Das fleischgewordene Wort Gottes ist als Licht in die Welt gekommen. In einer dunklen Zeit brauchen wir es. Dieses wahre Licht kann nur mit den Augen des Herzens gut gesehen werden.
Lichtvolle Seiten
Hell sind unsere Tage nicht gerade. Es wird nicht nur früh dunkel – die Nachrichten des Tages geben uns den Rest. Ob die Augen des Herzens, von denen im Brief an die Gemeinde zu Ephesus die Rede ist, erleuchtet werden können? Ein Schüler des Apostel Paulus hat dieses schöne Bild gefunden. Nur: können die Augen des Herzens mehr sehen als die beiden Augen, die so keck in die Welt schauen? In denen wir so vieles lesen können? In denen sich Menschen sogar verlieren (und verlieben) können?
Aber die Augen des Herzens sind wohl ein Geschenk. Für die, die von Gott erwählt, geliebt und gesegnet sind. Wir sollen sehen können, zu welcher Hoffnung wir berufen sind, welcher Reichtum uns zuteil wird, welcher Geist unter uns waltet. Eine ganz eigene Welt tut sich auf, in der nicht nur die Liebe alles zählt und wiegt, sondern Gottes Lob in allen Dingen liegt. Wie sagte der Kleine Prinz? „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“
Den Briefschreiber würde ich gerne kennen, aber er hat es vorgezogen, sich hinter einem großen Namen zu verstecken. Aber auch so ist es eine lichtvolle Geschichte: Gott hat uns aus Liebe, vor aller Zeit schon, ohne unser Zutun, als seine Söhne und Töchter, als seine Kinder bestimmt – und eben auch als Erben.
Die Augen des Herzens! Sie sehen tatsächlich mehr als das, was vor Augen ist. Sie sehen Gott. Hell sind unsere Tage nicht gerade. Es wird nicht nur früh dunkel – uns kommt die Hoffnung abhanden. Doch mitten drin: Gott.
Im Anfang
Probieren wir doch einmal, mit den Augen des Herzens zu sehen! Was sehen wir? Wir sehen – ein Wort. Nein, das Wort. Kann man ein Wort sehen? Doch, wenn das Wort Fleisch wird, kann man es sehen. Sie schauen ein wenig ratlos? Die Formulierung ist von Johannes. Er hat sie an den Anfang des Evangeliums gestellt:
Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit geschaut,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit.
Ein wundersamer, überraschender Anfang! Mit dem Wort ist Gott selbst gemeint. Philosophen aller Couleur haben sich schon darüber den Kopf zerbrochen. Gott – Wort? Die Bücher, die darüber geschrieben wurden, brauchen eine eigene Bibliothek. Regale, die nicht in Metern, sondern in Kilometern zu messen wären. Mit einem Wort: Gott passt in keinen Raum. Aber: er wird Fleisch. In Liedern ist davon die Rede, dass sich das ewige Gut verkleidet, aber davon ist hier nicht die Rede. Fleisch ist übrigens vergänglich, hinfällig. Alles Fleisch ist wie Gras, heißt es beim Propheten Jesaja – geht der heiße Wind darüber, ist es nicht mehr da. Verdorrt, verbrannt, verloren. Dass Gott sich so zeigt, hat weniger Staunen, aber umso mehr Befremden ausgelöst: Der Ewige – Fleisch? Die Kirchenväter haben darüber lange Streitgespräche geführt, Konzilien um Formulierungen gerungen und Gelehrte fast den Verstand verloren. Aber es ist das Geheimnis Gottes: ein Mensch. Ganz. Und doch: Gott. Ganz.
Nur die Augen des Herzens werden das schauen können!
Was sehen wir noch? Wir sehen es hell werden. Nein, wir sehen die Herrlichkeit Gottes.
Wir sehen sie – niedrig geworden, klein gemacht, am Kreuz hängen. Aber es liegt jetzt ein Glanz über uns. Es ist der Glanz einer Liebe, der sich von Finsternis nicht verdrängen lässt. Während die Finsternis alles frisst – meine Hoffnung auch – leuchtet das Licht in der Finsternis. Und die Finsternis ist nicht mehr Finsternis! Sie hat ihren Meister gefunden!
Johannes sieht, wie Menschen die Finsternis nicht nur fürchten, sondern sie für ihre Zwecke einsetzen, gar missbrauchen. Diese Menschen können das Licht nicht annehmen, mehr noch: sie fürchten sich vor nichts so sehr wie vor dem Licht. Halten sie es nicht aus, entlarvt zu werden? Fürchten sie sich, nackt da zu stehen? Glauben sie, nur mit Hass und Angst ihre Welt im Griff zu haben? Aber wieviel Finsternis braucht man, um das Licht unsichtbar zu machen – und wie wenig Licht braucht man, um die Finsternis hell werden zu lassen?
Wer das Wort, Jesus, aufnimmt, dem ist die Macht gegeben, Kind Gottes zu sein – und ein Licht zu sein.
Nur die Augen des Herzens werden das schauen können!
In seiner großen Vorrede zum Evangelium lässt uns Johannes schauen, wo Gott wohnt. Seine Anschrift, sozusagen. Aber es ist kein festes Haus, in das er sich zurückgezogen hätte. Es gibt auch keine Tür, keine Fenster, keine Klingel. Es ist ein – Zelt. Unbefestigt. Beweglich. Den Stürmen ausgesetzt. Wie die Flüchtlingszelte auf Lesbos. Da haust Gott. Da ist er zu Hause. Er sieht, wie die Ratten Kinder beißen. Er sieht, wie der Schlamm sich in die Matratzen frisst. Er sieht, wie Menschen sterben und entsorgt werden. Er sieht… Er ist mitten drin. Was Johannes wohl dabei dachte, als er das so aufschrieb:
Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gezeltet.
Oft denke ich, oft gefällt mir die Vorstellung, Gott wäre im Himmel. Das würde zu ihm passen. Zu seiner Weite und Größe. Voller Sterne. Unendlich. Doch, wenn er Mensch ist, bleibt ihm nur das Zelt. Immer unterwegs. Immer unter Menschen. Doch, wenn er Fleisch ist, eitern seine Wunden. Er braucht Hilfe. Er braucht Barmherzigkeit. Ob ich ihn da suche? Verschämt schaue ich weg. Alles, was ich von Gott denke – hat er längst hinter sich zurückgelassen. Ich schaue Jesus an. Ihm eilt der Ruf – und das Vertrauen – voraus, dass er der Anführer und Vollender des Glaubens ist. Seine Herrlichkeit finde ich nur in der Liebe.
Nur die Augen des Herzens werden das schauen können!
Das wahre Licht
Heute, am Anfang eines neuen Jahres, wünschen wir uns Augen des Herzens! Wir erbitten einen neuen Blick darauf, aus den Fängen der Pandemie befreit zu sein, unbefangen zu leben und einander nahe kommen zu können.
Vielleicht übersehen wir in dieser so verständlichen Hoffnung, dass schon vor Corona die Finsternis grassierte. Klimaveränderungen, an denen wir Menschen nicht unschuldig sind, bringen weltweit große Not! Die soziale Ungleichheit taucht nicht nur in Statistiken auf, sondern auf der Straße! Viele Menschen hausen unter menschenunwürdigen Bedingungen in Zelten, in die kein Camper zieht!
Hell sind unsere Tage nicht gerade. Es wird nicht nur früh dunkel – die Nachrichten des Tages geben uns den Rest. Ob die Augen des Herzens, von denen im Brief an die Gemeinde zu Ephesus die Rede ist, erleuchtet werden können? Ob wir das Licht sehen? Ob wir zu Licht werden?
Gepriesen sei Gott,
der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet
durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Martin Stewen (2003)
Wolfgang Jungmayr (2000)
Johann Pock (1999)