Jesaja und Johannes der Täufer sind die Propheten des Advents. Beide rufen ihre Hörer zur Umkehr. Diese Aufforderung gilt auch uns.
Wechselspiel der Gefühle
Ein Wechselspiel der Gefühle. Heute, am 2. Advent. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter. Es gibt auch nichts Böses mehr. Ist das nicht ein Traum? Unglaublich schön. Doch dann kommt die eisige Dusche – mit gewaltigen, mehr noch gewalttätigen Bildern: die Axt ist an die Wurzel gelegt. Jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen. Und Menschen, die sich an den Jordan aufgemacht haben, werden mit „Schlangenbrut“ angeredet. Die Spreu sehen wir schon in nie erlöschendem Feuer verbrennen.
Was ist, wenn ich dazu gehöre? Wenn ich verflucht bin? Ein Wechselspiel der Drohungen. Der Typ im Kamelhaarmantel, der sich mit Heuschrecken begnügt, macht uns schon die Hölle heiß. Ich möchte gerne Jesaja zuhören. Endlich keine Gewalt mehr. Keine Gewaltphantasien. Auch keine Allmachtsphantasien.
„Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen
auf meinem ganzen heiligen Berg;
denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn,
so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.“
Axt an der Wurzel
Die Predigt, die Johannes am Jordan hält, ruft zur Umkehr auf. Umkehr heißt zunächst: stehenbleiben, nicht weiter laufen – und dann: sich neu orientieren, noch einmal neu einsetzen, neu anfangen. Ein großes Vertrauen ist das: Mein Leben ist noch nicht gelaufen!
Schauen wir doch einmal auf unsere Worte, Begriffe, Bilder.
Ist es nicht verräterisch, dass wir vieles nicht ändern können, obwohl wir alle uns danach sehnen?
Ist es nicht unheimlich, dass wir uns von Sachzwängen beirren lassen, obwohl wir uns alle frei wähnen?
Ist es nicht beängstigend, dass wir klein beigeben, obwohl wir die Irrwege vor uns gähnen sehen?
Ich verstehe die Menschen, die an den Jordan gehen und sich dort sogar beschimpfen lassen. Endlich einmal einer, der die Dinge beim Namen nennt, der keine falschen Rücksichten nimmt, der nicht kuscht vor denen, die Rang und Namen haben. Das sitzt: Schlangenbrut. Was mag die Menschen bewegen, sich einer solchen Rede zu stellen? Der Überdruss an der geschönten, schön geredeten Welt? Der Überdruss an der eigenen Feigheit? Der Überdruss an der Kunst, sich ständig zu verstellen – mit den Wölfen zu heulen, aber am eigenen Elend zu ersticken? Johannes traut uns etwas zu: Kehrt um! Gottes Reich ist nahe – Gott kommt! Lapidar und unaufgeregt weiß Matthäus, der Evangelist, zu erzählen:
„Die Leute von Jerusalem und ganz Judäa
und aus der ganzen Jordangegend zogen zu ihm hinaus;
sie bekannten ihre Sünden
und ließen sich im Jordan von ihm taufen.“
Ist das nicht ein Hoffnungszeichen? Ein Moment des Glücks? Es geht nicht einfach alles so weiter, wie es ist. Wir sehen das. Wir sehen Menschen zu, wie sie umkehren. Wir entdecken etwas: Gottes Nähe.
In seinem Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ schreibt Jochen Klepper 1938 in einer für ihn harten Zeit:
Der sich den Erdkreis baute,
der lässt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.
Junge Triebe
Jesaja, einer der großen Propheten Israels, wendet sich den Menschen anders zu als Johannes. Jahrhunderte liegen zwischen ihnen.
Schauen wir noch einmal auf unsere Worte, Begriffe, Bilder.
Wir reden davon, abgestumpft zu sein – und müssen doch ständig auf der Hut sein.
Wir erzählen einander, keine Kraft mehr zu haben – und spielen doch unsere Rollen.
Wir berichten von zerbrochenen Hoffnungen – und haben keine Hoffnung.
Jesaja wirft ein Bild in die Runde, einen Gedanken: Schaut euch diesen Baumstumpf an!
Tatsächlich: da ist ein Baumstumpf. Er steht für Israel, für eine große Vergangenheit, für große Träume. Alles vergangen, ausgeträumt, Israel ist ein Schatten seiner selbst, machtlos, klein gemacht, gedemütigt. Aber schaut genauer hin! Seht ihr, wie der Stumpf ausschlägt? Wie neues wächst? Wie sich neues Leben herausdrängt? Unbeeindruckt von dem Torso, der sich den Augen bietet.
Jesaja hält auch eine Bußpredigt. Gar nicht so viel anders als Johannes. Umkehr heißt für ihn: Neu sehen lernen, aus Lethargie und Skepsis aufzubrechen, sich auch von schlechten, gar schrecklichen Erfahrungen nicht gefangen nehmen zu lassen. Aber der Blick hat es dann in sich: Er sieht eine heile, heilvolle, geheilte Welt.
Utopische Bilder
Ich gebe ja zu, von den utopischen Bildern geblendet zu sein. Sie sind so schön, dass ich sie in den buntesten Farben ausmalen möchte. Wenn der Wolf beim Lamm wohnt, der Panther beim Böcklein, Kalb und Löwe zusammen weiden. Es ist das Bild vom Tierfrieden – stellvertretend für den Frieden, den wir ersehnen. Dass wilde Tiere sich mit Haustieren vertragen, erscheint uns womöglich sogar wahrscheinlicher als dass Menschen gut und liebevoll zusammenleben. Ein Mensch kann der Wolf des anderen sein, ein Mensch kann sich wie ein Löwe gebärden, ein Mensch kann giftig sein wie eine Schlange. Dann spielt kein Kind vor dem Loch der Natter. Eigentlich haben alle Mitspieler Angst voreinander.
Die Verheißung, dass es keine Angst mehr gibt, dass es auch keine Angst mehr gibt, die gemacht werden kann, schenkt uns tatsächlich einen realistischen Blick auf die Welt: Wir spüren die Angst, wir nehmen sie wahr, wir kuschen vor ihr. Darüber ist zu reden! Daraus ist aufzubrechen! Umkehr heißt: Sich nicht mehr vertreiben zu lassen, wenn die Wölfe heulen, wenn die Löwen brüllen, wenn die Schlangen sich in ihren Löchern verstecken. Vor ihren Löchern müssen wir ausharren! Damit die Kinder hier spielen können.
Wir sehen den Stumpf. Unansehnlich. Einfach abgebrochen. Kein sauberer Schnitt. Aber da, da grünt ein kleiner Trieb! Jesaja sagt:
„Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm:
der Geist der Weisheit und der Einsicht,
der Geist des Rates und der Stärke,
der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht.
Er erfüllt ihn mit dem Geist der Gottesfurcht.
Er richtet nicht nach dem Augenschein,
und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er,
sondern er richtet die Hilflosen gerecht
und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist.“
So ganz nebenbei kommt heraus – habt ihr es gemerkt? – dass Gott umkehrt. Gott kehrt sich zu uns. Gott fängt neu mit uns an.
Sprach er uns schuldig – jetzt spricht er uns frei!
Gab er uns verloren – jetzt findet er uns!
Waren wir ihm keinen Heller mehr wert – jetzt opfert er seinen Sohn für uns!
Noch einmal Jochen Klepper:
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.
Wechselspiel der Hoffnung
Vorhin habe ich von einem Wechselspiel der Gefühle geredet. Von einem Traumbild – und von einer Drohpredigt, von einer Sehnsucht – und von einem Gericht, von Jesaja und von Johannes. Ist es richtig, von einem Wechselspiel der Gefühle zu reden? Ich kann mich jetzt darüber freuen, in einem Wechselspiel der Hoffnung zu sein.
Weil ich langsam zum Schluss kommen muss, gebe ich Paulus das letzte Wort. Er schreibt in seinem Brief, den wir heute lesen:
„Alles, was einst geschrieben worden ist,
ist zu unserer Belehrung geschrieben,
damit wir durch Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben.
Der Gott der Geduld und des Trostes schenke euch die Einmütigkeit,
die Christus Jesus entspricht,
damit ihr Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus,
einträchtig und mit einem Munde preist.
Darum nehmt einander an,
wie auch Christus uns angenommen hat,
zur Ehre Gottes.“
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Norbert Riebartsch (2007)
Gabi Ceric (1998)