Wer ist schuld?
"Warum trifft das Leid immer nur mich? Was habe ich getan, dass mir das alles passiert? Ich bin doch ein anständiger Mensch!" Solchen verzweifelten Fragen begegne ich immer wieder. Das Leid scheint manchmal so ungerecht verteilt zu sein. Obwohl auch klar ist, dass Katastrophen oft blind zuschlagen, und das unabhängig davon, wie gut oder wie schlecht die Menschen bis dato gelebt haben. Manchmal aber schleicht sich in unser Denken das Gefühl ein: irgendwie ist der Betroffene oder sind die Betroffenen doch selber schuld. Da mir ein derartiges Unglück nicht passiert ist, kann ich dann von mir persönlich sagen: ich bin ja gut, bei mir ist alles in Ordnung.
Ähnliches kann ich sagen über die Krankheit. Klar kann eine körperliche Krankheit auf ein seelisches Leiden hinweisen. Sie kann Ergebnis einer falschen Lebensweise sein. Doch zu schnell dürfen wir mit diesem Urteil nicht sein. Wir dürfen ruhig wieder akzeptieren, dass Kranksein zum Menschen gehört. Jeder Mensch kann und darf krank werden.
Katastrophen kann es also immer geben, damals wie heute.
Jesus zählt zwei Katastrophen auf. Da ist zum einem das Verbrechen des Pilatus, der Galiläer beim Opfer umbringen ließ, da ist zum anderen der Einsturz des Turmes von Schilóach. Immer kamen Menschen ums Leben, die redlich waren, neben großen Sündern. Diese Katastrophen stehen für viele tragische Unglücksfälle in der Welt. Leicht können wir gerade aus der letzten Zeit einige hinzufügen.
Die im Evangelium aufgeführten Unglücke könnten ersetzt werden durch das Erdbeben in Chile, in Haiti, durch das Zugunglück, durch die vielen Kriege in Nahost. Jesus würde auch uns die Frage stellen: meint ihr, dass nur die Menschen gesündigt haben. Euch wird es ebenso treffen, wenn ihr euch nicht bekehrt.
Umkehr fängt bei mir selbst an
Diese Aussage passt so gar nicht in mein Bild von Jesus. Doch ich spüre auch das, was er mir und auch Ihnen sagen möchte. Jesus möchte, dass wir uns alle bekehren. Dabei sollen wir jeder bei uns selbst anfangen. Es ist einfach mit dem Finger auf andere Menschen zu zeigen. Doch bedenken Sie: wenn ich mit einem Finger auf meine Mitmenschen zeige, dann zeigen drei auf mich zurück. Vielleicht kennen sie alle diese Weisheit. Doch gerade mit seinen Worten macht mich Jesus auf diese Wahrheit aufmerksam.
Nein - wir haben keinen Grund, uns über andere Menschen zu erheben. Es gibt keinen Zusammenhang von Tun und Ergehen. Nicht mehr zählt die Erfahrung: wenn ich mich gut verhalte, dann geht es mit gut, dann passiert mir kein Unglück. Das wäre arrogant und überheblich. Ich darf mir - gerade in der Fastenzeit - bewusst machen, dass ich wie jeder andere Mensch fehlerhaft bin. Ich bin zeitlebens auf dem Weg, immer mehr der Mensch zu werden, zu dem mich Gott formen möchte. Mich zu Gott zu bekehren, ist eine lebenslange Aufgabe, eine Aufgabe, die spannend ist, eine Aufgabe, die mich herausfordert.
Frucht bringen
Ich erfahre auch an mir immer wieder: es tut es weh, wenn ihm seine eigenen Fehler und Schwächen bewusst werden. Doch ist es notwendig. Und es erleichtert auch. Der Blick gilt zuerst mir selbst, nicht anderen. Jesus will mich vor einer gewissen Sorglosigkeit bewahren. Wir müssen ihn und seine Botschaft schon ernstnehmen. Zwar sind wir auch geliebt als Sünder und Sünderinnen, doch ruft uns Jesus immer wieder zur Bekehrung auf. Diese ständige Bekehrung zeigt sich darin, dass Gott uns immer wichtiger wird im Leben. Dann kann unser Leben gelingen. Dann kann unser Leben Frucht tragen.
Die Chance dazu gibt uns Gott immer wieder neu. Das zeigt sich im Gleichnis vom Feigenbaum. Wenn ich das so recht bedenke, dann gibt Gott uns doch ein ganzes Leben Zeit, uns zu bekehren. Der Weingärtner, der sich für den unfruchtbaren Feigenbaum beim Besitzer verwendet, ist Jesus selbst. Jesus ist es doch, der uns Menschen durch seine Worte und noch mehr durch seine Taten die Liebe Gottes bringt. Es gilt sich IHM zu öffnen. Wir, die wir mit dem Feigenbaum gleichzusetzen sind, sollen Frucht bringen. Diese Frucht zeigt sich in einem Leben, das ein Zeugnis für Jesus Christus ist.
Es ist die frohe Botschaft dieses Gleichnisses, dass der Weingärtner, sprich Jesus, Geduld hat mit dem Feigenbaum, also mit jedem einzelnen. Das sollte für uns alle ein Ansporn sein, wiederum Geduld zu zeigen mit anderen und eben nicht vorschnell, nein am besten gar nicht zu erurteilen. Das Richten bleibt allein Gott überlassen. Richten bedeutet für mich weniger, dass Gott die Menschen zu irgendetwas verurteilt. Gott wird nach unserem Leben vieles "richtig" stellen.
Christus erkennen
In Jesus zeigt Gott seine ganze Liebe zu uns Menschen. Wir sind dazu eingeladen, auf ihn zu bauen und seinen Ruf zur Umkehr ernst zu nehmen. Paulus lädt uns in seinem Brief an die Korinther dazu ein. Er greift zurück auf ein Erlebnis des Volkes Israel auf der Wüstenwanderung. Das Volk Israel hatte nichts zu trinken. Es begehrte darum - wie oft geschehen - gegen Mose auf. Ja, es wünschte sich sogar, wieder nach Ägypten zurückgehen zu dürfen. Gott erhörte die Bitte von Mose. Aus einem Felsen nun bekamen die Israeliten das lebensspendende Wasser. Diesen Felsen vergleicht Paulus mit Christus. Christus ist derjenige, der uns wahres Leben spendet. Paulus warnt uns eindringlich in der Lesung davor, uns von den eigenen Wünschen und Begierden beherrschen zu lassen. Wenn er uns darauf hinweist, dass viele umkamen, weil Gott an ihnen kein Gefallen hatte, dann um uns zu warnen.
Auch das erschreckt mich ein wenig. Doch ich spüre auch, dass ich umkehren muss. Lassen wir uns von Gott beherrschen und nicht von unserer Gier. Um mit Paulus zu sprechen: wie die Israeliten nur aus dem Felsen das Wasser des Lebens bekamen, so ist Jesus, so ist der Glaube, so ist da Ernstnehmen seiner Botschaft das, was unser Leben erfüllt. Diese Lernerfahrung mussten die Israeliten in der Wüste machen. Diese Lernerfahrung müssen auch wir machen.
Dass nur Gott befreien kann, davon gibt auch die erste Lesung ein Zeugnis. Nur weil Gott der Jahwe ist, der Ich bin der Ich bin da, ist es den Israeliten überhaupt gelungen, sich aus der Knechtschaft Ägypten zu erlösen. Ohne die Kraft Gottes hätten es die Israeliten niemals vermocht, aus Ägypten zu fliehen. Ich kann hier Ägypten als Bild nehmen für alles, was uns unfrei macht.
Barmherzigkeit
Lassen wir uns einladen: wenden wir uns diesem Gott zu, bekehren wir uns zu ihm. Dabei ist es wichtig, immer zuerst bei sich anzufangen. Doch um nicht falsch verstanden zu werden. Ich habe sicher auch Verantwortung für meinen Mitmenschen. Daher darf ich auch meinen Mitmenschen auf seine Fehler hinweisen. Wenn ich glaube, meine Schwester oder mein Bruder ist auf einem falschen Weg, dann darf ich das auch sagen, ja, dann muss ich das auch sagen. Doch soll das geschehen immer mit der inneren Haltung: ich bin ein Mensch mit Fehlern, ich bin genauso angewiesen auf Gottes Liebe und Barmherzigkeit wie du. Ich habe - wie jeder andere Mensch - Umkehr nötig. Ich darf mich nicht über dich erheben und meinen, ich sei besser als du. Wenn Korrektur, dann soll sie mit Liebe und mit der ernsten Absicht, der Schwester oder dem Bruder zu helfen, geübt werden.
Beherzigen wir also ein chinesisches Sprichwort: Ehe du ausziehst die Welt zu verändern, kehre dreimal durch dein eigenes Haus. Amen.