Sehnsucht nach Leben
In einem sehr schönen Roman von David Safier lesen wir die Geschichte einer jungen Frau, Marie aus Malente. Diese begegnet Jesus, der wiederkommt, um sich auf die Endschlacht vorzubereiten. Zwischen der jungen Frau und Jesus entwickelt sich ein sehr inniges und freundschaftliches Verhältnis. Marie hat eine Schwester, Kata ist ihr Name. Kata ist sehr krank. Sie litt vor einigen Jahren an einen Gehirntumor. Doch mit großer Entschlossenheit hat sie diesen Tumor besiegt. Marie spricht sie während ihrer Krankheit auf ihre Entschlossenheit, den Tumor zu besiegen an. Kata antwortet: "Ich habe keine andere Wahl. Ich glaube doch nicht an ein Leben nach dem Tod."
Das ist sicher auch eine Einstellung vieler Menschen. Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Also: ich möchte hier lange leben. Ich möchte viel vom Leben haben. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Menschen mit dieser Lebenseinstellung ihr Leben sinnvoll gestalten wollen, sich einsetzen für andere, ja bewusst mit ihrer Zeit umgehen. Auch diese Menschen wollen die Zeit, die ihnen geschenkt ist, mit viel Leben füllen.
Oft darf ich diesen Menschen begegnen. Ich spüre: in diesen Menschen zeigt sich eine ganz tiefe Sehnsucht nach Leben. Es zeigt sich auch bei diesen Menschen der Wunsch, etwas Bleibendes, was den eigenen Tod überdauert, zu schaffen. Leben, das den Tod überdauert. Leben, welches stärker ist als Krankheit, Leben, das sich gegen jede Zerstörung stemmt, ja mit diesem Wunsch sind wir als Christen mit vielen Menschen verbunden.
Ostern ist für uns Christen das Fest des Lebens. Um nun einmal auf den Anfang zu sprechen zu kommen. Als Christen wollen auch wir Krankheit und Tod überwinden. Es ist nur verständlich, dass jeder kranke Mensch, zumal wenn es ein junger Mensch ist, von seiner Krankheit geheilt werden möchte. Alles andere wäre eine Todessehnsucht, die mit dem Glauben an Gott nicht zu vereinbaren wäre. Gott zeigt uns gerade in der Auferstehung seines Sohnes, dass er ein Gott ist, der die Welt und die Menschen zum Leben geschaffen und berufen hat.
Sich für das Leben einsetzen
Darum setzen sich Christen für das Leben ein. Das kann geschehen in verschiedenen Formen: man kann sich einsetzen für das ungeborene Leben. Dieses hat vom Beginn der Vereinigung von Mann und Frau unbedingtes und unbeschränktes Lebensrecht. Es ist aber nicht nur Frauen aufgetragen, das Lebensrecht zu schützen. Die ganze Gesellschaft muss Sorge tragen und Bedingungen dafür schaffen, dass Kinder sich entfalten können.
Eine andere Form ist sicher der Einsatz für eine gerechte Welt, für gerechte Löhne, für eine gerechte Verteilung der Lebenschancen aller Menschen, für eine Umwelt, in der auch die nachfolgenden Generationen menschenwürdig leben und sich entfalten können. In diesem Einsatz zeigt sich ebenfalls eine Bejahung des Lebens. Es ist zu erklären aus dem tiefen Glauben an Gott. Selbst dann, wenn ich mich gar nicht unbedingt aus religiösen Motiven einsetze, so sehe ich doch eine tiefe Sehnsucht der Menschen nach einem menschenwürdigen Leben. Diese Sehnsucht nach Leben ist an sich schon religiös.
Ich glaube als Christ, dass Gott diese Sehnsucht in unser Herz gelegt hat. Diese Sehnsucht nach Leben mit Gott: sie kann in uns wachsen, sie kann aber auch leider verkümmern und verschüttet werden. Jesus ist in die Welt gekommen, um von Gott Zeugnis zu geben, der ein Freund des Lebens ist. Wie sagte doch Petrus in seiner Predigt, welche uns die Apostelgeschichte erzählt: ". . . wie dieser umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm." Durch Wort und Tat hat Jesus dieses Leben bezeugt. Jesus hat die Religion und den Glauben an Gott eben nicht dazu missbraucht, um bestehende Ungerechtigkeiten zu rechtfertigen. Darum haben sie ihn ". . . an den Pfahl gehängt und getötet." Doch nicht der Tod hat gesiegt, nicht der Tod und alle, die ein erfülltes Leben aller Menschen behindern, nicht diejenigen haben gesiegt, die nur egoistisch an ihr eigenes Leben denken, nein: Gott hat gesiegt, der uns Menschen Leben schenkt. Der Tod ist überwunden. Jesus lebt, er ist nicht im Grab geblieben.
Sehnsucht nach Leben, das den Tod überdauert
Der Tod und das Leid haben nicht das letzte Wort. Darum ist der Glaube nicht ein billiger Trost auf das Jenseits, das ja irgendwann einmal in ferner Zukunft kommt. Nein: das wäre ein klarer Missbrauch des Glaubens. Es gilt die Sehnsucht nach Leben in uns und in den Mitmenschen ernst zu nehmen.
Wir Christen und Christinnen des 21. Jahrhunderts haben unseren Glauben durch Zeugen geschenkt bekommen, denen Jesus als der Auferstandene immer wieder begegnet ist. So bleibt für uns nur die Entscheidung entweder zu glauben oder nicht zu glauben. Richte ich mein Leben auf diese Botschaft aus? Ich kann Gründe für den Glauben finden, ich kann ebenso Gründe finden, nicht zu glauben, oder skeptisch zu bleiben.
Ich persönlich kann nur sagen: in der Botschaft von Ostern finde ich meine Sehnsucht erfüllt und in Jesus, dem Auferstandenen bestätigt. Jesus hat auch mir, aber nicht nur mir, sondern allen Menschen ewiges Leben erworben. Ich falle nach diesem Leben nicht ins Nichts zurück. Ich habe ein Ziel, für das es sich zu leben lohnt. Dieses Ziel lässt mich die Welt nicht verneinen, nicht geringachten. Es motiviert mich, mich einzusetzen und diese Welt mitzugestalten. So wie Jesus nicht einfach bloß gepredigt hat, sondern seine Worte mit vielen Taten unterlegt hat, wie er mitten in Tod - und Leiderfahrungen Zeichen tat, die auf das Leben hinwiesen, so möchte ich mich nicht nur mit Worten begnügen.
Unsere Sehnsucht auf Gott ausrichten
Der Gott des Lebens ist für mich das Wichtigste in meinem Leben. Von der Botschaft von Ostern - Gott hat Jesus von den Toten auferweckt - davon will ich mein Handeln und Denken bestimmen lassen. Denn Ostern sagt mir: auch ich werde auferstehen. Paulus fordert uns auf: "Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!" Dieses ist der Kernsatz der Lesung aus dem Brief des Apostels. Wir werden eingeladen unsere Wünsche, unsere Sehnsüchte auf Gott auszurichten. Wenn wir das tun, dann werden die Wünsche und Pläne Gottes mit der Welt auch unsere werden.
Diese Wünsche und Pläne sind immer auf Leben in Fülle ausgerichtet. Das, was wir durch die Auferstehung Jesu an Ostern empfangen, das gilt es an unsere Mitmenschen weiter zu geben. Als Christ bin ich davon überzeugt, dass der Glaube an Gott meinem Leben echten Sinn gibt. Schon in diesem Leben, in dieser Zeit wirkt sich der Glaube an das ewige Leben aus. Ich kann diesen Sinn nicht machen. Diese Welt an sich trägt den Sinn nicht in sich selbst. Dass Leben von Gott ausgegangen ist und in Gott vollendet wird, schenkt meinem Leben Hoffnung. Weil - und das auch in der Kirche, in der Gemeinschaft der Christen - so viele Menschen ihr Leben nicht auf das Himmlische, nicht auf Gott ausrichten, sondern auf das Irdische, auf das, was die Welt bietet, auf das, was in der Welt zählt, darum gibt es soviel Streit, Hass, Krieg, Gewalt, Leid.
Wer fest an die Botschaft von Ostern glaubt, will nicht nur für sich haben, nicht nur möglichst viel für sich bekommen und nichts verpassen. Wir sollen Zeugen werden für den auferstandenen Jesus. Dessen Sehnsüchte und Wünsche sind andere geworden. In den verschiedenen Evangelien hören wir von den ersten Zeugen unseres Osterglaubens. Betrachten wir die Evangelien genauer, dann spüren wir: bei allen Beteiligten muss der Glaube an die Auferstehung Jesu erst wachsen. Vielleicht aber waren die Menschen offen, weil Jesus in ihnen tiefe Wünsche und Sehnsüchte angesprochen hat. Gott hat diese Fragen und Sehnsüchte in unser Herz gelegt. In Jesus hat Gott jeden Tod, jede Krankheit überwunden. Auch wir Menschen des 21. Jahrhunderts haben in uns diese Sehnsucht. Lassen wir diese Sehnsucht in uns wachsen. Amen.