Lesung aus dem Buch Jesája.
Sagt den Verzagten: Seid stark,
fürchtet euch nicht!
Seht, euer Gott!
Die Rache kommt, die Vergeltung Gottes!
Er selbst kommt und wird euch retten.
Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben werden geöffnet.
Dann springt der Lahme wie ein Hirsch
und die Zunge des Stummen frohlockt,
denn in der Wüste sind Wasser hervorgebrochen
und Flüsse in der Steppe.
Der glühende Sand wird zum Teich
und das durstige Land zu sprudelnden Wassern.
(Lektionar 2018 ff. © 2024 staeko.net)
Wohlvertraute Worte aus der Adventszeit! Die Lesungen in der Liturgie bereiten uns dann vor auf die Ankunft des Herrn in der Krippe. Wenn Jesaja aber von Rettung durch den Herrn spricht ist, da nicht zuerst von der Ankunft eines Kindes die Rede, sondern von Gottes machtvollem Tun in einer desaströsen Lage des Volkes Israel: Fremde Völker setzten zunächst das Nordreich Israel und später das Südreich mit Jerusalem unter Druck und überfallen beide Teile. Diese historische Darstellung lässt uns wissen: Gottes Rettung ist kein lineares Geschehen. Nach der Errettung aus Ägypten ging es eben nicht immer nur erfolgreich und gut nach vorn. Dem Volk ist Vieles widerfahren, was nichts mit versprochenem Heil zu tun hat. Den Glauben an diesen Gott, der immer wieder rettet, aufrechtzuerhalten, war Aufgabe der Propheten. Das Versprechen, dass Gott da ist (»Jahwe«), stand aber zu allen Zeiten unverbrüchlich im Raum.
Der Text dieser Lesung ist ein kurzer Abschnitt aus der sogenannten "Jesja-Apokalypse" (das 34. Kapitel des Jesajabuches handelt vom Weltgericht und im 35. Kapitel wird das endzeitliche Heil beschrieben). Obwohl der Prophet zum Volk Gottes während dessen Verbannung in Babylonien spricht, dürfte der Text höchstwahrscheinlich aus der Zeit nach dem Exil stammen.
Das Volk Gottes ist verzagt, da die Hilfe seines Gottes ausbleibt. In diese Situation hinein wird das Gericht über die Feinde Israels und die Rettung Israels - das Kommen seines Gottes - angekündigt. Die Getreuen müssen aber tapfer und mutig sein (vgl. dazu auch: 1Kön 2,2; Dtn 11,8; Ps 46,8; Jes 12,2). Wenn Gott selbst zu seinem Volk kommt, dann bleibt das nicht ohne Folgen: er wird die Folgen der Schuld wegnehmen (Taubheit, Blindheit etc. galten in der damaligen Zeit als "Folgen" sündhaften Verhaltens, wobei die Behinderung auch aufgrund eines Vergehens vorheriger Generationen entstanden sein konnte).
Das Bild der Verwandlung der Wüste in eine fruchtbare Landschaft ist ein in der Bibel öfter vorkommendes Motiv. Es soll die Wandlung des Menschen und das Kommen des Heils auch in der Natur ausdrücken und versinnbildlichen. Dieses fruchtbare Land dient dann wiederum dem Menschen als Grundlage für ein Leben ohne jeglichen Mangel (vgl. dazu auch: Esr 3,8; Dtn 8,7-10; Ps 107,33; Jes 50,2; Jer 2,11).
Die erste Lesung ist dem Buch des Propheten Jesaja entnommen. Die Kapitel 1 bis 34, die unserem Text vorangehen, werden dem 8. Jahrhundert vor Christus zugeordnet, die Kapitel 40 bis 55 der späten Exilszeit (6. Jhdt. v. Chr.). Das Kapitel 35 will eine Art Brücke zwischen beiden Abschnitten schaffen; es hat Bezüge zu beiden Buchteilen. In gewissem Sinn ist es überzeitlich.
Der vorliegende Text (vgl. auch die Gesamtkomposition 35, 1-10) will Zuversicht wecken und Mut zusprechen. Mut zu machen ist zugleich eine Aufgabe. Der Grund der Hoffnung ist das Kommen Gottes, der sein Volk erretten wird. Diese Hoffnung wird in mehreren Kreisen von Bildern zum Ausdruck gebracht:
- Augen und Ohren werden geöffnet, Lahme und Stumme geheilt (Verse 5-6a)
- In der Wüste wecken Quellen, Bäche und Teiche neues Leben (Verse 6b-7)
- Das Ödland wird wegsam (Vers 8)
- Die Erlösten werden nicht mehr von wilden Tieren bedrängt (Vers 9)
- Die Rückkehr der Befreiten (Vers 10)
Martin Stewen (2024)
Bernhard Zahrl (2000)
Hans Hütter (1997)