Zum Beginn des neuen Jahres feiern wir ein Marienfest und es wird uns noch einmal erzählt, wie die Hirten die Frohe Botschaft von der Menschwerdung Gottes erfahren und geglaubt haben, wie Maria hört und sich alles zu Herzen nimmt und wie damit das Wort Gottes zu uns Menschen gekommen ist.
Endspurt – Schlusspunkt
Das hört sich noch richtig weihnachtlich an: Hirten eilen nach Bethlehem, finden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe liegt. Merkwürdigerweise: ein Satz. Ich hätte gerne die Geschichte dazu. Am liebsten sogar eine Wegbeschreibung. Aber wir hören nur, dass die Hirten eilen. Sie verlieren keine Zeit. Das sind sie den Engeln dann auch schuldig. Wir hören noch den Lobgesang, der den Himmel ausfüllt, der dann auf die Erde fällt. Ehre sei Gott in der Höhe – und den Menschen Frieden. Den Menschen, an denen Gott sein Wohlgefallen hat! Die er liebt. Die er ehrt.
Wie schnell ist man eigentlich mit einer Herde? Wenn es schnell gehen soll? Schafe lassen sich nicht hetzen. Sie haben Zeit. Aber eilen heißt hier vielleicht auch nur, ein Ziel fest im Blick zu haben. Bethlehem. Maria und Josef. Das Kind in der Krippe. Ein Satz! „Eilen“ kann sehr bescheiden sein! Vielleicht tatsächlich sogar langsam. Dass die Weihnachtsgeschichte hier ihren Endspurt nimmt, ist allerdings auch wahr. - Warum mache ich so viele Worte?
Hirtenworte
Mit den Worten ist das so eine Sache. Sie sollen, sie wollen etwas entfalten. Nachzeichnen. Wichtig machen. Jedenfalls erzählt Lukas, dem wir diese Geschichte verdanken, dass die Hirten ganz viel erzählen. Sie erzählen, was sie von dem Kind in der Krippe gehört haben, was ihnen gesagt worden war.
Was sie erzählen? Ihre Worte hätte ich gerne, doch Lukas, der so gut erzählen kann wie kaum ein anderer, begnügt sich mit Andeutungen, mit vagen Hinweisen, mit Spuren, die sich irgendwo verlieren. Aber das muss ich dann auch gleich zurücknehmen. Lukas, ein Spezialist für alles, was wichtig ist, aber nicht breitgetreten werden kann, stellt die Hirten ins Licht. Worte werden zu einem Scheinwerfer. Denn die Hirten hatten nichts zu sagen! Vor Gericht hätten sie nicht einmal als Zeugen auftreten dürfen. So desolat war ihr Ruf. Ungebildet, unbegabt, unbehaust. Zu dämlich für die Wahrheit. Fahrendes Volk eben. Vor denen die Leute ihre Türen verschlossen, wenn sie in die Nähe einer Ortschaft auftauchten mit dem blökenden Vieh. Weihnachtsmärchen hören sich anders an.
Aber Lukas vollbringt geradezu ein Wunder: Er erzählt, dass die Menschen staunen! Staunen über das, was die Hirten zu erzählen wissen. Das sind Hirtenworte! Zum Staunen gehört – und Lukas deutet das nur an -, dass Hirten zugehört wird. Dass sie ernst genommen werden. Dass sie – zu Engeln werden. So ganz nebenbei hat Lukas noch ein kleines Geheimnis gelüftet: Die Hirten verkündigen nämlich, was die Engel verkündigen. Hirten und Engel geraten auf einmal in eine Nähe, die von himmlischer Art ist. Einfache Menschen, die zu Himmelsboten werden – und Frieden bringen. Wer jetzt noch einen etwas längeren Atem hat, kann darüber staunen, dass – anders als von alten Historikern behauptet – nicht der Kaiser Augustus der Friedensbringer ist, sondern Hirten. Was für eine Umkehrung! Das ist Evangelium! Evangelium im Mund von Hirten. Und Lukas muss darüber lächeln. Wie man doch mit einfachen Mitteln und ohne ein Wort zu viel die ganze Welt durcheinander bringen kann. Geweiht wurden die Hirten übrigens nicht. Das wäre selbst Lukas zu viel des Guten gewesen.
Herzensworte
Wer jetzt meint, Lukas habe schon sein Pulver verschossen, wird schnell eines Besseren belehrt. Es ist noch eine Steigerung möglich! Und die hat Lukas auch wieder nur in einem Satz hinbekommen: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“. Welche Worte bewahrt Maria, welche Worte bewegt sie in ihrem Herzen? Hirtenworte. Nur Hirtenworte. Während Maria im Stall einen Unterschlupf fand und Jesus zur Welt brachte, waren die Engel zu den Hirten gekommen. Weit weg, muss man annehmen. Jedenfalls so weit weg, dass die himmlische Szene, die sich in der Nacht abspielt, in Bethlehem weder gehört noch gesehen werden konnte. Es sind die Hirten, die die Engelworte, die den Engelgesang, die den Engelglanz nach Bethlehem bringen. Maria erscheint hier als die Hörende – und als die Verstehende. Sie bewegt alle diese Worte in ihrem Herzen. Von der Ehre, Schönheit und Größe Gottes – von dem Frieden, der allen Menschen zuteil wird. Von dem Kind, das Gottes Sohn, Sohn des Höchsten ist. Mir geschehe, wie du gesagt hast, hatte Maria gesagt, als der Engel Gabriel zu ihm kam. Mir geschehe, wie du gesagt hast!
Mir geschehe, was die Hirten sagen. Maria lebt von dem Hörensagen. Sie ist ganz Ohr, sie ist ganz Herz. Lukas erzählt das in einfachen Worten. Gott kann ein Mensch nur verstehen, wenn er hört, wenn er in seinem Herzen bewegt, was zu ihm gesagt wird. Gott lässt sein Wort auch nicht einfach vom Himmel fallen. Er schickt die Hirten los. Einfache Menschen. Sie haben weder studiert noch irgendeine Schrift gelesen, sie haben weder einen Rhetorikkurs belegt noch die Kunst der guten Rede gelernt – sie geben auch einfach nur weiter, was sie gehört, was sie gesehen haben. Wir werden hier zu Zeugen einer Kette, die Wort an Wort bindet, ins Unendliche gehen kann, das ganze Leben zu umfangen vermag.
Dass Hirten eine Schlüsselstellung haben, hat viele kluge Leute, die sowieso alles besser wussten, immer schon aufgeregt und aufgewühlt. Wenn sie überhaupt gemerkt haben, dass Lukas ihnen ihre alte, angeblich ewige Stellung unter der Hand einfach weggenommen hat. Wenn schon Maria die Worte der Hirten bewahrt und bewegt!
Lukas hat etwas gegen die falsche Klugheit, die Sicherheit verspricht, aber Herzen nur gefangen nimmt. Nein, wir sollen im Herzen bewegen, was unser Leben ausmacht, was der Welt Glück und Segen bringt, was uns den Himmel öffnet. Ich sehe Maria. Sie ist glücklich, von den Hirten das Geheimnis Gottes gehört zu haben. Wenn Gott selbst zu den Menschen kommt. Maria hält das Kind in ihren Armen. Ihr Herz ist voll. Die ganze Welt hat Platz in ihrem Herzen. Geliebt.
Rückkehr – Heimkehr
Lukas kennt auch das glückliche Ende dieser Geschichte.
Die Hirten kehrten zurück,
rühmten Gott
und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten,
so wie es ihnen gesagt worden war.
Zurückkehren. Zurückkommen. Die Hirten werden nirgendwo hin berufen. Sie machen keine Karriere. Für ein Ehrendoktorat reicht es auch nicht. Auf ihren Weiden sind sie ganz die alten. Aber sie rühmen Gott! Sie machen ihn groß! Sie erheben ihn! Sie haben etwas gehört und gesehen, das nur ihnen zugekommen ist. Doch: sie haben alles geteilt. Ihr Glück. Das Glück der Welt. Es ist ein großes Wort in der Welt: von der Liebe und Zärtlichkeit Gottes, von seiner Hilflosigkeit und Schwachheit, von seinem Leiden und Sterben, von seiner Auferstehung und seiner Herrschaft. Lukas wird da noch viel zu erzählen haben. Heute sind wir gerade mal am Anfang.
Es ist zum Staunen: Dass wir heute ein Marienfest feiern, genauer: ein Hör-Fest, verdanken wir ganz und gar den Hirten. Ihre Namen kennen wir nicht. Sie haben es in keinen Heiligenkalender geschafft. Aber Gott hat seine Freude daran, uns nicht nur seine Menschwerdung zu verkünden, sondern uns in Menschen zu begegnen, die sein Geheimnis gehört haben. Maria - die große Hörende, die Gottes Wort in ihrem Herzen bewegt. Sie bringt das Wort zur Welt. Und dass die Hirten da eine so große Rolle spielen – wer hätte das gedacht?
Zauberworte für das neue Jahr:
staunen, bewahren, bewegen, rühmen, preisen…
Was ist eigentlich, wenn uns Migranten, Fremde, Verlorene, Fallengelassene in das Geheimnis Gottes einführen? Seine Liebe erwarten? Seine Hoffnung erbitten? Den – einen - Menschen, der ihnen Frieden schenkt…
Die Geschichte mit den Hirten ist längst noch nicht an ein Ende gekommen.
Übrigens, bevor ich Schluss machen muss: Lukas hat uns für das neue Jahr, ganz unverhofft, Zauberworte überliefert: Staunen. Bewahren. Bewegen. Rühmen. Preisen. Wir werden das neue Jahr kaum wiedererkennen – wenn wir alles, was wir gehört und gesehen haben, in unseren Herzen tragen. Unsere Herzen öffnen. Menschen in unsere Herzen nehmen. Zu Herzen nehmen. So, wie es uns gesagt worden war.
Das Kind hat den Namen bekommen, der ihm von Anfang an zugedacht war: Jesus. Gott rettet.
Ein gutes, gesegnetes, gnädiges neues Jahr!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Lopez Weißmann (2001)
Bernhard Zahrl (1999)