Sprachkunst und Sprache der Kunst
Eine Familie macht an einem Ferientag einen Ausflug. Am Abend da setzt sich die Jüngste hin und malt mit bunten Farben ein schönes Bild von all dem, was sie an diesem Tag zusammen mit ihren Eltern besonderes erlebt hat. Und wie in der modernen Kunst der Großen gilt auch hier: Nicht jeder wird das Bild der jungen Malerin deuten können, aber die Eltern, die den Tag mit ihrer Tochter verbracht - und alles miteinander unternommen haben, sie werden am ehesten verstehen, was da zu Papier gebracht wurde.
Mit so manchem Text, der uns in den Gottesdiensten vorgetragen wird, und mit manchem Glaubenssatz geht es vielen Menschen ähnlich. Gerade auch heute, am Dreifaltigkeitssonntag, wenn uns in der Mitte des Gottesdienstes verkündet wird:
"In Wahrheit ist es würdig und recht, dir heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, immer und überall zu danken. Mit deinem eingeborenen Sohn und dem Heiligen Geist bist du der eine Gott und der eine Herr, nicht in der Einzigkeit einer Person, sondern in den drei Personen des einen göttlichen Wesens. Was wir auf deine Offenbarung hin von deiner Herrlichkeit glauben, das bekennen wir ohne Unterschied von deinem Sohn, das bekennen wir vom Heiligen Geiste..." (Präfation vom Tag)
Wie bei der Schönheit des Kinderbildes, erahnen Menschen das Wertvolle, die Kostbarkeit des Glaubens, die hinter diesen Worten steckt, doch sie tun sich schwer, deren Sinn zu verstehen.
"barrierefrei"?
Bisweilen denke ich mir: vor allen Sitzungen, Konferenzen und Strukturdebatten bräuchte es erst eine "Sprach-Kommission", die unsere Texte durchsieht, und die deutsche Kirchensprache sozusagen "barrierefrei" macht, damit sie auch verstanden werden kann. Wir bauen Rampen an unsere Kirchentreppen damit es allen Menschen möglich ist, rein zu kommen. Aber wenn sie drin sind, dann verstehen sie das, was wir hier sagen, nicht mehr. Und umgekehrt ist es genauso: Viele Menschen in der Kirche hören schon gar nicht mehr, was draußen gesprochen wird.
Wenn Worte bedeutungslos werden, helfen Bilder und Zeichen, um zu verstehen. Die Kirche der vergangenen Jahrhunderte hatte das verstanden. Weil damals die meisten Menschen weder lesen noch schreiben konnten, waren die Gotteshäuser gefüllt mit Bildern, die von den Schätzen des Glaubens erzählten. Und auch die Heilige Schrift beschreibt uns in vielen Bildern und Gleichnissen das Geheimnis unserer Erlösung. Es sind Bilder, die von Gottes Liebe zu uns Menschen sprechen und damit immer auch von unserem Leben, unseren Wunden und Nöten. Sie sprechen die Sehnsucht in uns an, sie wollen uns aufrichten und uns Lust am Leben schenken.
Dreifaltigkeit menschlich dargestellt
Ich möchte Ihnen von einem Bild erzählen, das mich besonders angesprochen hat: Im Jahre 1411 malte der russische Künstler Andrei Rubljow seine Dreifaltigkeitsikone. Dieses Meisterwerk entstand in einer Zeit, die in Europa vor allem durch die Auseinandersetzungen um kirchliche und weltliche Herrschaftsansprüche geprägt war, die letzten Kreuzzüge wurden geführt, die Pest als der "Schwarzer Tod" griff um sich, Hungersnöte führten zu einer Änderung der Sozialstruktur und Reformbewegungen begannen die erste Spaltung der abendländischen Kirche auszulösen.
Auf diesem Hintergrund wirkt das Bild von Rubljow wie eine Antwort auf diese Verhältnisse. Denn Rubljow malte als Dreifaltigkeitsikone eine Szene aus dem Alten Testament: Die drei Engelsboten, die Abraham und Sara einen Sohn und damit neues Leben verheißen (Gen 18,1-33). Die Engel sitzen um einen Tisch, auf dem ein Kelch steht. Jede der drei Personen hält einen Stab in der Hand, ein Zeichen dafür, dass alle drei den gleichen Stellenwert haben.
Mir gefällt dieses Bild, weil es mich einlädt, mich frei zu machen von allzu menschlichen Vorstellungen von Gott als Vater, der als alter Mann auf einer Wolke thront und in dem das mütterliche Element des Glaubens keinen Platz hat. Mir gefällt dieses Bild, weil bei den Engeln die geschlechtsspezifischen Rollenfestlegungen aufgehoben sind. Mir gefällt dieses Bild, weil es den Geist Gottes nicht auf eine "Brieftaube" reduziert, sondern auch er als Engel menschliche Züge trägt. Und schließlich gefällt mir das Bild mit den drei Engeln, weil es zum Ausdruck bringt, dass das Ziel Gottes der Mensch und die Verheißung neuen Lebens ist - Abraham, der Stammvater des Volkes Israel, und seine Frau Sara werden in der Darstellung der Dreifaltigkeitsikone zu Stellvertretern für die ganze Menschheit.
Gottesbilder
Von der Begegnung Gottes mit dem Menschen erzählt uns heute auch die Lesung aus dem Alten Testament: Mose begegnet Gott auf dem Berg. Doch Gott ist in einer Wolke verborgen. Aus ihr hört Mose die Stimme Gottes: "Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue." (Ex 34,6). Wichtiger als Gott zu sehen ist, dass Mose erkennt, wie Gott ist. Barmherzigkeit, Langmut, und Huld und Treue. Worte, die heute so kaum noch in unserer Sprache vorkommen, nur noch in dem, worauf sie hinweisen, nämlich auf die Liebe Gottes. Wenn also etwas unseren Gott kennzeichnet, wenn es Worte gibt, die den bildlosen Gott beschreiben, den Unsagbaren zu sagen versuchen, dann ist es der einfache Satz, mit dem der erste Johannesbrief die Erfahrungen mit dem Gott Jesu zusammenfasst: "Gott ist die Liebe." (1 Joh 4,8).
Doch wie gehen die Liebe und das Dreifaltigkeitsfest zusammen? Ein Gott, der nicht nur liebt, sondern selbst die Liebe ist, der sozusagen die Liebe in Person ist, ein solcher Gott kann gar nicht als absolutes Wesen gedacht werden, das in völliger Einsamkeit an der Spitze des Weltalls herrscht und die Geschicke der Menschen lenkt. Ein solcher Gott, der die Liebe nicht nur hat, sondern der die Liebe ist, ein solcher Gott muss in sich selber Raum haben für die Liebe, muss in sich selber Beziehung sein: Ruf und Antwort, Liebe und Gegenliebe. Nicht der unbewegte Beweger (Aristoteles) der Philosophen ist unser Gott, sondern ein Gott, in dem es Bewegung, in dem es Beziehung und Mitteilung, in dem es Gespräch und Leben gibt, so wie es Andrei Rubljow mit seiner Dreifaltigkeitsikone in der Begegnung der drei Engel mit Abraham und Sara zeigen wollte.
Wenn wir beim Betreten und Verlassen einer Kirche das Kreuzzeichen auf unsere Stirne zeichnen oder damit die Menschen segnen, die zu uns gehören, dann sind wir mithineingenommen in die Bewegung Gottes auf den Menschen zu in die Vielfalt des Lebens, das der Gott, der Vater und Mutter zugleich ist, in seiner Schöpfung wirkt. Mit dem Kreuzzeichen sind wir hineingenommen in die Menschwerdung Gottes; sie hat in der verschenkenden Liebe des Sohnes für uns ein Gesicht bekommen, das uns anschaut, und uns das Ansehen gibt, das jeder Mensch - von Anfang an bei Gott hat. Mit dem Kreuzzeichen sind wir hineingenommen in den Geist Gottes, der uns auf ganz verschiedene Weise berühren kann. Im alten Pfingsthymnus der Kirche, dem Veni Creator Spiritus, weht der Geist Gott da, wo wir Trost erfahren, wo wir die Sprachlosigkeit überwinden, wo wir den Mund auftun und die Wahrheit beim Namen nennen. Der Geist Gottes berührt uns dort, wo es in uns hell wird und ein Raum der Liebe und des Friedens entsteht. Wenn wir nach diesem Bild des dreifaltigen Gottes leben, dann verliert der Streit um oben und unten, um Macht und Ansehen seine Bedeutung. Dann entsteht ein Raum der Liebe, in dem eine neue Qualität von Begegnung möglich wird und Menschen sich füreinander öffnen, weil Gott, der Raum der Liebe, sie umgreift.