Das ist ein starkes Stück! Da kommt in der Nacht ein Bösewicht, versaut das Feld, haut ab - und wir sollen das Unkraut wachsen lassen. Zusehen, wie es wächst. Uns nicht an ihm vergreifen. Ich mag gar nicht hinschauen. Es gibt so viel Unkraut in der Welt.
Unkraut ist seit Menschengedenken ein Thema nicht nur für alle Saubermänner und Sauberfrauen. Man möchte alles schön haben. Geordnet. Sauber. Es ist eine große und alte Sehnsucht. Nur: der Vorgarten ist nicht unser Leben.
Es gibt Unkraut im Kopf, im Herzen. In mancher Ecke nisten sich Zweifel ein. Unbeobachtet wächst er immer weiter. Er überwuchert alles. Erst das Vertrauen, dann auch die Liebe. Eine Schere aber, den Zweifel zu beschneiden, suche ich vergebens.
Wir sehen den Hass in der Welt wachsen, sind aber nicht davor gefeit, am Stammtisch, im Kreis der Kollegen oder in einer alltäglichen Begegnung Lieblosigkeit, Rachegedanken und Vorurteile auszusäen. Jene Saat, die wir dann lauthals beklagen.
Matthäus erzählt nicht viel. Es ist eine kurze Geschichte. Aber kaum sind die ersten Worte verklungen, sehen wir ein unübersichtliches Feld vor uns. Mit ganz viel Unkraut. Fatal nur, dass es nicht irgendein Unkraut ist - es sieht dem Weizen täuschend ähnlich. Wir hören die Knechte fragen: Sollen wir jäten? So viel Optimismus - es lohnt nicht einmal, damit anzufangen. Weizen, Unkraut, Weizen, Unkraut - so weit das Auge reicht. Halm neben Halm. Wo sollte man denn anfangen? Die gute Saat bewahren und schützen, die schlechte ausrotten. Es geht wohl nicht anders: Lasst beides wachsen bis zur Ernte.
Fürwahr: ein starkes Stück!
Himmelreich
Immer wieder haben Menschen versucht, das Böse auszurotten. Mit Stumpf und Stiel, wie sie sagten. Aber wer sich auf diesen Weg begibt, muss erst einmal das Unkraut ausmachen. Schnell sind Andersdenkende, Fremde und falsche Freunde aussortiert. Hexen, Juden, Sarazenen, Sozialisten - soll ich weitermachen? Die Erde hat viel Blut schlucken müssen. Ihre Krume bedeckt das Leid. Barmherzig mit jedem Halm, der wächst, mit jedem Grün, dass sich über die Fluren legt, mit jedem Korn, das für neues Leben steht.
Jesus erzählt eine Geschichte. Aber es nicht eine Geschichte vom Unkraut, sondern eine Geschichte vom Himmelreich, vom Reich Gottes. Der erste Satz ist der Schlüssel: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte.
Warum habe ich nur meine Augen gleich auf den Tunichtgut gerichtet, der in der nächtlichen Ruhe und Abgeschiedenheit Unkraut sät. So, als ob es den ersten Satz gar nicht gegeben hätte. In meinem Kopf drehen sich die Gedanken. Will er sich rächen? Will er ruinieren? Oder ist ihm alles ein Dorn im Auge, was gut ist? Ich kenne alle drei Beweggründe. Ich kenne sie gut. Sie sind unheilvoll. Aber dann lässt mich die Frage nicht los: Warum bist du so im Bann des Schlechten, Abgründigen, Verwerflichen?
Ich muss noch mal von vorne anfangen. Der erste Satz ist doch: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte.
Ich sehe den guten Samen aufgehen. Er vertrocknet nicht, wird nicht von Vögeln gefressen, von Füßen nicht zertreten - die Geschichten, die Jesus davon erzählt, sind ein andermal dran. Jetzt sehen wir die nächtliche Aktion des Widersachers, dem die Überlieferung das Gesicht des Teufels gegeben hat, ins Leere gehen. Nicht, dass sein Unkraut nicht aufgehen würde, aber er kann nichts verbergen. So täuschend echt auch aussieht, was er anrichtet. Es genügt ein Satz: Hast du nicht guten Samen genommen, Herr? Jetzt ist die Situation klar.
Obwohl sie äußerlich gesehen nur am Rand vorkommen, hat Jesus die Knechte in die Mitte geholt. Er hat ihnen sogar ein Denkmal gesetzt - und sie wissen es nicht einmal.
Jesus erzählt von ihren offenen Augen, ihrer Wachsamkeit. Die Knechte aber reden über - Unkraut. Sie nennen die Dinge beim Namen. Sie fürchten sich nicht vor dem - Teufel. Das gehört auch zu der guten Saat, die aufgeht! Der Bösewicht kann zwar in der Nacht streunen, aber ihm gehört nicht der Tag. Das offene Wort, die Wahrheit, kann er nicht verhindern. Auf einmal bekommt die Geschichte ein ganz anderes Gewicht. War ich vorhin fast erschlagen von der Rat- und Hilflosigkeit angesichts einer schier unmöglichen Aufgabe, wächst mir jetzt der Mut zu, nicht nur das Unkraut zu sehen, sondern die gute Saat zu entdecken.
Für unser Evangelium ist das der Blick in den Himmel.
Erst recht: ein starkes Stück!
Vertrauen wächst
In dieser Geschichte passiert viel: es wird gesät, beobachtet, abgewogen, entschieden. Personen, die auftauschen, verschwinden auch gleich wieder. Nur das kleine Gespräch in der Mitte - zwischen Knechten und Herrn über den Umgang mit dem Unkraut - zieht alle Ohren auf sich.
Wenn wir schon Mäuschen spielen dürfen: Wie viele Menschen um uns spüren geradezu physisch die Übermacht des Schlechten, reagieren einerseits hilflos, andererseits aggressiv. Dass beides destruktiv ist, sozusagen ein Werk des Teufels, hat so manches Herz noch nicht erreicht. Wir können dann nur noch lamentieren. In unseren Köpfen zählen wir ab, was wir mit unseren Händen nicht bändigen können. Wie gerne würden wir, sagen wir . . . Frei von Gewalt und Allmachtsphantasien sind Gedanken und Worte dann nicht.
Wir lassen es Nacht bei uns werden - und der Bösewicht streunt uns übers Feld.
Da geht die Sonne auf. Es wird Tag. Jesus schenkt uns den unverstellten Blick auf ein wogendes Feld. Es gilt, sich nicht vom Unkraut auffressen zu lassen, sondern ihm Paroli zu bieten. Ein offenes Wort, ein weiter Blick und dann ein grenzenloses Vertrauen in die gute Saat. Paroli verträgt kein Lamento. Es wird eine gute Ernte werden. Die ist in Gottes Obhut. Wenn ich das Böse mit bloßen Händen ausreißen wollte - ich könnte nie mehr gerade stehen. Ich müsste über die Erde kriechen. Wie ein Verfluchter.
Ein starkes Stück
Das ist ein starkes Stück! Da kommt in der Nacht ein Bösewicht, versaut das Feld, haut ab - und wir treten aus dem Bann des Bösen heraus. Um Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden wachsen zu lassen. Die gute Saat. Von der gesagt wird, dass sie dem Himmel gleicht.
In einem Lied von Hans von Lehndorff (1968) heißt es:
Komm in unsre stolze Welt,
Herr, mit deiner Liebe Werben.
Überwinde Macht und Geld,
lass die Völker nicht verderben.
Wende Hass und Feindessinn
auf den Weg des Friedens hin.
Komm in unser dunkles Herz,
Herr, mit deines Lichtes Fülle;
Dass nicht Neid, Angst, Not und Schmerz
Deine Wahrheit uns verhüllte,
die auch noch in tiefster Nacht
Menschenleben herrlich macht.