Lesung aus dem Buch Jesus Sirach.
Groll und Zorn, auch diese sind Gräuel
und ein sündiger Mann hält an ihnen fest.
Wer sich rächt, erfährt Rache vom Herrn;
seine Sünden behält er gewiss im Gedächtnis.
Vergib deinem Nächsten das Unrecht,
dann werden dir, wenn du bittest, deine Sünden vergeben!
Ein Mensch verharrt gegen einen Menschen im Zorn,
beim Herrn aber sucht er Heilung?
Mit einem Menschen gleich ihm hat er kein Erbarmen,
aber wegen seiner Sünden bittet er um Verzeihung?
Er selbst – ein Wesen aus Fleisch, verharrt im Groll.
Wer wird seine Sünden vergeben?
Denk an das Ende,
lass ab von der Feindschaft,
denk an Untergang und Tod
und bleib den Geboten treu!
Denk an die Gebote
und grolle dem Nächsten nicht,
denk an den Bund des Höchsten
und übersieh die Fehler!
Das Sirach-Buch ist im 2. Jahrhundert vor Christus im hellenistisch geprägten Judentum entstanden. Der Autor Sirach leitete in Jerusalem ein Lehrhaus, seine Schrift wird als Zusammenfassung seines Unterrichtes angesehen. Später übersetzte sein Enkel diese Schrift ins Griechische und erweiterte sie.
Die Worte der Versöhnung, die wir gehört haben, sind zuerst einmal eine eindringliche politische Mahnung an das israelitische Volk der damaligen Zeit. Da sind verschiedene Kulturen in Jerusalem stark geworden, unter ihnen die griechische. Abgrenzung und Bekämpfung forderten zunächst viele wirtschaftliche Ressourcen, die nach Kriegszeiten knapp waren, daher wurde Versöhnung und Kooperation auch unter diesen Aspekten gepredigt. Dieses Zusammengehen der verschiedenen Kulturen in Judäa geschah dann nicht nur in ökonomischen, sondern auch in gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen des Lebens. Davon ist das ganze Sirach-Buch durchzogen. Gleichzeitig warnt es aber auch vor einer Durchmischung (Synkretismus) der Religionen: Der Jahwe-Glaube sollte rein gehalten werden.
Jeder Mensch ist angewiesen auf die Vergebung seiner Sünden durch Gott. Aber Gott wird ihm am Ende seines Lebens nur vergeben, wenn er seinen Zorn und seine Rachsucht ablegen kann. Der Gedanke an das Ende müßte jede Form der Feindschaft eigentlich schon im Keim ersticken und den Menschen anleiten, den Geboten Gottes zu folgen. Wer durch den Bund sich mit Gott so eng verbunden weiß, muss bereit sein, sich mit dem Nächsten, d.h. für die Menschen des Alten Bundes zunächst den Angehörigen des eigenen Volkes, zu versöhnen.
In diesem Sinn wirkt dieser Text aus dem 2. Jhdt vor Christus geradezu neutestamentlich und wie ein Vorläufer der Bitte im Vaterunser: "Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben." (Mt 6,12) oder: "Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben." (Mt 6,14).
Das Buch Jesus Sirach ist die einzige Weisheitsschrift, deren Verfasser namentlich bekannt ist: Jesus, Sohn des Sirach (51,30b). Das Buch gehört nicht zum Kanon der jüdischen Bibel. Es entstand um 190 v. Chr., also vor dem Aufstand der Makkabäer. Das Buch ist eine Sammlung von Lebens- und Verhaltensregeln. Vergebung und Versöhnung stehen u. a. im Mittelpunkt. Wer am Zorn Mitmenschen und auch sich selbst gegenüber festhält, kann nicht mit Gott versöhnt sein. Das Buch ist geprägt vom Tun-Ergehen-Zusammenhang: von meinem Verhalten hängt es ab, wie es mir ergeht. Umkehr ist möglich, wo ein Mensch gottesfürchtig lebt. Das Engagement für die Armen zieht sich durch die Weisungen.
Der Lesungsabschnitt erinnert an die Vergebungsbitte im Vater unser. Das Loslassen des eigenen Zorns und die Bereitschaft zu vergeben sind Voraussetzungen, um selbst Heilung und Heil zu erlangen. Der Zusammenhang: Gott-Mitmensch-ich selber ist der Maßstab für die Versöhnung: Versöhnung mit Gott ist erst möglich, wenn wir unseren Mitmenschen gegenüber entsprechend handeln. Unsere Beziehung mit Gott und unsere Beziehung zu den Mitmenschen gehören untrennbar zusammen.
Das Buch Jesus Sirach ist nach dem Autor benannt. Es entstand etwa 180 vor Christus in Jerusalem und enthält Lebens- und Verhaltensregeln.
Unser Lesungsabschnitt ist bedeutsam, da er Zeugnis einer differenzierteren Ethik ist als etwa eine Ethik nach dem Grundsatz "Aug um Auge, Zahn um Zahn". Jesus Sirach fordert Vergebung, weil nur Gott allein den Menschen vom Bösen zu heilen vermag, und die Rache das Unrecht nicht wieder gutmachen kann. Der Mensch ist auf die Vergebung Gottes angewiesen. Deshalb tut er gut daran, an sein Ende zu denken, von Feindschaft abzulassen und jenen zu verzeihen, die ihm Unrecht getan haben.
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