Die erste Lesung und das Evangelium des heutigen Sonntags befassen sich mit der gleichen Frage: Wer wird gerettet? Wenn auch in verschiedenen Bildern dargestellt, so lautet die Antwort für beide Texte: Gerettet werden alle, die sich Gott zuwenden, ihn ehren und damit nach seinen Weisungen leben.
Da die Völker rings um Israel sich vielen Göttern und nicht dem einen wahren Gott zuwandten, verfestigte sich im Denken des jüdischen Volkes die Ansicht, dass ihnen allein Rettung und Heil von Jahwe zukomme. In der heutigen Lesung erleben wir, wie dieses Denken der Frühzeit Israels aufgebrochen wird. Der Verfasser des dritten Jesaja-Buchs, aus dem die Lesung stammt, schildert, dass durch Gottes Wirken die Heidenvölker zum Tempel nach Jerusalem wallfahrten werden. Wir können uns leicht vorstellen, dass dieses Bild symbolischen Charakter trägt. Natürlich werden nicht alle Völker den Weg nach Jerusalem antreten; aber - so soll gesagt werden - sie machen sich auf zu dem Gott, der im Tempel von Jerusalem verehrt wird: zu dem Gott, der die Gedanken der Völker kennt. Das heißt: zu jenem Gott, der im Gegensatz zu den Göttern wahrhaft ein Gott ist und dazu Gott aller Völker und Menschen dieser Erde.
Zerbrochene Hoffnungen
Dieses neue Denken stand auf einem geschichtlichen Hintergrund. Israel hatte erlebt, dass die Vorstellung, Jerusalem sei als die Stadt Gottes uneinnehmbar, eine Fehlspekulation war. Wenn es auch vieler Anläufe bedurfte, am Ende eroberten die Babylonier Jerusalem, zerstörten den Tempel und führten viele Israeliten in die babylonische Gefangenschaft. Unerwartet erlaubte Kyros - nach siebzig Jahren Exil - den Gefangenen die Rückkehr in die Heimat.
Sofort ging man daran, den Tempel und die Stadt wieder aufzubauen. Das Leben normalisierte sich. Man lebte in Freiheit und konnte einen gewissen Wohlstand bewirken. Die Menschen, die die Verbannung noch bitter am eigenen Leibe erfahren hatten, starben nach und nach. Die neu her-anwachsenden Generationen kannten die Leiden des Exils lediglich aus Erzählungen. Ihnen selbst bereiteten sie keine akuten Schmerzen. So war es nicht verwunderlich, dass das Feindbild und der bittere Hass gegenüber Babylon schwach und schwächer wurde und keine besondere Rolle mehr im Alltagsleben des Volkes spielte.
Ein neues Gottesbild
Auf diesem Hintergrund begann - religiös gesehen - eine Zeit der Neubesinnung. Befreit vom alten Feindbild-Denken erhob sich die Frage, warum man Jahwe, den Gott des Alls, nur für sich allein als Gott des Heils beanspruche. Und nicht wenige erkannten, wie die Feindbilder zu den Nachbarvölkern das alte religiöse Denken stark mit geprägt und eingeengt hatten. Sie begriffen auch, dass mit der engen Sicht "Jahwe ist allein unser Gott" ihrem Gott Jahwe als dem Herrn der Welt Unrecht angetan wurde, wenn er nur als der Gott Israels gesehen würde. So gab es nicht wenige, die in ihrem Bemühen, den Glauben zu erneuern und von falschen Vorstellungen zu reinigen, für ein Umdenken über Gott eintraten. Sie proklamierten ein neues Gottesbild, wonach Jahwe keine Staats- und Völkergrenzen kennt. Sie verkündeten ihn als den Gott aller Rassen und Nationen, aller Menschen auf dieser Erde, deren Heil Gott will und sucht.
Dieser Neuerungsbewegung gehörte der Verfasser des dritten Jesaja-Buchs an. Wir können uns leicht ausmalen, dass nicht alle im Volk der neuen Sichtweise begeistert zustimmten, zumal der Schreiber als Gottes Wort ankündigte: Die Fremden aus den Heidenvölkern werden eure Brüder - gedacht ist wohl an Juden, die sich in der Fremde niedergelassen hatten - auf Rossen und Wagen, auf Maultieren und Dromedaren aus ihren Ländern mitbringen zum Tempel in Jerusalem - gleichsam als ihre Opfergabe für den Herrn. Dass Juden durch Heiden in die Nähe Gottes gebracht werden sollten, dieser Gedanke wirkte für viele stolze Juden fast wie eine Gotteslästerung. Und ebenso die Behauptung, Gott werde aus den Heiden Männer als Priester und Leviten auswählen. Das ging vielen in ihrem religiösen Denken denn doch zu weit.
Die Spannung zwischen denen, die das neue Gottesbild als Bereicherung annahmen, und denen, die im alten Denken verharrten, hielt sich bis in die Zeit der Urkirche. Immer wieder gab es Judenchristen, die von den Heiden verlangten, durch die Beschneidung erst Juden zu werden, um sich danach dem Christentum anzuschließen.
Gott lädt alle ein
Was mir für unsere Überlegungen in der Lesung wichtig erscheint, ist dies. Der Schreiber des dritten Jesaja-Buches stellt heraus: Gott ist es, der die Initiative ergreift und auf die Heidenvölkern einwirkt. Er sendet die Boten aus. Er beruft Priester und Leviten. Die Aufgabe der Menschen ist es, sich Gott zuzuwenden, aufzubrechen zu ihm hin. Auch wenn der Prophet begeistert schreibt "die" Völker, "die" Nationen werden aufbrechen, ist ihm in der Realität klar, dass sich nicht alle Menschen Gott zuwenden werden. Aber ihre Zahl wird nicht gering und nicht klein sein. Und alle, die ihr Herz Gott zuwenden, die sich aufmachen, ihn zu preisen und damit seine Weisungen und seinen Willen anzuerkennen, werden seine Herrlichkeit schauen - das heißt: seiner Gnade und seiner Huld begegnen.
Damit sind wir ganz dicht am Evangelium, wo die Frage gestellt wird: Herr, sind es viele oder nur wenige, die gerettet werden? Jesus gibt auf die sehr konkrete Frage nach der Anzahl keine Antwort, sondern erklärt, wer auf Heil und Rettung vertrauen darf.
Es sind nicht automatisch jene, die sagen können: Wir haben doch mit dir gegessen und getrunken und auf den Straßen deinen Lehren zugehört.
Es sind nicht automatisch jene, die im alttestamentlichen Denken sagen können: Wir haben doch Abraham zum Vater, wir gehören zum auserwählten Volk.
Es sind nicht automatisch jene, die in der Zeit des Christentums sagen: Wir sind doch getauft und nicht aus der Kirche ausgetreten.
Auf Heil und Rettung dürfen alle hoffen, denen Jesus bescheinigen kann: Du hast nach deinem Vermögen, mit deinen Kräften, in deinem Bemühen grundsätzlich Recht getan. Gleichsam um aller Verwässerung dieser Aussage entgegen zu wirken, gebraucht Jesus sehr harte Worte für die, die lediglich an die Himmelstür anklopfen wollen, um Einlass zu finden. In unsere Sprache übersetzt antwortet ihnen Jesus: Wer seid ihr? Ich kenne euch nicht, wir hatten nichts miteinander zu tun. Und dann kommt dieses harte, aber deutliche Wort: Weg von mir!
Gelebte Antwort auf die Einladung Gottes
Es kommt also auf unser Tun, auf unsere gelebte Antwort gegenüber Gott an. Dass wir dabei als Menschen auch wiederholt versagen, vielleicht sogar massiv, ist weder Gott noch Jesus ein Problem. Wo wir uns neu einklinken, neu aufbrechen und uns Gott zuwenden, wird er sich unser in seinem Erbarmen liebevoll annehmen. Jesus verurteilt nicht den reumütigen Sünder, der in seinen Verfehlungen Unrechtes getan hat. Sofern er sich in seiner Schwachheit und nach seinem Versagen der Gnade Gottes neu ausliefert und das Rechte und Gute neu anstrebt, zählt er zu denen, die Jesus bekannt sind.
Nicht bekannt, so würde Jesus sagen, sind mir jene, die an mir vorbei leben, die keine Beziehung zu mir aufbauen, die nach meinem Willen nicht fragen. Diese müssen deswegen nicht gleich böse Menschen sein. Aber indem sie nach Gottes Willen nicht fragen und nicht klären, welche Erwartungen Gott an sie hat, welche Aufgabe sie im Namen Gottes mit ihren Kräften, Talenten und den sich ihnen bietenden Möglichkeiten übernehmen sollen, werden sie nicht zu Bundespartnern Gottes, nicht zu Mitarbeitern in seinem Weinberg. Sie sind wie solche, die Gott völlig unbekannt geblieben sind. Uns davor zu hüten, ist das Anliegen Jesu und des Seelsorgers Lukas, der uns diesen Text überliefert hat.
Wenn wir die Worte der Lesung, des Evangeliums und unsere Gedanken zusammenfassen, können wir festhalten: Gott ist ein Gott aller Menschen, deren Heil er will und sucht. Aber wir Menschen müssen auf Gottes Initiativen auch reagieren, uns ihm zuwenden und anstreben, seine Partner zu sein - nicht sündelos oder fehlerfrei, aber mit dem festen Willen, nicht ohne ihn, sondern mit ihm verbunden leben zu wollen.
Wo dies geschieht, gehören wir zu denen, die - bildlich gesprochen - aufbrechen nach Jerusalem zum Tempel des Herrn, die die Herrlichkeit Gottes - d.h. seine Größe und seine alles überragende Menschenfreundlichkeit - sehen werden, die durch ihr Gott verbundenes Leben Menschen mit auf den Weg zu Gott nehmen, was die schönste Gabe ist, die wir Gott mitbringen können.