Einordnung der Menschwerdung Jesu in die großen Zusammenhänge der Geschichte
Zum Jahreswechsel haben die Zeitungs- und Fernsehkommentatoren Hochsaison. Jahresrückblicke und -vorschauen fordern sie heraus, die vergangenen Ereignisse zu bewerten und in größere Zusammenhänge einzuordnen. Was noch vor wenigen Wochen als historisches Jahrhundertereignis gefeiert und medial ausgeschlachtet wurde, wird nun plötzlich nur mehr am Rand erwähnt. Die tägliche Berichterstattung ist häufig versucht, ein Geschehen als Jahrhundertereignis herauszustreichen, um damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erreichen. Was wirklich für die größeren Geschichtszusammenhänge bedeutsam ist, wird sich erst im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte herausstellen.
Die Evangelisten, die über die Geburt Jesu berichten, bemühen sich auch, das Auftreten Jesu in den großen Geschichtszusammenhängen zu verorten. Matthäus stellt einen Stammbaum Jesu vor (Mt 1,1-17), der bei Abraham, dem Stammvater Israels beginnt und über den König David bis Jesus von Nazareth keinen großen Namen der Geschichte Israels auslässt. Lukas bringt auch einen Stammbaum Jesu (Lk 3,23-38) und verfolgt die Abstammung Jesu zurück bis auf Adam, den ersten Menschen. Johannes holt noch einmal weiter aus und beginnt sein Evangelium mit den Worten "Im Anfang war das Wort..." Er lässt seine Geschichte also noch vor der Menschheitsgeschichte, sogar vor aller Schöpfung beginnen. Jeder der drei verfolgt dabei ein anderes theologisches Interesse. Während Matthäus die Bedeutung Jesu für die Geschichte Israels, also für die Geschichte des Gottesvolkes betont, geht es Lukas um die Bedeutung Jesu für die ganze Menschheit.
Für Johannes ist Jesus, seine Geburt und das, was er ausgelöst hat, Mittelpunkt des ganzen Universums. Auf ihn hin ist alles geschaffen. Er ist gleichsam der Schlüssel, wenn man den Sinn all dessen, was existiert, erfassen will.
Jesus als »Wort«, »Sinn«, »Licht«, »Leben«
Dabei geht es ihm nicht nur um eine zeitliche Einordnung in den Lauf der Geschichte. Er zieht auch alle Register, um die qualitative Einzigartigkeit Jesu zu beschreiben. Während sich Matthäus und Lukas bemühen, Jesus als den erwarteten Messias, bzw. als den Retter der Menschen vorzustellen, verwendet Johannes Begriffe wie »Wort«, »Sinn«, »Licht«, »Leben«. Sein Text ist so dicht, dass man ihn nicht oft genug lesen kann, um zu erahnen, wer da in der Person Jesu in die Welt getreten ist.
Bedeutsam für jeden Einzelnen
So genial Johannes die Bedeutung Jesu für den ganzen Kosmos, die gesamte Schöpfung und für das gesamte menschliche Dasein zusammenfasst, so sehr ist ihm auch daran gelegen, die Menschwerdung Jesu als Schlüssel für die persönliche Existenz jedes einzelnen Gläubigen herauszuarbeiten: "Und das Wort ist Fleisch geworden" (Joh 1,14). Damit wird die von vielen Menschen am eigenen Leib erfahrene und als Gegensatz empfundene Spannung zwischen Geist und Leib aufgehoben, bzw. versöhnt. Auch der Gegensatz von Himmel und Erde wird überwunden: "Allen die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden." (Joh 1,12). Nicht nur "Gott ist im Fleische", wie es ein einem Liedtext heißt, sondern auch wir sind als Kinder Gottes in Gott.
In der Liturgie des zweiten Sonntags der Weihnachtszeit klingt all das Große, das wir im Weihnachtsfest begehen, nach. Über dieses großartige Ereignis können wir nur staunen, Gott danken und anbetend vor dem Geheimnis seiner Menschwerdung verharren.