Fragen, die belasten
Was tun Eltern, wenn ihre Kinder das Haus verlassen? Was tun sie, wenn sie spüren, da geht jemand einer sehr unsicheren Zukunft entgegen? Wie geht es Ihnen, wenn Sie in eine Situation hineinkommen, von der sie nicht wissen, was sie genau erwartet und wie sie damit umgehen sollen?
Fragen, die belasten! Angst und Unsicherheit, die sich breit machen! Sie suchen vielleicht nach etwas, was Ihnen Halt und Orientierung geben kann, oder überlegen, was sie anderen z.B. den Kindern noch an Gutem, auch an guten Ratschlägen und Hinweisen mit auf den Weg geben können. Hoffentlich werden Sie es dann schaffen, und hoffentlich gehe ich auch selber in einer solchen Situation nicht unter.
Jesus geht es da nicht anders. Judas hat die Truppe verlassen und geht seinen eigenen Weg. Es war sicherlich nicht ganz einfach, aber Jesus musste ihn gehen lassen. Diese Freiheit gehört zu ihm. Und es ist die Freiheit Jesu, dass er nun seinen Weg geht. Und wie es in besonders schwierigen Situationen ist, das letzte Stück geht man allein. Es ist und bleibt der eigene Weg, und es bleiben Menschen zurück, die man sehr vermisst, die man nicht gern zurücklässt, denen man eigentlich das Beste wünscht. Jesus scheint es nicht anders zu gehen wie ihnen und mir.
Was gibt es in einer solchen Situation noch zu sagen?
Was kann Halt geben?
Es ist nicht nur die Situation im Abendmahlssaal, die im Evangelium beschrieben wird. Es ist die Situation der Christinnen und Christen im ersten auslaufenden christlichen Jahrhundert. Der Autor des Johannesevangeliums schreibt sein Evangelium ca. 90 nach Christus. [Den historischen Jesus hat er nicht mehr gekannt.] Er schreibt es auch nicht für Christen in Israel sondern für Christen, die sich im syrischen Raum beheimatet haben und hier sowohl von Juden als auch von anderen Religionen zum Teil verfolgt werden. Hintergrund ist auch die Auseinandersetzung mit der Gnosis, die einen Dualismus zwischen Gut und Böse vertritt, der nicht überwunden werden kann.
Die jungen christlichen Gemeinden sind verunsichert. Wie ist Gott in ihrem Leben und in ihren Gemeinden gegenwärtig? Wer ist dieser Gott eigentlich und wie handelt er? Sind wir als Nachfolger des Jesus von Nazareth eigentlich noch auf dem richtigen Weg? Fragen und Auseinandersetzungen, die die Christen von Anfang an begleiten. Und schon in den ersten Gemeinden wenden sich Menschen von diesem Jesus und von diesem Glauben ab, weil sie Jesus in seiner Motivation und in seinem Handeln nicht verstehen und weil sie nicht glauben können, dass Gott so handelt. Hierfür steht auch Judas. Er geht.
Die Jünger Jesu, die ersten christlichen Gemeinden ein eingeschüchterter einsamer Haufen, der nicht so recht weiß wie es weitergeht?! Was gibt es in einer solchen Situation noch zu sagen?
Auch Jesu Antwort mag zunächst einmal unbeholfen und deprimiert klingen. Verweist er doch auf seinen Tod und einen Weg, den niemand sonst gehen kann. Er grenzt sich ab. "Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht kommen." Was soll das? Kann das den Jüngern und den ersten christlichen Gemeinden helfen? Lässt er sie nicht noch verlassener und hoffnungsloser dastehen?
Worauf es ankommt: "Liebt einander!"
Es gibt nicht den großen Knall, den besonderen Event, die absolut zündende Idee, die die Schwere der Situation auflöst. Damals nicht und auch heute nicht! Da können wir noch so schöne Pastoralpläne und Leitbilder entwerfen. Sie helfen erst dann, wenn Menschen - wenn wir - bereit sind aufzubrechen und eine Idee davon haben, wie unser Glaube und unsere Kirche heute gelebt werden sollten.
Und der Evangelist lässt Jesus sagen, worauf es ihm ankommt. "Liebt einander!" Und die Liebe hat immer zwei Seiten. Ich kann einen anderen Menschen lieben und ich kann selber geliebt werden. Die Liebe durchbricht das Einerlei und die Resignation vieler alltäglicher Erfahrungen auch der Christinnen und Christen oder der christlichen Gemeinden. Die Liebe wurde das Aushängeschild der frühen christlichen Gemeinden. Die Apostelgeschichte beschreibt es so: "Seht wie sie einander lieben".
Liebe gegenüber der Schöpfung, Liebe, mit der wir unseren Mitmenschen begegnen, Liebe uns selber gegenüber und Liebe zu Gott verändern das Leben, so dass die Lust am Leben wächst. "Liebe und tu was du willst" so lautet eine Aufforderung des Hl. Augustinus. Versuchen wir es!