Das Zeugnis des Johannes
Johannes sieht einen Mann, der unterwegs ist, der auf ihn zugeht. Einen Mann unter vielen, einen, dem man nichts Besonderes merkt, der nicht groß auffällt. Einen, den man gewöhnlich übersieht. Dann aber deutet Johannes auf diesen Mann: "Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt." Und er begründet sein Wort auch: "Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam und wie eine Taube auf ihm blieb."
Dadurch ging dem Johannes auf, wer dieser Jesus ist. Und er betrachtet es als seine wichtigste Aufgabe, auf ihn hinzuweisen, den Menschen, die ihm zuhören, zu verkünden, mit wem sie es bei Jesus zu tun haben. Damit fangen auch andere an, Jesus zu erkennen, um seine Bedeutung für die Welt zu wissen. Wenn wir im Johannes-Evangelium weiter lesen, dann folgen die ersten Jünger auf das Zeugnis des Johannes dem Jesus nach.
Der Maler Matthias Grünewald hat im Isenheimer Altar diese Szene an das Ende des Lebens Jesu verlegt. Da steht unter dem Kreuz nicht der Jünger Johannes, sondern Johannes, der Täufer. Mit langem Finger deutet er auf den, der am Kreuz stirbt. Da sollen die Menschen erkennen, er ist wie ein Lamm, das geschlachtet wird, er ist der, der durch sein Sterben die Sünde der Welt hinweg nimmt. Und um die Symbolik noch zu verstärken, hat der Künstler ein Lamm zu Füßen des Täufers platziert.
Was Johannes, der Täufer, verkündet, wofür er Zeugnis gibt, das bestätigt sich im Leben und Wirken Jesu. Hier ist einer, durch den Gottes Geist wirkt, der aus der Kraft des Geistes eine neue Lehre mit Vollmacht verkündet. Durch Jesus, den Sohn Gottes, zeigt Gott sein Erbarmen mit den Menschen, er heilt die Kranken, vergibt den Sündern, er führt die Menschen in eine neue Beziehung zu Gott, in ihm ist das Reich Gottes gegenwärtig. Selbst, als er ungerecht verurteilt, gefoltert und verspottet wird, er erträgt das, selbst, als er unter furchtbaren Schmerzen stirbt, er nimmt es an, und damit können wir wahrnehmen: Hier wirkt Gott in diese Welt herein.
In allem, was uns in dem Menschen Jesus begegnet, wirkt Gott, berührt uns Gott und berühren wir Gott. Johannes hat dies erkannt und bezeugt es den anderen. Er war der erste aber bald nicht der einzige Zeuge für den Herrn. Auf sein Wort hin haben sich einige seiner Jünger Jesus angeschlossen, sind ihm gefolgt und bei ihm geblieben. Und ihr ganzes Leben war dazu da, für den Herrn Zeugnis zu geben, sie haben es so eindeutig getan, dass sei sogar ihr Leben hingegeben haben, als Martyrer, d.h. als Zeugen.
Jesus als Herrn bezeugen
Was hat Johannes, der Täufer, was hat dieses Evangelium uns hier und heute zu sagen? Es geht darum, Jesus zu bezeugen als den Herrn, als den, der beim Vater für uns eintritt, als den, der bei uns und in uns ist. Gerade in unserer Zeit, in der viele auf Gott vergessen, in der viele eben anderes zum Wichtigsten, das heißt zum Gott oder zum Götzen machen, sind wir als Christen gefragt. Wir sind aufgefordert, die Punkte zu erkennen, in denen Gott uns berührt, in denen er uns nahe kommt und wir ihn finden.
Wir geben Zeugnis von Jesus Christus, von seinem Geist, wenn wir ihn anerkennen, den unfassbaren, geheimnisvollen und heiligen Gott. Wenn wir an ihn glauben und zu ihm beten, ihn loben und preisen, ihm danken und ihn anbeten. Wir geben Zeugnis für ihn, wenn wir uns zum Gottesdienst versammeln und ihn in unserer Mitte feiern. Dieses Zeugnis ist nötig gegenüber denen, die Jesus nur als guten Menschen oder als Revolutionär oder als Friedensstifter sehen. Das war er auch, aber er übersteigt diese Vorstellungen.
Wir geben Zeugnis von Jesus Christus, wenn wir ihm vertrauen, darauf vertrauen, dass sein Geist in uns wirkt, uns über das hinaus führt, was wir sind. Er bewegt uns zur Hoffnung, zur Hoffnung auf eine andere Welt und zu einer Liebe, die diese Welt verändert.
Wir geben Zeugnis von Jesus Christus, wenn wir ihn auch da suchen und finden, wo wir ihn zunächst gar nicht sehen wollen. Sie kennen sicher Menschen, die fragen: "Warum lässt Gott das zu, warum verhindert er das nicht?" - Dass jemand, der persönlich betroffen ist, solche Frage stellt, ist verständlich. Doch dabei dürfen wir nicht bleiben. - Gott ist auch zu finden in dem, was uns schlimm und ungerecht vorkommt. Nicht zu selten wirkt er auf diese Weise an uns, er verändert uns durch Krisen, durch Leid, durch all das, was wir, wenn wir zu bestimmen hätten, ganz bestimmt vermieden hätten.
Das Wirken Gottes bezeugen
Gott nimmt unser Leben ernst, so wie es ist. Bei ihm zählt alles, unsere Arbeit und unsere Freizeit, unsere Sorgen und unsere Freude, unsere Schwäche und unsere Kraft, unser Schuld und unser Gutsein. Weil er all das sieht, so können wir durch all dies hindurch uns für ihn öffnen, ihn entdecken - und bezeugen. Alles kann uns zum Heil werden, weil Gott eben durch alles durchscheint. Dafür gilt es, sich zu öffnen, gilt es ihn zu entdecken, ihm zu begegnen. Dann ist eben der Glaube mitten in unserem Leben angekommen, dann wird unser ganzes Dasein zum Zeugnis für ihn.
"Seht das Lamm Gottes", sagt Johannes. Durch uns kann dieser Jesus Christus, der Gott, der Fleisch geworden ist, wieder lebendig werden, wir können ihn bezeugen, und damit tun wir das, was unser Auftrag in dieser Welt ist.
Manfred Wussow (2005)
Hans Hütter (1999)