Mensch – du bist göttlich!
Mensch – du bist göttlich. So einfach lautet die Zusage, die uns Weihnachten in der Geburt Jesu entgegenkommt. Wir feiern die Menschwerdung Gottes. Nicht in den Palästen der Mächtigen, sondern ganz unten kommt Gott zur Welt, in einem Stall bei den kleinen Leuten, den Hirten, heute vielleicht bei AsylwerberInnen, Arbeitslosen, Obdachlosen, AusländerInnen. Gott kommt als Säugling zur Welt, schutzlos, angewiesen auf menschliche Nähe, auf einen behutsamen Umgang miteinander, auf grenzenlose Solidarität. Weihnachten stellt uns so konkret die Frage: Wo sind wir Mensch, wo handeln wir menschlich? Mit der Geburt des Kindes werden Verhältnisse neu beleuchtet und zurechtgerückt. Gott will ein Gott mit uns sein.
Das Reich des Kaisers
In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl. Der Kontext, das Umfeld, das Lukas hier absteckt, ist klar. Das römische Imperium war weltbeherrschend und der Kaiser wurde quasi als Gott verehrt. Das war gläubigen Jüdinnen und Juden und in deren Nachfolge den Anhängerinnen des Neuen Weges, wie die ersten Christinnen und Christen bezeichnet wurden, ein Dorn im Auge. Denn es gibt nur einen Gott, Jahwe.
Lukas erklärt auch die Wirkweise dieser Herrschaft. Menschen müssen weite Wege auf sich nehmen, wenn der Kaiser ruft. Das gesamte Volk sollte erfasst, registriert, gezählt werden, denn so könnte es effektiver unterdrückt und ausgeplündert werden. Der Herrscher Augustus setzt mit seinem Befehl Menschen in Bewegung, mutet weite, für eine Schwangere wie Maria unmenschliche Wege zu.
Das „Reich des Kindes“
Die Inszenierung Gottes sieht anders aus. Unbemerkt von den Machtvollen drängt er sich ins Dasein. Kein Herrscher, der befiehlt, nein, ein Gott der ruft. Er kommt in die Zeit. Das ist ein wirklicher Einschnitt. In die vermeintliche Geschichte der Herrschenden dieser Welt bettet Lukas den Beginn einer neuen, gänzlich anderen Geschichte ein, die neue Bundesgeschichte Jahwes mit den Menschen, die in der Geburt Jesu neu beginnt. Lukas stellt dem Römischen Imperium das „Reich des Kindes“ gegenüber. Auch das Reich des Kindes hat einen Herrschaftsanspruch, aber seine Herrschaft bedeutet Befreiung für Israel und damit für alle Völker, eine Herrschaft, die sich am Menschen orientiert.
Josef und Maria – weltgeschichtlich völlig unbedeutend – sind repräsentativ für alle, die da gehen müssen. Lukas schwenkt von Kaiser Augustus über den Machthalter Kyrenius zu Josef und Maria, um letztendlich beim erstgeborenen Sohn Marias stillzustehen. Die Heilsgeschichte Jahwes mit den Menschen beginnt Lukas mit der Geburt eines Kindes, noch namenlos, gelegt in ein Krippe, möglicherweise eine ganz normale Futterkrippe für Tiere, vielleicht sogar ohne Stallgebäude, weil in der Herberge kein Platz war. Also alles andere als die Idylle des Knaben mit lockigem Haar, gebettet in einem Futtertrog, im Dreck des Alltäglichen wächst das Menschliche - die Krippe, der Futterplatz im Kontrast zur Herberge, dem Unterkunftsraum für Menschen.
Fragwürdige Zeugen
Zugänglich aber für Menschen, die ähnlich unterwegs sind: Die Hirten, im Freien lagernd, ausgesetzt, ausgestattet mit der besonderen Kenntnis, die Erde und den Himmel zum Wohl ihrer Herde gut beobachten zu können. Hirten waren verachtete Leute, die im Verdacht standen, es mit Mein und Dein nicht so genau zu nehmen, ausgeschlossen auch von der Zeugenaussage vor Gericht. Gerade sie werden zu Zeugen des Geschehens gemacht. Parallel fallen mir dazu die Frauen am Grab ein, auch fragwürdige Zeuginnen, deren Aussagen angezweifelt wurden. Wem trauen und glauben wir in unserem Leben?
Diese Hirten lassen sich offensichtlich nicht antreiben vom kaiserlichen Befehl. Wohl aber lassen sie sich berühren und ansprechen von einem Engel, einem Boten Jahwes, der mit seiner Botschaft einen Zugang zu ihnen findet. Die Botschaft Jahwes ist kurz und klar. „Fürchtet euch nicht“. Ein Engel, ein Bote bringt eine gute Nachricht, eine neue Perspektive, für die es sich lohnt, aufzustehen und sich auf einen neuen Weg zu machen. Eine große Freude wird angekündigt, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll und jetzt hier, bei den Hirten ihren Anfang nimmt. Heute, hier und jetzt ist ein Befreier geboren, ein Befreier in unmenschlichen Zeiten. Jahwe traut diesen Hirten also ganz schön viel zu, sie sollen die Verkünder des Heils werden. Und ein neuer Friede wird verkündet, ein Friede bei den Menschen, die in der Gnade Jahwes leben, die also nach dem Willen der Tradition, der Tora und der Propheten ein mitmenschliches Leben führen.
Anders als erwartet mischt Gott sich in die Geschichte ein
Das ist natürlich gegenüber den vermeintlichen Herrschern dieser Welt eine Provokation, die ihresgleichen sucht. In Zeiten, in denen Herrschende ihrem Volk keinen Schutz und kein gutes Leben bieten, in denen Furcht offensichtlich an der Tagesordnung ist, und auch die Einschreibung in Steuerlisten klar macht, dass die Mechanismen der Ausbeutung und Unterdrückung geschärft werden sollen, setzt Lukas andere, neue Maßstäbe. Gegen den machtvollen Kaiser und seinen Statthalter setzt er ein Kind, schutzlos, machtlos, namenlos. Ein Säugling, angewiesen auf die Zuwendung seiner Umgebung, um leben zu können, verwiesen auf die unbedingte Solidarität der Mitmenschen. Gott kommt am Rand der Gesellschaft zur Welt, machtlos aber nicht ohnmächtig, mischt sich anders, als wir es gewohnt sind, in die Geschichte ein, um der Menschen willen.
Das Kind setzt in Bewegung, die Hirten machen sich auf den Weg, trauen der Verkündigung, den Worten des Boten. Diese Hoffnung für die Machtlosen gegen die Mächtigen entfacht ein Feuer, öffnet die Münder und Herzen, bringt einen neuen Geist in das Leben, der diese Lebendigkeit weitergeben und weitertragen will. Diese Hoffnung auf ein neues Leben steckt förmlich an.
Weihnachten erinnert also weniger an das Nachspielen alter Krippenszenen mit dialektsprechenden Hirten, Schafen und einer Stallidylle, sondern lädt ein, mit Lukas den Weg der Befreiung zu gehen und für uns mögliche Wege der Mitmenschlichkeit aufzuzeigen gegen die heutigen Imperien. Die Machthaber aller Länder werden mit der Befreiungsgeschichte des Kindes letztendlich entlarvt. Weihnachten ist die Zeit der Menschwerdung gegen die Zeiten der Unmenschlichkeit.
Den Weg der Befreiung gehen
Die Hirten erzählen, was ihnen über dieses Kind, immer noch namenlos, gesagt wurde und versetzen die Zuhörenden in Staunen. Solche Weisheit und Erkenntnis hat man ihnen offensichtlich nicht zugetraut. Die Hirten berühren auch Maria. Sie bewahrt alles, was geschehen ist, in ihrem Herzen und denkt darüber nach. Und das ist ja ganz Gewaltiges. Da werden Hirten, eine Randgruppe der Gesellschaft, wesentlich, sie bringen mit ihrer Erzählung Geschichte neu in Gang. Gott entfacht durch die Zuwendung zu diesen Menschen eine neue Lebendigkeit, setzt die Hirten in ein neues Licht, verändert so Wirklichkeit und kehrt die bestehenden Verhältnisse um.
Der Glanz des Herrn beleuchtet Lebens- und Herrschaftsverhältnisse neu, macht aus unten oben und lenkt den Blick auf die Geringsten. Mit Gott ist nichts unmöglich, auch angesichts herrschender Verhältnisse, dass Veränderung ist immer möglich, auch oder gerade wenn sie im Unscheinbaren, am Rand wächst. Diese Geschichte ermuntert und ermutigt uns für das eigene Leben.
Sich in Bewegung setzen lassen
Der Bischof von Rom, Franziskus, weist uns ebenfalls neue Wege und geht immer wieder bewusst an die Ränder der Gesellschaft. Bei seinem Besuch in Lampedusa rief er auf gegen eine Globalisierung der Gleichgültigkeit. Das kann uns Mut machen, unseren Blick zu schärfen, zu weiten, uns betreffen und berühren zu lassen und erinnert daran, dass wir immer füreinander als Menschen Verantwortung zu tragen, Antwort zu geben haben auf die Anrufungen, die uns begegnen. Es liegt ähnlich wie bei den Hirten dann an uns, uns aufzumachen von vertrauten Plätzen weg zu einer neuen Krippe, zu einem neuen Menschsein. Das mag Lukas auch als Anregung für die Gemeinden in diesen Text verpackt haben. Eine neue, erfüllte Zeit ist eine Zeit, wo es wesentlich ist, sich umeinander zu kümmern, wo sich Menschen aufeinander beziehen und ihr Leben teilen, Schutzlose bevorzugt im Blick sind.
Zeit für ein kurzes Gedankenexperiment: Was wäre, würde man heute den Rufen Jahwes, der Botschaft des Evangeliums, der Praxis Jesu mehr trauen als den Rufen und Befehlen der heute Herrschenden, der PolitikerInnen, der Banken, der Versicherungen und des Geldes?
Mit-Menschlichkeit in Zeiten der Individualisierung und der Hartherzigkeit
Mit der Geburt des Kindes in Bethlehem stellt sich Gott auf die Seite der Machtlosen und gibt die Zusage, mit den Machtlosen zu gehen. Mit-Menschlichkeit in Zeiten der Individualisierung und der Hartherzigkeit braucht immer wieder die Zuwendung zueinander, braucht den Blick auf die herrschenden Verhältnisse, deren Kritik, denn die Bibel träumt von einer herrschaftsfreien, solidarischen Gesellschaft und unserer Mitarbeit am Reich Gottes.
Gott kommt dort zur Welt, wo wir die Botschaft der Menschlichkeit ernst nehmen und uns barmherzig, liebevoll und respektvoll einander zuwenden und uns für ein menschenwürdiges, gutes Leben auf den Weg machen. Auf diesem Weg dürfen wir uns der Zusage des Engels gewiss sein.
„Fürchtet euch nicht“ – Plural, nicht Singular. Wer das „euch“ ernst nimmt, kommt an einem Leben in Beziehung und Verbundenheit nicht vorbei, weiß sich bezogen auf die Mitmenschen, die Nächsten. Meistens wird Gott ganz leise Mensch, wenn Menschen zu Menschen werden. So möge uns die Botschaft der Geburt des Kindes immer wieder erinnern, unser Mit-Mensch-sein zu nähren und wohlwollend, freundlich miteinander umzugehen. Alljährlich zu Weihnachten und Tag für Tag, im echten Leben.
Autor: Mag. Fritz Käferböck-Stelzer, Betriebsseelsorger, Treffpunkt mensch & arbeit, Nettingsdorf