Spurensuche
Was tun wir hier und heute eigentlich? Was bewegt uns heute zur Feier dieses Tages? Warum begehen wir ein Fest, das ein wenig verstört, - dass sogar die Ökumene mitunter richtig stört? Was ist dran an Fronleichnam, an diesem Tag, der sowohl aus dem Leben unseres Glaubens wie auch aus der theologischen Reflexion so ganz schlecht zu begründen ist?
Das "Hochfest des Leibes und Blutes Jesu”, so die offizielle Bezeichnung, fällt stets auf den 60. Tag nach Ostersonntag. Seine Mitte ist natürlich die Feier der Eucharistie. In deren Anschluss erfolgt die Prozession, das Austragen des Allerheiligsten durch die Straßen unseres Dorfes. Eine zutiefst katholische Demonstration, wie es scheint. Konfessionelle Provokation lässt sich erahnen. Der Reformator Martin Luther etwa lehnt solche Fronleichnamsprozessionen dringlichst ab und schließt seine Mahnungen an die Menschen mit den Worten: "Darum hütet euch vor solchem Gottesdienst.”
Ohne Bibel
Auch verdanken wir dieses Fest keineswegs einem Christus-Ereignis, das uns die Schrift berichtet, oder einer anderen biblischen Überlieferung. Den Anstoß zur Feier dieses Festes lieferte die Ordensschwester Juliana ihrem Bischof von Lüttich: Sie berichtete im Jahr 1209, sie habe in einer Vision den Mond gesehen, der an einer Stelle verdunkelt war. Christus habe ihr erklärt, dass der Mond das Kirchenjahr bedeute, der dunkle Fleck das Fehlen eines Festes des Altarssakraments. Der wesentliche Grund für die verbindliche Einführung unseres heutigen Festes für die ganze Kirche war dann wohl auch eher von handfester, kirchenpolitischer Natur: Es diente im Jahr 1264 dem damaligen Papst als Provokation und Verfolgungsgrund gegen all jene innerkirchlichen Gegner, die die leibhafte Gegenwart des Herrn unter den Gestalten von Brot und Wein leugneten.
Was wir also tun, tun wir nicht auf dem Fundament unseres Credos, tun wir nicht, weil es eine Konsequenz unseres Glaubens ist. Was wir heute tun, tun wir, weil es die Kirche seit fast 800 Jahren - mit Unterbrechungen - immer getan hat. Und da stellt sich dann die Frage: Kann man denn dann heute im Angesicht von Bemühungen in der Ökumene und um den Frieden zwischen den Konfessionen guten Gewissens so Fronleichnam feiern, wenn man bedenkt, wieviel Ärger dieses Fest ausgelöst hat, wie sehr es stören könnte?
Wir tun's trotzdem
Ich meine ja. Dazu ist notwendig, sich von sehr alten Vorstellungen und Gedanken, die diesem Fest angehängt sind, zu trennen und intensiver hinzuschauen, was für eine lebensspendende Bedeutung es auch für uns heute in sich trägt. Einen wichtigen Anstoß zu solch einer Veränderung der Sicht auf das Fronleichnamsfest lieferte vor recht genau 50 Jahren das Zweite Vatikanische Konzil mit der Konstitution über die Kirche, Lumen Gentium. Darin wird die Kirche gesehen als Volk, das sich um den Herrn versammelt durch die Zeit bewegt - und dabei schaut, was rechts und links am Weg, den sie geht, passiert. Die Kirche als pilgerndes Volk Gottes auf Wegen von bekanntem zu neuem Terrain, von vergangenen Zeiten in die Zukunft, von Gewohntem und Tradiertem zu Neuem und Unbekannten. Durch alle Zeiten hindurch sollte die Kirche darauf bedacht sein, die Zeichen der Zeit mit wachen Augen wahrzunehmen und sie im Licht des Glaubens zu deuten, wenn sie wirklich das sein will, was sie sein soll: lebendiges Zeichen, glaubwürdiger Hinweis auf die Zuneigung Gottes, die er uns versprochen und immer wieder hat erfahren lassen.
Es geht um dich
Genau das wollen wir auch heute ausdrücken, wenn wir uns mit dem Allerheiligsten auf den Weg machen: Wir schauen nicht herab auf irgendwas und irgendwen, wir schauen vielmehr zum erhöhten Christus hinauf und lassen uns von ihm für unser Leben inspirieren und bestärken. Wie einst das wandernde Volk Israel im Zeichen des Mannas Gottes Gegenwart spürte und daraus Kraft schöpfte für den eigenen Weg durch die Wüste. Wir wollen nicht abgrenzen und Terrain markieren und alles Weltliche religiös erneuern. Sicher finden sich in unseren Kirchen solche Tendenzen, sie sind aber höchst unzuträglich und schaden der Glaubwürdigkeit der Kirche.
Wir erleben in der Prozession, die wir gleich gehen wollen, auch, dass unser Glaube nicht nur an heiligen Orten stattfindet, sondern auch dort, wo alles Andere des Lebens vorkommt - mitten auf der Straße. Wir nehmen die Erfahrung auf, dass ein Glaubensleben keine Grenzen von Kirchenmauern kennt. Wir stellen fest, dass Heiliges und Weltliches nicht voneinander zu trennen ist, dass Christsein nicht mit dem Schlusssegen des Gottesdienstes endet. Dass der Christ, der seinen Glauben aus tiefstem Herzen lebt, alles Weltliche nicht nur angucken darf, sondern eben auch anschauen muss.
Einen Glaubensweg gehen
So feiern wir dieses Fronleichnamsfest nicht als Botschaft an andere Menschen, wir feiern es vielmehr für uns selbst. Wir werden auf uns selbst zurückgeworfen: Das Fest soll uns Kraftquelle und Ansporn sein für da ganze Leben. Was auch immer Juliana von Lüttich am Himmel gesehen hat, was auch immer Papst Urban für eine Kirchenpolitik im Sinn hatte, wir dürfen es darauf beruhen lassen. Zuerst geht es heute darum, zu erfahren, "dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern von jedem Wort lebt, das aus dem Mund des Herrn hervorgeht", wie es soeben in der alttestamentlichen Lesung hieß. Und das hat zuerst was mit uns selbst zu tun. Gehen wir dem gleich in Kopf und Herz nach, wenn wir mit den Füssen betend und singend über unsere Straßen gehen.