Alle Jahre wieder feiern wir mit einer gewissen Hingabe Weihnachten. Selbst wenn sich jemand vorgenommen hat, dieses Jahr mache ich den Weihnachtsrummel nicht mehr mit, wird es ihm/ihr kaum gelungen sein, sich dem Sog des Festes angekurbelt durch Weihnachtsbeleuchtung, weihnachtliche Musik, Weihnachtsmarkt und weihnachtlichem Kaufrausch gänzlich zu entziehen.
Was bleibt von Weihnachten?
Am zweiten Weihnachtsfeiertag legt sich fast schon von selbst nahe, Bilanz zu ziehen. Was leibt von Weihnachten? Mit Sicherheit bleiben überschüssige Kalorien – in gegessener und in ungegessener Form. Wohin mit den vielen Weihnachtskeksen?. Auch sonst wurde längst nicht alles aufgegessen, was für das Fest hergerichtet worden ist. Der Weihnachtsbaum wird's noch ein paar Tage aushalten. Die übrigen Reste vom Feste warten geduldig auf die Müllabfuhr…
Auf der positiven Seite bleiben ein paar Geschenke, die wirklich freuen, einige, die noch weiterverwertet werden können, Gutscheine, die noch eingelöst werden müssen. . .
Und gab es dazwischen nicht das eine oder andere wohltuende Gespräch mit Angehörigen, das ohne den alljährlichen Anlass nicht zustande gekommen wäre? Schließlich war da auch noch der Besuch von Kindern und Enkelkindern oder der überraschende Besuch von Freunden, die ja sonst so beschäftigt sind, dass man sie selten zu sehen bekommt.
Und was bleibt vom eigentlichen Fest?
Die Musik des Festgottesdienstes und der diversen Weihnachtsfeiern ist verklungen, der Inhalt der Ansprachen ist wie die Predigt bei den meisten in der Müdigkeit oder im Alkohol untergegangen. Vielleicht weiß der Redner selbst noch, welchen interessanten Gedanken er dem Festgeheimnis in diesem Jahr hat abgewinnen können. . .
Trotzdem bleibt die Frage: Wo bin ich dem Erlöser, dem Retter der Welt begegnet? Wo habe ich ihn entdeckt? Oder bin ich ihm ausgewichen? "Alles nur Mythen…" Hat er in meinem Leben etwas verändert? Oder noch grundsätzlicher gefragt: Ist durch das Weihnachtsfest, das die Christen Jahr für Jahr feiern, in der Welt etwas anders geworden?
Die Bilanz der Liturgie
Auch die Liturgie zieht am zweiten Weihnachtstag ohne Illusionen und ohne Beschönigung Bilanz. Im Evangelium haben wir sogar aus dem Mund Jesu gehört, dass vieles bleibt, wie es ist, und dass wir uns darüber nicht wundern sollen: Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder, und die Kinder werden sich gegen die Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken. . . Das sind Gegensätze zwischen den Menschen, von denen die Medien ohnehin Tag für Tag berichten. Manche sind erst durch das Auftreten Jesu zu einem Konflikt geworden. Die vielen Religionsbekenntnisse vertreten in Glaubensfragen unterschiedliche Auffassungen und ihre eifrigsten Anhänger fühlen sich berufen, diese mit gnadenloser Härte durchzusetzen. Dazu hätten wir Jesus nicht gebraucht.
In der Lesung haben wir von einem jungen Jesusanhänger namens Stephanus gehört. Voller Begeisterung tritt er für den neuen Weg ein, den Jesus eingeleitet hat. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund, provoziert Widerspruch, verletzt mit seinen Worten die Gegner, lässt die Geschichte eskalieren und wird schließlich von der aufgebrachten Menge ermordet. Berichte dieser Art sind uns auch aus der Gegenwart vertraut. – Was ist anders?
Die Geschichte des Stephanus ist exemplarisch für das, was durch das Leben und Wirken Jesu ausgelöst worden ist: Sein neues Gottesbild und die Konsequenzen, die er daraus für seine Lebensweise zieht, führen zu einer neuen Sichtweise der Geschichte Gottes mit den Menschen und zu einer neuen Gottesbeziehung der Anhänger dieses neuen Weges. Der Inhalt der Predigt des Stephanus, in der er dies vor seinen Zuhörern ausbreitet, wurde in der Lesung aus Rücksicht auf die Ungeduld vieler Mitfeiernder ausgelassen.
Das Loch im Himmel
Das Neue an dieser Sichtweise wird in einem Bild zusammengefasst: Stephanus sieht in seinem Sterben den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes sitzen. Durch die Geburt, das Leben, Sterben, Auferstehen und Himmelfahrt Jesu ist jene Decke, die Himmel und Erde auseinanderhält, aufgerissen worden. Sie ist durchlässig geworden. Himmel und Erde sind näher zusammengerückt. Göttliches und Menschliches können nicht mehr so konsequent wie bis dahin getrennt und auseinander gehalten werden.
Was bleibt vom Weihnachtsfest? Kurz und bildhaft ausgedrückt: Das Loch im Himmel. Himmel und Erde, Geist und Fleisch in der Sprechweise des Evangelisten Johannes, gehören zusammen und dürfen auf Dauer nicht mehr getrennt betrachtet werden.
Und Ihre Bilanz?
So gesehen hat es sich für Sie vielleicht doch gelohnt, dieses Fest zu feiern. Ist nicht in all den Bemühungen, das Fest schön und friedlich werden zu lassen, es mit allen Sinnen zu genießen, auch viel von jener Liebe enthalten, die uns der Erlöser Jesus Christus ans Herz gelegt hat? Liebe geht eben durch den Magen, nimmt den Umweg über Geschenke und bedient sich ritueller Wiederholungen, bis sie ankommt. Oft ist sie so unbeholfen, tollpatschig und für Außenstehende lächerlich, dass sie leicht übersehen wird.
Zum zweiten Weihnachtsfeiertag wünsche ich Ihnen ein wenig zeit, all das, was sich in den letzten Tagen angehäuft hat an Geschenken, Erfahrungen und Begegnungen zu sortieren, den Inhalt von der Verpackung zu trennen und in Ruhe zu genießen, was Ihnen Ihre Lieben vermitteln wollten. Und ich vertraue darauf, dass Ihnen damit der Himmel ein Stück näher gekommen ist.