Fremde im Gottesdienst
Der Text der ersten Lesung des heutigen Sonntags aus dem Prophetenbuch Jesaja, den wir gleich hören werden, stammt aus der Zeit Israels nach der babylonischen Gefangenschaft. Im Land herrschte damals folgende Situation: Die Verbannten waren aus dem Exil in die Heimat zurückgekehrt. Fremde, vielleicht angeheiratete Nichtisraeliten oder auch sonstige, hatten sich offensichtlich den Heimkehrenden angeschlossen. Ebenso dürften sich während des Exils in dem entvölkerten Jerusalem und den Städten ringsum Fremde aus benachbarten Ländern niedergelassen und angesiedelt haben. Als dann nach dem Exil der zerstörte Tempel wieder aufgebaut war und damit Gottesdienste und Opferkult neu aufgenommen werden konnten, erhob sich die Frage: Wer ist berechtigt, am Tempelkult, seiner Liturgie, den Brand- und Schlachtopfern teilzunehmen? Gehören auch die Fremden und Zugezogenen als Bewohner des Landes zum Gottesvolk oder sind sie auszuschließen?
Gegen einen Ausschluss, den bestimmte Kreise stark befürworteten, erhob der Prophet des dritten Jesajabuchs mit dem heutigen Lesungstext seine Stimme, indem er Folgendes als Gotteswort verkündete.
Lesung aus dem Buch Jesaja (56,1.6-7)
Der Prophet erweist sich als kluger Seelsorger. Jeden Streit vermeidend lädt er die Gläubigen ein, aus der Sicht Gottes zu denken. "So spricht der Herr", leitet er seine Worte ein und will damit sagen: Wenn wir Gott befragen würden, was wir in dieser Situation tun sollen, würde er uns das Folgende sagen. Und dann benennt der Prophet die Kriterien, die aus der Sicht Gottes Gewicht haben: das Recht wahren, für Gerechtigkeit sorgen, sich von Gott Heil schenken lassen.
Das "Recht wahren" - darunter verstanden die Israeliten immer zweierlei: Einmal umschloss es das aufrichtige Fragen nach Gottes Willen; zum anderen aber auch das Bemühen, den Mitmenschen gerecht zu werden: sie achten, wertschätzen und nicht kleinlich beurteilen, ihnen beistehen und sie nicht hängen lassen, ihr Glück fördern, zu ihrem Wohlergehen beitragen, eine Atmosphäre schaffen, die wohl tut und friedlich zusammen leben lässt.
Bei der Aufforderung "für Gerechtigkeit sorgen" müssen wir heute mithören, was das Volk Gottes damals darunter verstand. Ein "Gerechter" war in ihren Augen ein Mensch, den Aufrichtigkeit, Erbarmen und Liebe auszeichneten. Es ging also nicht bloß um rein sachliche Erfüllung von Gesetzen und Vorschriften, sondern vor allem um die innere Bejahung von Tugenden, um ein bewusstes Streben, z.B. Unrecht, Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit zu meiden. Der Gerechte war jemand, der gezielt und ideenreich das Gute suchte und anstrebte und dem es Freude bereitete, Menschen mit etwas zu überraschen, das den anderen beglückte.
Die dritte Aufforderung "von Gott Heil erwarten" war jene Haltung, die den gläubigen Israeliten vom Heiden unterschied. Die Götter der Heiden wollten stets günstig gestimmt werden, sonst waren sie nicht bereit, sich den Menschen zuzuwenden und ihnen wohlgesinnt zu begegnen. Jahwe dagegen, das war die Überzeugung Israels, suchte geradezu das Heil der Menschen von sich aus. Seine Bundestreue erwies sich gerade darin, dass er von sich aus schenkte - selbst dort, wo Menschen es eigentlich nicht verdient hätten.
Von Gottes Heil ist niemand ausgeschlossen
Diese Güte Gottes ist es vor allem, die der Prophet seinen Landsleuten vor Augen stellen will. In Gottes Güte sollen sie ihr Herz eintauchen und sich nicht quer stellen, wenn Jahwe jetzt auch den Fremden den Zutritt zum Tempel eröffnen will. Da sich die Fremden in ihrem Glauben Jahwe angeschlossen haben, auf seine Weisungen hören und sie achten, den Sabbat als "Tag des Herrn" einhalten, sich mit Jahwe innerlich fest verbunden wissen, möchte Gott ihnen die Zugehörigkeit zur Jahwegemeinde auf gar keinen Fall verwehren.
Sollten die, die ihre Opfergaben darbringen als Ausdruck dafür, dass sie sich Jahwe schenken und ihm ganz übergeben, aus der Gottesgemeinschaft ausgeklammert und abgewiesen werden?, lautet die Frage Gottes an die Israeliten. Als Antwort auf diese Frage lässt der Prophet Gott sehr deutlich sagen: Ihre Schlacht- und Brandopfer auf dem Altar finden Gefallen bei mir. Und Gott geht noch einen Schritt weiter, wenn er verheißt: Mein Haus, der Tempel, steht künftig nicht nur den Fremden im Lande offen, sondern als "Haus des Gebetes" ist es offen für alle Völker.
Diese Ankündigung Gottes bedeutete nicht, dass Israel nicht weiterhin Gottes erwähltes Volk sein würde und bliebe. Sie unterstrich jedoch: Von Gottes Heil ist niemand ausgeschlossen, der sich ihm zuwendet. Aufgabe Israels ist es, anstatt auszuschließen Menschen den Weg zu Gott und in seine Nähe zu ebnen, Hilfestellung zu leisten, dass die Fremden und Völker Gott finden, seine Weisungen kennen und lieben lernen, ihr Vertrauen in Gott setzen und sich von ihm beschenken lassen.
Gott wirbt auch um uns
Ausschließen, Gottes Wohlwollen umfangreich für sich selbst annehmen, anderen aber nur spärlich davon gewähren wollen, sich selbst ganz selbstverständlich zur vollen Gottesgemeinschaft zählen, bei anderen aber so seine Bedenken haben, ist wohl ein typisch menschliches Verhalten, das sich zu allen Zeiten findet. Auch in unseren Gemeinden, in der Kirche, bis hinein in unser eigenes Herz findet sich zuweilen dieses Problem des gegenseitigen Ausschließens. Verleitet werden wir zu solchem Denken und Handeln besonders immer wieder dann, wenn wir in unserem Denken zu oberflächlich über die Liebe Gottes hinweghuschen.
Der Jesaja-Text des heutigen Sonntags will uns einladen, neu und mit aller Ernsthaftigkeit über unser Verhalten nachzudenken. Ohne uns Vorhaltungen zu machen oder Anklage zu erheben, wirbt Gott auch bei uns um ein Eintauchen in sein von Güte und Barmherzigkeit bestimmtes Handeln. Freuen sollen und dürfen wir uns, wenn es uns gelingt, immer wieder nach seinen Weisungen zu leben, indem wir "das Recht wahren" und für "Gerechtigkeit" Mitsorge tragen und eintreten.
Weite des Herzens
Wenn wir dabei bedenken, wie sehr wir den Erfolg unserer Mühe um das Gute auch der Gnade und Mithilfe Gottes verdanken, dann wird unser Herz wie von selbst weit. Der Blick für unsere Verdienste wird realistischer, der Dank und die Freude darüber, dass Gott ein barmherziger und gütiger ist, größer. Wir fangen an, Gottes Güte umfangreicher auch denen zu gönnen, die wir bisher eher abgeschrieben haben: Querköpfen, Menschen mit schwierigem Charakter, im Glauben Nachlässigen und Bequemen oder wer sonst noch auf unserer Ausschlussliste steht.
Wo wir anfangen, alle Menschen mehr und bewusster in unser Wohlwollen einzubeziehen und das Ausschließen unterlassen, dort werden wir Zeichen setzen, die anderen den Weg zu einer engeren Bindung an Gott erleichtern. Wir bauen dann mit an einer Gottesgemeinschaft, in der vieles noch weiterhin im Argen liegen wird, die aber offen und einladend für jeden ist oder wird. Grundsteine hierfür zu legen, dazu lädt Gott uns ein. Er wird auf seine Weise darauf weiterbauen und niemanden von seinem Heil ausschließen, der sich ihm zuwendet, wie weit entfernt der Betreffende im Augenblick auch von Gott ist.
Wir, die wir zu denen gehören, die Gott aus allen Völkern zu sich führte, sollten uns mit der Großmut für alle leichter tun als die Israeliten damals. Für sie war der Gedanke eines weltweiten Gottesvolkes ja ganz neu und noch gewöhnungsbedürftig. Tauchen wir unser Herz tief in Gottes Liebe ein. Dann wird uns der Abschied vom Ausschließen leichter fallen.