Gut aufgehoben
Josef und Maria erleben in der gerade gehörten Geschichte schockiert, wir ihr Jesus, der ihnen so vertraut ist, seinen Weg geht und darauf beharrt, dass das ja gar nicht anders geht: Er muss einfach seine Sonderwege gehen, wenn er dem gehorcht, von dem jede Elternschaft ihre Berechtigung bezieht, nämlich dem himmlischen Vater.
Die Geschichte von Jesus in den Jahren der Pubertät war mir als Vater ein großer Trost, besonders dann, wenn meine Söhne, meine Tochter Entscheidungen trafen, die ich nicht sofort nachvollziehen konnte.
Nun, das ist die eine Seite der Verantwortlichkeit zwischen Generationen: Dass Eltern ihren Kindern ermöglichen, ihren je eigenen Weg zu ziehen. Und wenn das geschieht, dürfen wir uns als Eltern auch herzlich freuen: geht damit doch eine Frucht auf, die wir mit Liebe gepflegt haben.
Dass das nicht immer so leicht geht, weil wir als Eltern nicht immer rasch erkennen, was die Jungen bewegt, das wird uns hier am Beispiel von Josef und Maria vor Augen geführt: Es ist also keine Schande, wenn wir manchmal etwas länger brauchen: Es ist ja nicht unser Leben, was die jüngere Generation lebt. Ich finde, dieser Gedanke hat viel Entlastendes - für beide Seiten. Wir Eltern können also getrost unsere Kinder und deren Weg der Hand Gottes anvertrauen. Bei ihm sind sie gut aufgehoben.
Den Vater ehren und die Mutter achten
Die andere Seite der Verantwortung bringt uns die Lesung aus dem Buch Jesus Sirach nahe: Den Vater zu ehren und die Mutter zu achten, auch wenn deren Kräfte abnehmen, ist im Sinn Gottes des Schöpfers. Das war zur Zeit, als das Vierte Gebot aufgeschrieben wurde, der Kern der Sozialgesetzgebung im Stamm der Israeliten, die durch die Wüste zogen und ihr Land in Besitz nahmen. Und übertragen auf die Zeit des Buches Jesus Sirach, der für die Israeliten in der hellenistischen Zeit und in der Diaspora schrieb, hieß das: Wenn wir überleben wollen als bedrohtes Volk, dann müssen wir unsere alten Eltern in Ehren halten, wie wir es von Gott überkommen haben. - Was heißt das für uns als Volk Gottes im 21. Jahrhundert in Mitteleuropa?
Da gibt es viel, was nach wie vor aktuell ist, und es gibt Neues, was wir berücksichtigen sollten. Zunächst das Vertraute: Leben geht weiterhin von Generation zu Generation und es ist eine Ehre für jede Frau und jeden Mann, als Mutter und Vater an diesem Lebensfluss aktiv beteiligt zu sein. So, wie wir unseren Kindern das Leben aus der Hand Gottes schenken durften, so dürfen wir uns darüber freuen, wenn dieses Leben in der Hand unserer Kinder - und Enkelkinder - seine ganz eigenen Wege weiter fließt. Im Lauf unserer Biografie standen und stehen wir in diesem Lebensfluss an verschiedenen Stellen. Und an den verschiedenen Orten gibt es verschiedenen Notwendigkeiten:
Wenn wir uns als kleine Kinder unseren Eltern anvertrauen konnten, um schließlich immer mehr eigene Verantwortung und erwachsenes Leben zu lernen, so führt uns das schließlich dazu, dieses Vertrauen in das Leben den eigenen Kindern weiterzugeben und früher oder später auch zu den Verpflichtung, uns um Angehörige zu kümmern, die nicht mehr gut auf eigenen Füßen stehen können.
Solidarität zwischen den Generationen
Diese spiralförmige Bewegung ist für alle Zeiten gleich: wir Menschen werden geboren, wachsen heran in unsere eigene Verantwortlichkeit, altern und gehen eines Tages von dieser Welt, die unsere Nachkommen bestellen.
Damit dies mit guten Rahmenbedingungen erfolgen kann, braucht es die Solidarität zwischen den Generationen. Solidarität meint nach der katholischen Soziallehre einen Zusammenhalt zwischen ähnlich Betroffenen, um ein wichtiges Gut zu erreichen und zu sichern.
Und wir alle sind von diesem Gang der Generationen betroffen, sind darin eingewoben an sich verändernden Stellen. Und so kann das Leben gedeihen.
Daher ist es wichtig, wenn wir Eltern unterstützen im Umgang mit ihren Kindern, wenn wir einander fördern im Loslassen der Heranwachsenden sowie in der Sorge um die Älter werdenden. Überall dort haben wir als Gesellschaft, auch als kirchliche Gemeinschaft unsere Aufgaben (vom Kindergarten bis zum Seniorenclub, von den Tischmüttern bis zu den Besuchen der Kranken und Betagten ...).
Generationenvertrag
Was aber auch zu dieser Solidarität gehört, ist das, was die Gesellschaft den "Generationsvertrag" nennt: Dass nämlich jene, die mit ihrer Erwerbstätigkeit einen finanziellen Wert schaffen, für die Jüngeren ebenso sorgen wie für die Älteren, die das nicht mehr können. Wir nennen das üblicherweise das System der Pensionsversicherungen mit allen Begleitmaßnahmen.
Was aber in den letzten Jahrzehnten neu hinzugekommen ist: Wir sind - aufgrund unserer hohen Lebenserwartung - nicht mehr nur drei Generationen, sondern vier: War es früher die mittlere Generation , die für die beiden anderen sorgte, so kann es auf Dauer nicht so sein, dass die zweite der inzwischen vier Generationen für die drei anderen sorgen muss, zumal die Generation der "jungen Alten" immer rüstiger geworden ist: In meiner Kindheit waren 60- 70-Jährige zum Großteil körperlich verbraucht, während heute die Generation der aktiven Alten durchaus noch in der Lage ist, in unterschiedlicher Weise unterstützend tätig zu sein, manche auch noch in höchst verantwortlichen Positionen - privaten wie beruflichen, familiären wie gesellschaftlichen.
Neue Herausforderungen
Ich glaube, das ist die große Herausforderung unserer Zeit, diese Verantwortlichkeit der rüstigen älteren Erwachsenen wahrzunehmen und auch gesellschaftlich zu würdigen. Davon haben alle Seiten etwas.
Wenn wir heute der Generation derer, die die Familienphase verlassen haben und noch aktiv leben, respektieren, dann sollen wir sie auch begrüßen in haupt- wie ehrenamtlichen Tätigkeiten, dann sollten wir wie in anderen europäischen Ländern ermöglichen, dass Erfahrene ihren Platz haben, auch wenn sie nicht mehr im selben Rhythmus wie 30- jährige leben und arbeiten. (Das ist auch ein Appell an öffentliche Arbeitgeber wie politische Parteien!)
Und wenn die Kräfte nachlassen, dann sollte ein gesichertes und gut betreutes Leben ermöglicht werden mittels aller Netzwerke, die wir auf allen Ebenen pflegen.
Das ist heute neu: Dass dieser Übergang für jeden Menschen unterschiedlich aussehen kann, dass die Linie zwischen Berufstätigkeit und zu versorgender Pensionszeit zu einem weiten Feld geworden ist, wo jede und jeder von uns ihren und seinen jeweiligen Platz finden soll.
Und dafür können wir uns als Familien im Sinn unseres Gottes einsetzen. Und dafür können wir uns alle darauf freuen, in Würde alt zu werden und zu sein.
Autor: Mag. Rolf Sauer (Theologe, Familienberater und -therapeut), Referent für Ehe- und Familienpastoral bei "BEZIEHUNGLEBEN.AT"