragt worden. Über die Verbindung von Neid und Tod wird sich Kluges sagen lassen. Unbehaglich ist, den Teufel in einer so starken Position zu sehen, die ihn zu einem Antipoden Gottes macht. Der Focus wird daher auch in der Lesung auf dem Schöpferwillen Gottes ruhen müssen. Von besonderer Bedeutung ist die weisheitliche Auslegung von Gen 1,27.
Das Buch der Weisheit ist das jüngste Buch des AT. Es entstand 80-30 v.Chr. in Alexandria, dem Zentrum hellenistischer Kultur und Wissenschaft. Der Autor verbindet jüdische Tradition mit griechischer Weisheit. Er wirbt bei den Juden in der Diaspora für die Weisheit, die Gott seinem Volk geschenkt hat. Wer sich auf sie einlässt, kann sein Leben gut bewältigen. Die personifizierte Weisheit ist Bild des menschenfreundlichen und barmherzigen Gottes. Das Buch war eine Trostschrift für die Juden, die in der Fremde in ihrem Glauben verunsichert waren. So kann es auch für den heutigen Menschen, der nach Orientierung sucht in einer orientierungslosen Zeit, Wegweiser zum wahren Leben sein.
Die Lesung spricht tröstlich vom Willen Gottes: Gott hat den Tod nicht geschaffen; er hatte nur das Heil aller Geschöpfe im Sinn. Gewalt und Tod werden auf den "Neid des Teufels" zurückgeführt, ein Motiv, das auf griechische Vorstellungen zurückgeht. Es wird betont, dass Gott den Menschen zum Glück und zur Unsterblichkeit berufen hat. Gott selbst stellt den Menschen vor die Entscheidung, den Weg des Todes oder den des Lebens zu wählen (vgl. Dtn 30,15-20). Tod meint hier den "geistigen Tod", nämlich Unglück und Verderben, das der Mensch selbst bewirken kann. Leben meint das Dasein aus Gott, der das Heil aller Menschen will.
Gott hat auch uns zu einem erfüllten Leben bestimmt. Das meint nicht ein Leben in anhaltendem Glücksgefühl, sondern ein Leben aus der intensiven Beziehung zu mir selbst, zu Gott und zu meinen Mitmenschen heraus. Das beinhaltet Höhen und auch Tiefen des Lebens. Ob solches Lebendigsein gelingt, hängt auch von meinem Denken und Verhalten ab. Mich für den "Weg des Lebens" zu entscheiden, heißt Weitblick zu haben für mein Heil und das der anderen, Freiräume zu schaffen für die Entfaltung des Einzelnen und offen zu sein für Neues. "Entscheide dich für die Lebendigkeit!" - so könnte der Aufruf der Lesung an uns heute lauten.
Claudia Simonis-Hippel, in: Gottes Volk B 6/2006, Bernhard Krautter/Franz-Josef Ortkemper (Hg.), Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2006, S. 13-24.
Nur in der lateinischen Übersetzung trägt dieses Buch den Titel „Weisheit" – in der griechischen Bibel heißt es „Weisheit Salomos". Das Buch wird in die Zeit der jüdischen Diaspora in Ägypten datiert. Hinweise im 2. Kapitel sprechen für eine Entstehungszeit zwischen 80 und 30 v. Chr. Der Verfasser, ein gläubiger Jude, scheint hellenistisch gebildet zu sein. Er versteht es, sich in Griechisch klar und genau auszudrücken. Interessant ist, dass er keine Namen nennt, um die Allgemeingültigkeit der Weisheit hervorzuheben. Im Buch der Weisheit steht nicht Gott und sein Handeln, sondern der Mensch und sein Verhalten im Mittelpunkt.
Die Perikope des heutigen Sonntags spricht tröstlich vom Willen Gottes: Gott hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Der Gläubige wird aufgerufen, auch in Leiden und Tod an Gottes Treue und Gerechtigkeit zu glauben. Gott hat den Menschen zum Glück und zur Unsterblichkeit berufen, durch sein Leben soll er heilbringend sein. Es liegt beim Menschen, ob er sich für den Weg des Todes oder den des Lebens entscheidet.
Martin Stewen (2009)
Manfred Wussow (2006)
Claudia Simonis-Hippel (2006)
Reinhard Gruber (2000)