Jesu Tod hätte ein Schlusspunkt hinter sein Leben werden sollen. Es wurde jedoch zum Schlusspunkt hinter den Tod.
Ostern fängt in der Nacht an, bringt einen hellen Morgen hervor und setzt einen dicken Schlusspunkt. Einen Schlusspunkt unter eine Geschichte, die der Tod schreiben wollte, aber unter der Hand verliert. Vor unseren Augen. Frohe Ostern!
Schlusspunkte schließen ab, halten fest, markieren einen Endpunkt. Das können wir heute Morgen sogar in den Lesungen entdecken, natürlich besonders im Evangelium. Aber sind nicht alle Texte, die uns heute Morgen geschenkt werden, Evangelium, Frohe Botschaft, frohmachende Botschaft?
Vergebung
Hören wir noch einmal in die Predigt hinein, die Petrus gehalten hat! Ihr wisst, was geschehen ist? Petrus behauptet das – oder setzt er es voraus? Egal, es ist in aller Munde! Und dann erzählt Petrus, ziemlich einfach und schlicht, die Geschichte Jesu: Er erzählt von seiner Liebe, von seinem Tod, von seiner Auferstehung. Und dann kommt es: „Und er hat uns geboten, dem Volk zu verkündigen und zu bezeugen: Das ist der von Gott eingesetzte Richter der Lebenden und der Toten. Von ihm bezeugen alle Propheten, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen die Vergebung der Sünden empfängt.“
Schlusspunkt! Wir erleben Auferstehung, nein, wir stehen von den Toten auf, wenn wir in Jesu Namen die Vergebung der Sünden empfangen. Ein Schlusspunkt unter vielen Geschichten, die wir als Menschen kennen und fürchten. Wenn wir schuldig werden, schuldig gesprochen werden, uns selbst schuldig erklären. Und nicht herausfinden. Der von Gott eingesetzte Richter der Lebenden und der Toten – schenkt Vergebung! In seinem Namen dürfen Menschen, hoffnungsfroh und wortgewaltig, die größten und schönsten Zusagen machen. Sogar die Propheten haben davon schon geredet!
Vergebung meint nicht, etwas zu vergessen. Schließlich gehören auch Schuldgeschichten zum Reichtum des Lebens. Aber frei zu werden, befreit zu sein, noch einmal und immer wieder neu leben zu können, das wird in der Vergebung geschenkt. Ein Schlusspunkt, der Wunder wirkt. Es gibt dann eine alte Geschichte und eine neue. Das hat Petrus nicht nur so gesagt! Er hat Jesus verleugnet! Verflucht hat er sich: Ich kenne diesen Menschen nicht! Er hat es förmlich geschrieen. Er hat sich in seinen eigenen Worten verheddert. Das Großmaul war auf einmal sehr klein. Und dann krähte der Hahn!
Und der Hahn kündigte den Morgen an!
Zukunft
Gehen wir einige Schritte weiter! In dem Brief an die kleine christliche Gemeinde in Kolossä schreibt ein Schüler des Apostels Paulus, dass wir mit Christus auferstanden sind. Sind! Nicht werden, nicht könnten, nicht möchten. Sind! Das ist einerseits mutig, fast schon verwegen, wer aber genauer hinsieht, wird an seine Taufe erinnert. Schauen wir darauf, sind wir, auch heute Morgen, in das Leben Jesu hineingenommen und von ihm angenommen. Das ist Ostern! Wir bezeugen die Auferstehung Jesu von Toten – und unser Leben in ihm. In dem Brief heißt es, jetzt gar nicht mehr so überraschend: „Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!“
Hier wird dann auch ein Schlusspunkt gesetzt. „Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit.“ Das ist die Ansage, die Zusage von Zukunft!
Von Kolossä wissen wir nicht viel. Noch weniger von den Menschen dort. Doch wir kennen uns. Oder auch nicht. Das reicht auch. Was bleibt von uns, könnte ich fragen. Was bleibt von mir? Ein Leben lang kämpfe ich darum, von anderen Menschen – und auch von mir – angenommen zu sein. Manchmal muss ich mich verbiegen, manchmal schweigen, manchmal mit den Wölfen heulen. Manchmal halte ich die Wahrheit nicht aus, manchmal halte ich mich aus allem heraus, manchmal lasse ich einfach alles laufen. Manchmal könnte ich den Dingen auf den Grund gehen, manchmal den Stummen meine Stimme leihen, manchmal den Neunmalklugen ins Wort fallen. Manchmal. Nur manchmal. Wie wird mein Leben einmal beurteilt werden? Wie beurteile ich es selbst? Kann ich bestehen? Auch vor mir? Vor dem Schlusspunkt könnte mir grauen. Aber heute Morgen wird ein anderer Schlusspunkt gesetzt: Wir werden mit Christus in seiner Herrlichkeit offenbar werden! Dieser Schlusspunkt wird gesetzt. Ich kann ihn mir – und anderen Menschen! – nicht nehmen. Und dann krähte der Hahn! Und der Hahn kündigte den Morgen an!
Auferstehung
Und wenn wir schon beim Hahn sind und sein Krähen wie eine Verheißung hören, sollten wir geschwind Petrus begleiten. Das Evangelium, so wie es Johannes überliefert, lässt uns einen Menschen sehen, der, sagen wir, kurzatmig ist, nicht so gut bei Kondition, eben auf dem letzten Loch pfeift. Johannes hat da seine eigene Sicht auf die Geschichte, aber was auffällt, ist das enorme Tempo. Hier wird gerannt! Unter uns: Hier riecht man den Schweiß! Hier hecheln Zungen. Der gemächliche Osterspaziergang, den Goethe beschreibt, muss noch ein wenig warten.
Maria von Magdala kommt – es ist noch dunkel! – zum Grab und ist von dem Anblick entsetzt: der Stein ist weg. Weggerollt. Sie bringt jetzt aber, sagen wir, den Stein ins Rollen! Anstatt einen Blick in das Grab zu werfen, rennt sie zu den Jüngern. Und die rennen zum Grab. Genauer: Petrus und Johannes. Es ist, als ob in dieser Geschichte Menschen um ihr Leben rennen. Oder ist es ein Notfall? Neugier? Nein, jetzt muss gerannt werden – um das Leben zu entdecken. Was soll ich sagen? Ein bisschen Hierarchie hat sich der Evangelist nicht verkneifen können – oder ist es auch Liebe? Johannes, flink, ist als Erster beim Grab, lässt aber Petrus den Vortritt, der keuchend in das Grab schleicht. Und was ist zu sehen? Eigentlich nicht viel. Nur eine große Leere – und ein paar Leinenbinden in der Ecke. Diese Geschichte reimt sich nicht von selbst. Außer Puste entdeckt Petrus, dass Jesus dort nicht ist. Das kann man auch nur so entdecken! Wenn Petrus nicht gewusst hätte, dass er dort bestattet worden ist, könnte er an seinem Verstand zweifeln. Freilich, das ist auch eine gelungene Ostererfahrung: Ich kann mich nicht nur auf mich verlassen. Ich muss mich nicht nur auf mich verlassen.
Der Evangelist, der ansonsten nichts tut, der Geschichte Plausibilität zu verleihen, setzt aber einen Schlusspunkt: „Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.“
Die Überraschung ist jetzt perfekt. Oder perplex? Dass Jesus von den Toten auferstehen muss, wissen doch auch wir nicht. Nicht wirklich! Wie es weitergeht? Es wird uns gesagt, zugesagt, dass Jesus auferstanden ist – und auferstehen musste. Unsertwillen. Zwischen dem, was wir von uns aus wissen – oder wissen können – und dem, was uns zugesagt wird, können Welten liegen. Darüber stolpern wir ständig. Dass auch die Jünger etwas nicht wissen, ist tröstlicher, als es auf dem ersten Blick erscheinen mag. Obwohl Jesus von seiner Auferstehung gesprochen hat, können auch Petrus und Johannes nichts von ihr wissen. Wir müssten jetzt darüber reden, was „Wissen“ ist. Und was Wissen vom Glauben unterscheidet. Aber dafür reicht die Zeit nicht, die Geduld vielleicht auch nicht.
Es ist ein Schlusspunkt: Wir wissen das Leben nicht, aber es wird uns eröffnet, es wird uns aufgeschlossen.
Osterpredigt
Jetzt höre ich Petrus, danach. Er hält eine Osterpredigt:
„Gott aber hat ihn am dritten Tag auferweckt und hat ihn erscheinen lassen, zwar nicht dem ganzen Volk, wohl aber den von Gott vorherbestimmten Zeugen: uns, die wir mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken haben. Und er hat uns geboten, dem Volk zu verkündigen und zu bezeugen: Das ist der von Gott eingesetzte Richter der Lebenden und der Toten. Von ihm bezeugen alle Propheten, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen die Vergebung der Sünden empfängt.“
Ostern ist ein Schlusspunkt. Einer? Der Schlusspunkt! Der Tod beklagt sich bitter darüber, dass ein anderer unter seinen Geschichten doch tatsächlich den Schlusspunkt setzt! Hören Sie sein Klagen? - Er sollte sich lieber vom Acker machen!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Claudia Simonis-Hippel (2010)
Norbert Riebartsch (2009)
Marita Meister (2001)