Vom Saulus zum Paulus
Die Worte der Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer klingen wie ein Lobpreis in hymnisch-feierlicher Sprache. Paulus teilt uns das Ergebnis seiner Überlegungen zum Wesen und Handeln Gottes ihn betreffend mit. Das Staunen und die Bewunderung gegenüber Gott vonseiten des Apostels sind so groß, dass Paulus unfähig ist, nüchtern und nur sachlich zu berichten. Die Gefühle, Gedanken, sein Herz legen ihm Worte in den Mund und lassen ihn eine Sprache verwenden, die in den Bereich des Betens und des Lobpreises gehören.
Dabei ist Paulus von vornherein eigentlich gar kein meditativer, zurückgezogener Mensch mit vorwiegend frommer Sprache. In der Bibel wird uns der Apostel zunächst als ein Draufgänger geschildert. Bei den ersten Christenverfolgungen gehört er mit zu denen, dessen Namensnennung die Christen bereits erschreckt. Der Diakon Stephanus wird unter seiner Aufsicht gesteinigt. In seinem Drang, Christen zu verfolgen, beschränkt Paulus sich nicht nur auf Jerusalem und die umliegenden Orte. Bis nach Damaskus treibt ihn sein Eifer, um die neue christliche Bewegung klein zu halten oder gar auszurotten, sofern dies gelingen sollte.
Und dann kommt der Einbruch. Vor den Stadttoren von Damaskus hört Paulus eine Stimme, die ihn fragt: Was tust du? Warum verfolgst du mich, den Gekreuzigten und Auferstandenen?
Ein erstes Mal geht Paulus ernsthafter in sich. Ja, was mache ich? Ist das, was ich tue, in Ordnung?
Drei Jahre Rückzug
Wir dürfen uns die Bekehrung des Apostels nicht zu einfach vorstellen. Zwar wird er von der christlichen Gemeinde in Damaskus aufgenommen und über den christlichen Glauben belehrt, aber daran schließt sich ein dreijähriger Rückzug des Apostels in die Wüste an. Hier, so dürfen wir annehmen, geschieht die gründliche innere Auseinandersetzung und Neuorientierung des künftigen Apostels im Glauben. Das Ergebnis lautet: Ich, Paulus, fühle mich gerufen, den Heiden das Evangelium zu verkünden.
Was könnte Paulus dazu bewogen haben, zu dieser Überzeugung und Entscheidung zu kommen?
Als Erstes wird Paulus klar geworden sein: Ich habe jüdische Theologie studiert beim berühmten Professor Gamaliel. Damit bin ich auf dem neusten Stand, was die jüdische Religion betrifft. Von daher müsste ich in der Lage sein, begründen zu können, in welchen Punkten christliche Vorstellungen jüdisches Denken übertreffen und dass das Christentum eine klare Weiterführung des bereits im Gottesvolk verankerten Gottesglaubens ist. Diese Überlegungen hätten Paulus allerdings schnurgerade nach Jerusalem führen müssen, ins Zentrum jüdischer Glaubensvermittlung.
Doch dann kamen wohl die weiteren Überlegungen:
- Ich habe römisches Bürgerrecht. Dies schützt vor staatlicher und behördlicher Willkür.
- Ich spreche neben Hebräisch auch Griechisch, die Sprache des römischen Reiches. In den heidnischen Ländern könnte ich mich ohne Schwierigkeiten verständlich machen.
- Ich habe das Handwerk des Tuchwebers erlernt. Im praktischen Leben und Lebensalltag bin ich nicht unbeholfen. Und Paulus weist in seinen Briefen darauf hin, dass er seinen eigenen Lebensunterhalt verdient habe und niemandem zur Last falle.
- Schließlich war der Apostel unverheiratet, nicht gebunden an Familienpflichten.
Bis an die Grenzen der Erde...
All diese Überlegungen zusammen genommen, verknüpft mit dem Auftrag Jesu "Ich sende euch bis an die Grenze der Erde", werden in Paulus die Frage aufgeworfen haben: Ist mit dem Geschehen vor Damaskus mir nicht gleichzeitig aufgetragen worden, einer von denen zu sein, die bis an die Grenzen der Erde gehen sollten?
Vielleicht wird in der Abgeschiedenheit der Wüste Paulus sich ein erstes Mal voller Staunen gesagt haben: Wie unergründlich sind doch Gottes Wege mit mir, wie unerforschlich ist sein verborgenes Wirken. Hätte ich als Student oder Lehrling je daran gedacht, wozu meine Ausbildung, mein Wissen, meine Energie einmal dienen könnten oder sollen! Wie vorausschauend sind Gottes Pläne, wie weise seine Gedanken!
Mit der gleichen Kraft, mit dem gleichen Schwung, die den Apostel bei der Verfolgung der Christen vorwärts trieben, geht Paulus dann seiner missionarischen Arbeit nach. Hier zeigt sich, dass er, Paulus, wie kein anderer tatsächlich genau der richtige Mann ist. Die Arbeit ist schwierig, die Strapazen sind groß. Paulus gibt nicht auf. Er spürt in sich die Kraft, durchhalten zu können. Vor allem ist er der rechte Mann, um die Probleme zwischen den Heiden- und Judenchristen einer Lösung zuzuführen, mit der beide Seiten leben können. Dadurch wird der Weg offen gehalten, um jeden in die christliche Gemeinschaft aufzunehmen.
Von Gott geführt und berauscht
Wenn Paulus auf seinen Lebensweg und sein Wirken zurück schaut, spürt er, wie sehr er durch Gott geführt wurde. Der Apostel erkennt, sein Werk ist nur zu einem geringen Teil das Ergebnis seiner eigenen Mühe. Zwar gehört diese mit dazu, aber Leitung, Planung, Führung lagen letztlich in den Händen Gottes. Aus ihm, durch ihn und auf ihn hin geschah und bewegte sich alles, wie unerkannt dies in den jeweiligen Situationen zunächst auch immer war.
Paulus ist von Gott fasziniert, - fasziniert auch, wie sich das Handeln Gottes an den Menschen wiederholt. Wie sehr hatte Israel beim Auszug aus Ägypten und beim Wandern durch die Wüste Gott als den erfahren, der unerforschlich in seinen Gedanken Israels Weg begleitet hatte. Welch unergründlichen Weg nahm trotz Verfolgung die Entwicklung und Ausbreitung des Christentums! Es hätte gar keinen erfolgreicheren anderen Weg geben können, stellt Paulus für sich fest. Wer könnte Gott weisere Ratschläge geben! Dank und Lobpreis steigen in seinem Herzen auf und lassen ihn aussprechen: Ihm, diesem Gott voller Klugheit und Weisheit, sei Ehre in Ewigkeit.
Paulus ist fasziniert und berauscht von Gott. Er will, dass die Christen von Rom, denen er den Brief schreibt, es auch sind. Sie sollen in ihr Leben schauen und erkennen, an welchen Punkten auch sie von Gott geleitet und geführt wurden. Euer Leben besteht nicht aus lauter reinen Zufällen, will der Apostel den Gläubigen sagen. Erkennt Gottes vorbereitendes und begleitendes Handeln im Verborgenen. Beides gibt es auch in euerm Leben.
Spuren Gottes in meinem Leben
Wenn wir der Aufforderung des Paulus an die Römer nachkommen und auch für uns Rückblick halten, werden wohl nur sehr wenige von uns eine Art Damaskus-Erlebnis bei sich entdecken. Aber anderes könnten wir mit dem Apostel gemeinsam haben.
Gab es in unserem Leben nicht auch Situationen, wo unsere Pläne völlig durchkreuzt wurden? - Und genau das war zu unserem Heil und Vorteil.
Wo galt es Schwieriges oder Leidvolles durchzustehen, wo wir im Nachhinein sagen konnten? - Gerade dadurch wurde ich stark für Nachfolgendes und befähigt, wichtige Lebenssituationen zu bewältigen.
Welche Bedeutung hatte für uns die Begegnung mit bestimmten Menschen: in der Schulzeit, am Arbeitsplatz, im Urlaub, durch eine Bekanntschaft? - Welchen Verlust hätte es bedeutet, wenn ich diesen Betreffenden nicht begegnet wäre?
Wo müssten wir sagen: Gott sei Dank habe ich dies und jenes gelernt und mich darin eingeübt? - Nie im Traum hätte ich je daran gedacht, wie wertvoll dies für mich und mein Leben einmal werden könnte.
Wahrscheinlich haben wir alle ausreichend Gründe, um in die Worte des Paulus, Worte des Staunens und der Dankbarkeit, einzustimmen, um mit unseren Worten zu sagen: Tief und reich ist deine Weisheit, Gott, wenn auch manches für uns auf Anhieb unergründlich war. Dir, Gott, sei Ehre, Dank und Lobpreis in Ewigkeit.