1. Lesung vom Fest des hl. Alfons von Liguori:
Jes 61,1-3
Lesung aus dem Buch Jesaja:
Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir;
denn der Herr hat mich gesalbt.
Er hat mich gesandt,
damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe
und alle heile, deren Herz zerbrochen ist,
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde
und den Gefesselten die Befreiung,
damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe,
einen Tag der Vergeltung unseres Gottes,
damit ich alle Trauernden tröste,
die Trauernden Zions erfreue,
ihnen Schmuck bringe anstelle von Schmutz,
Freudenöl statt Trauergewand,
Jubel statt der Verzweiflung.
Man wird sie «Die Eichen der Gerechtigkeit» nennen,
«Die Pflanzung, durch die der Herr seine Herrlichkeit zeigt».
In der alttestamentlichen Lesung sind der Beginn und das Ende aus dem 61. Kapitel des Prophetenbuches Jesaja zusammengefügt, die mittleren sieben Verse fehlen - vermutlich aus praktischen Gründen (Länge!). Um den inneren Gehalt der Lesung wirklich zu erfassen, ist es jedoch ratsam, sich das gesamte Kapitel anzusehen (vgl. 1. Lesung lang).
Unser Text enthält eine Heilsverheißung Jahwes an sein Volk in der noch instabilen Zeit nach der Heimkehr aus dem Babylonischen Exil. Dabei wird besonders den "Armen" die Zuwendung Gottes zugesagt, womit nicht nur die materiell Bedürftigen gemeint sind, sondern alle, die in irgendeiner Not leben. Ein eindrucksvolles Bild für ihren Zustand ist das Wort vom "gebrochenen Herzen". Das Herz bedeutet in der hebräischen Anthropologie soviel wie die Personmitte, den Sitz der menschlichen Identität. Gottes Zuwendung gilt den Gebrochenen und Gebeugten. Unser Text hat dabei Zustände harter Realität im Blick. Mit den "Gefangenen" sind etwa jene Menschen gemeint, die in Schuldsklaverei gefallen sind, und denen nun im angekündigten "Gnadenjahr" (vgl. die Rechtsinstitution des Jubeljahres Lev 25:39-41) eine Aufhebung ihrer erniedrigenden Arbeitsverhältnisse verheißen wird.
Gott bedient sich, um seine Heilsverheißung an die Menschen zu bringen, eines Sprechers. Seine besonderen Merkmale ("Geist Gottes", "Salbung") sind weniger Auszeichnungen für ihn, sondern Merkmale des besonderen Ranges der Verheißung. Im zweiten Teil (Vers 10-11) ist er deshalb mehr ein repräsentatives Mitglied der von ihm angesprochenen Gemeinde, wenn sie psalmenartig Gott preist.
Martin Leitgöb (1998)