Mistbeete und Gewächshäuser
Meine Heimatpfarrgemeinde wurde lange Zeit als das "geistliche Mistbeet" der Diözese Graz-Seckau bezeichnet, da aus ihr verhältnismäßig viele Priester- und Ordensberufe hervorgegangen sind. Umsichtige Seelsorger haben immer wieder Ausschau nach braven, frommen und ausreichend begabten Buben aus sogenannten guten Familien gehalten und dafür gesorgt, dass diese ins Seminar – zu Deutsch "Gewächshaus" - der Diözese, aufgenommen wurden. Seit einigen Jahrzehnten funktioniert dieser Weg aber nicht mehr richtig. In der guten alten Zeit gewann man auf diese Weise ausreichend Diözesan- und Ordenspriester, wie auch Nachwuchs für Schwesternorden. Wie aber kommt man heute zu geistlichen Berufen?
Im Evangelium übt Jesus harte Kritik an den geistlichen Führern seiner Zeit. Er greift dazu ein Bild des Propheten Ezechiel auf, in dem Gott den Anführern des Volkes androht, dass er selbst die Hirtenaufgabe für sein Volk übernehmen werde (Ez 34,10 ff). Jesus selbst ist sowohl der Gute Hirte, der die Seinen kennt und auf dessen Stimme die Schafe hören, wie auch die Tür zu den Schafen. Nur wer durch ihn den Schafstall betritt, ist ein vertrauenswürdiger Hirt der Schafe.
Beide Bilder stammen aus einer agrarischen Kultur und sind vielen Menschen nicht mehr unmittelbar zugänglich. Während im Bild des Mistbeetes und des Gewächshauses der Schutz der angehenden Seelsorger im Vordergrund steht und diese dann ausgesetzt werden, wenn sie ausgewachsen sind, geht es im Bild des Hirten um den Schutz der Herde. Vom Hirten wird gefordert, dass er für seiner Aufgabe Erfahrung im Umgang mit den ihm anvertrauten Tieren mitbringt und mit ihnen vertraut ist. Es sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Weckung und Förderung von geistlichen Berufungen.
Wie erlernt man den Hirtenberuf?
Einer meiner Schulkollegen hat durch mehrere Sommer hindurch jeweils mehrere Wochen bei einer befreundeten Familie auf einer Tiroler Hochalm verbracht. Für ihn als Kind der Großstadt war das eine harte Schule. Nach den Ferien erzählte er begeistert davon, was ihm da alles abverlangt wurde.
Ich selbst bin in einer bäuerlichen Umgebung aufgewachsen. Der Umgang mit Tieren war mir und meinen Geschwistern von klein auf bekannt und täglich vertraut.
Jesus hat sich systematisch Jünger ausgewählt und sie an seinem Leben und an seiner Sendung Anteil nehmen lassen. Von ihm haben sie gelernt, dass er ein Herz für die Schwachen und Kleinen im Volk hatte, dass er Mitleid mit den vielen Menschen empfand. Für ihn waren sie müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben (Mt 9,36). Er verkündete ihnen das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und Leiden. Wegen der großen Ernte wählt er die Zwölf aus, nennt sie mit Namen und sendet sie aus, das Gleiche zu tun, wie er getan hat (Mt 9,35 – 10,6).
Trotz des Umgangs mit Jesus und seines Beispiels sind die Jünger nicht frei von ganz anderen Wunschvorstellungen und Berufsträumen. Es beschäftigt sie, wer der Größte unter ihnen sei und wer in seinem Reich zur Rechten und zur Linken Jesu sitzen dürfe...
Jesus als Tür zu den Schafen
Vor diesem Hintergrund wird klarer, was Jesus mit dem Bild von der Tür zu den Schafen gemeint haben könnte, von dem wir im Evangelium gehört haben. Jesus selbst hat sein Leben hingegeben für die Seinen. Er war ganz für sie da. Dies befähigt zum Hirtendienst und legitimiert ihn zugleich. Auf die Hingabe kommt es an. Diese erwartet er auch von seinen Hirten.
Im Hirtenamt geht es nicht um die Ausübung einer hierarchischen Macht. Wer Hirte nach dem Bilde Jesu sein will, muss in seine Hingabe für die Menschen hineinwachsen. Auf andere Weise kann er das Vertrauen der Herde nicht gewinnen.
Muttertag
Heute ist Muttertag; Anlass, wenigstens an einem Tag im Jahr darüber nachzudenken, was wir unseren Müttern (und Vätern) verdanken und wie wir es ihnen danken können. Die Beziehung zu den eigenen Eltern ist für jeden Menschen einzigartig. Es geht nicht darum, die eigenen Eltern als die beste Mutter, den besten Vater der Welt erlebt zu haben – oder es ihnen nachzutragen, dass sie dazu nicht imstande waren. Wie viel auch immer sie einem Kind ins Leben mitgegeben haben, es ist ein untrennbarer Teil ihres Lebens. Und dafür gilt es dankbar zu sein.
Dass dies nicht so selbstverständlich ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass manche Menschen nicht bereit sind, sich mit Nachwuchs zu belasten und diesem einen Teil ihres Lebens zu opfern. Elternschaft enthält den Anspruch des Hirt-seins, wie ihn Jesus fordert. Elternschaft bedeutet, für andere da zu sein und alles in der eigenen Macht Stehende zu tun, dass die jeweils Anvertrauten sich bestmöglich entfalten können.
In der Spur des Guten Hirten
Die Kirche hat in den letzten Jahrzehnten bei vielen Menschen Vertrauen verloren. Die Missbrauchserfahrungen sind dabei zwar ein gewisser Höhepunkt, sie sind jedoch nicht allein für den Vertrauensverlust verantwortlich. Der Entwicklung dahin hat viele Schattierungen. Zwischen einer Seelsorge, die den ganzen Menschen zur Entfaltung bringen will, und flächendeckender Versorgung mit pastoralen Diensten besteht ein feiner Unterschied, der sehr wohl von vielen wahrgenommen wird und dem hohen Ideal der Hirtenschaft nicht entspricht. Und oft haben Menschen den Eindruck, das Einhalten von Prinzipien sei wichtiger als die Entfaltung des Menschseins, das statistische Wachstum wichtiger als das Wachsen der Persönlichkeit. Es wäre unfair, wollten wir all diese Entwicklungen dem Klerus allein anhängen. Ich fürchte, wir haben uns alle gemeinsam oft mehr vom Zeitgeist als vom Evangelium leiten lassen.
Am Sonntag des Guten Hirten und am Sonntag der geistlichen Berufe tun wir aber auch gut daran, all jenen zu danken, die nach dem Vorbild des Guten Hirten ihre Lebenskraft für das Reich Gottes einsetzen. Dieser Dank gilt einerseits den "klassischen" geistlichen Berufungen, den Priestern, Diakonen, Ordensleuten, Religionslehrern, Gottesdienst- und Gemeindeleitern, aber auch allen Christen, die ihre Berufung auf eine andere Weise verwirklichen und auf andere Weise für das Volk Gottes und Reich Gottes da sind; nicht zuletzt den Müttern und Vätern, die ihre Elternschaft als Berufung wahrnehmen.
Danke allen, die in den Fußstapfen des Guten Hirten Jesus ihren Weg gehen.