Jesus hat den Jünger*innen in der Not eines Seesturms Mut und Hoffnung gegeben. Eine große Zahl von Menschen durchwandern in ihrer hoffnungslosen Lage Wüsten, überqueren das Meer, um einen Platz zu finden, wo sie leben können. Ihre Not fordert uns, die wir festen Boden unter den Füßen haben, heraus und macht uns unsicher. Für Gott sind wir alle seine Kinder. Vertrauen in den Beistand Jesu kann auch uns Mut und Hoffnung geben.
Menschen auf der Flucht
Mitte Mai wurden zwei Pressefotos in diversen Medien veröffentlicht. Ein Foto zeigt einen Mann im Meer, der ein Baby hochhält und mit einem Rettungsring ans Ufer schwimmt. Das zweite Foto zeigt eine Rot-Kreuz-Mitarbeiterin am Strand, die einen verzweifelten afrikanischen Geflüchteten in den Arm nimmt. Beide Menschen haben enormen Mut und Kraft gezeigt. Ihnen gebührt große Anerkennung. Der Mann, der das Baby rettete, wurde für seinen Einsatz geehrt. Die Frau hatte mit einem Shitstorm und rassistischen Angriffen zu kämpfen.
„Ich wusste nicht, ob es noch lebte oder schon tot war. Das Einzige, was mir durch den Kopf ging, war: ,Schwimm! Schwimm! Schwimm!' Mit aller Kraft, um so schnell wie möglich an die Küste zu gelangen“, erzählt der Mann namens Valle im spanischen Staatsfernsehen RTVE. Mutter und Baby konnten gerettet werden. Unermüdlich waren die Helfer und Helferinnen der spanischen Enklave Ceuta im Einsatz.
„Ich habe ihn doch bloß umarmt“, wiederholt die Rotkreuzfrau immer wieder in einem Exklusivinterview mit dem Sender RTVE, noch bevor sie der Meute im Internet zum Opfer fiel. Es sei doch „die normalste Sache der Welt, jemanden zu umarmen, der um Hilfe bittet“, fügte sie unter Tränen hinzu. Das wollten aber bei weitem nicht alle so sehen.
So zitierte die Tageszeitung Der Standard die Frau und den Mann.
„Hinter den Zahlen und Fakten zum Fluchtthema stehen viele Millionen einzelne Menschen und ihre Geschichten; Geschichten von Gewalt und Verlust, aber auch von Mut und Hoffnung“, schreibt das UNHCR zum Weltflüchtlingstag. Diese Menschen nehmen für uns kaum vorstellbare Anstrengungen und Leid auf sich. Sie müssen wirklich eine enorme Portion Mut haben, um sich aufzumachen. Gibt Verzweiflung und Existenzangst diesen Überlebensmut? Wahrscheinlich.
Du bist ein Kind Gottes
So kontrovers auch wir Christinnen und Christen hier in Österreich das Thema Flucht und Asyl diskutieren, so wenig können wir als Christinnen und Christen über das Evangelium und das Handeln Jesu hinwegsteigen, oder es gar streichen:
Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter zeigt deutlich - es ist uns auf getragen, den Leidenden zu helfen.
Das Matthäusevangelium sagt deutlich: Ich war obdachlos und ihr habt mich aufgenommen.
Jesus geht zielgenau auf Ausländer*innen, auf Ausgegrenzte, auf Leidende zu und heilt sie. Immer betont er: Du bist ein Kind Gottes.
Es ist also Nachfolge Jesu, so wie er zu handeln. Wir müssen nicht alle Heilige sein - aber die Haltung, das kleine Wort zu sagen oder die jetzt anstehende Handlung zu machen - daran werden wir als Christinnen und Christen erkannt.
Die Linzer Pastoraltheologin Clara Csiszar beschreibt missionarisches und diakonisches Handeln so: „Den Menschen den nächsten Schritt im Leben zu ermöglichen.“ Das kann sein, die Angst zu nehmen, zu trösten, zu retten, zu bekleiden, zu essen geben, sich für Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung einsetzen. Oder: zuhören. Die Geschichten der Flüchtlinge anschauen. Hinsehen, sich berühren lassen, mitleiden, ja sogar mitweinen.
Lampedusa, Lesbos, Irak…
Papst Franziskus ist nach Lampedusa, nach Lesbos und in den Irak gefahren. Er wollte den Menschen sagen: Ich sehe euch, ich weiß, dass es euch gibt, ich achte euch.
Im April 2016 sagte Papst Franziskus zu den Flüchtlingen auf der Insel Lesbos:
„Liebe Brüder und Schwestern, ich wollte heute bei euch sein und euch sagen, dass ihr nicht allein seid. In den letzten Wochen und Monaten habt ihr schweres Leid erfahren auf eurer Suche nach einem besseren Leben. Viele von euch sahen sich gezwungen zu fliehen, vor kriegerischen Konflikten und vor Verfolgung, vor allem wegen eurer Kinder, wegen eurer Kleinen. Ihr habt große Opfer für eure Familien gebracht. Ihr kennt den Schmerz, all das zurücklassen zu müssen, was euch lieb und teuer war. Und, was wahrscheinlich am schwierigsten ist: ohne zu wissen, was die Zukunft bringen würde. Gott hat die Menschheit als eine einzige Familie geschaffen.
Wenn einer unserer Brüder und Schwestern leidet, sind wir alle betroffen. Wir sind gekommen um die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf diese schwere humanitäre Krise zu lenken und um eine Lösung zu beschwören. Hoffen wir, dass die Welt in einer Weise reagiert, die unserer gemeinsamen Menschlichkeit würdig ist.
Der Integrationsprozess ist ein schwieriger Vorgang. Offensichtlich sind wir hier mit Herausforderungen konfrontiert, die sich aus den Unterschieden ergeben. Und Unterschiede machen uns immer Angst, weil sie uns wachsen lassen. Gleichförmigkeit lässt uns nicht wachsen, deshalb macht sie uns auch keine Angst. Unterschiede sind kreativ, verursachen Spannung, und die Auflösung dieser Spannung bringt die Menschlichkeit voran.“
Frohe Botschaft
In den Lesungen am heutigen Sonntag begegnen wir Hiob, der unendliches Leid erlebt hat und schließlich das richtige Verhältnis zwischen Gott und Mensch erkannt hat.
Paulus schreibt an die Gemeinde von Korinth: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er oder sie eine neue Schöpfung.“
Vielleicht schließt das an die Worte von Papst Franziskus an, dass Unterschiedlichkeit auch kreativ und schöpferisch ist, dass diese Art und Weise, wie Jesus auf die Menschen zugeht, eine neue Menschlichkeit entstehen lässt.
Im Evangelium wird geschildert, wie Jesus den Sturm bändigt und den Begleiter*innen die Angst nimmt. Ich frage mich: Kann dieses Evangelium mit der Situation der Menschen auf der Flucht, die Meere überqueren müssen, wo viele bei der Überquerung sterben, wo Helfer*innen retten - kann dieses Evangelium mit dieser Wirklichkeit in Verbindung gebracht werden? Also nimmt Jesus auch den Menschen auf der Flucht im Meer die Angst? Oder ist dies eine billige und unzulässige Vertröstung?
Mut und Hoffnung
Das UNHCR spricht von Mut und Hoffnung der geflüchteten Menschen. Ist es vielleicht so ein Hoffnungsschimmer und Mutanker der Menschen auf der Flucht, der aus ihrem persönlichen Glauben genährt wird? Ist es diese gläubige Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die ihren Aufbruch in der Not und ihre Kraft auf der Flucht ermöglicht? Ist es das Vertrauen auf die begleitende Hand Gottes, auf die Bändigung des Sturmes durch Jesus, die diese Menschen weitergehen lässt?
Ja, aus dieser Hoffnungsperspektive ist diese Verbindung mit dem Evangelium zulässig. Beten wir als Christinnen und Christen hier in der Kirche in Österreich, dass sich in den Köpfen und Herzen vieler Menschen etwas bewegt. Dass neue Wege der Bekämpfung der Fluchtursachen beschritten werden und neue Wege aufgehen, Geflüchteten ein würdiges Leben zu ermöglichen. Beten wir darum und setzen wir unsere ganz persönlichen möglichen kleinen Schritte dazu.
Dann lesen wir die Bändigung des Sturms durch Jesus auch für uns hier in Österreich neu: Möge sich die Angst in uns lösen und die tröstende Ruhe einkehren, die uns Kraft und Mut für Schritte der Liebe und Menschenwürde gibt.
Beten wir mit Frere Roger:
Heiliger Geist, gib,
dass wir Frieden stiften,
wo Gegensätze aufeinanderprallen,
und dass wir durch unser Leben
einen Widerschein des Erbarmens Gottes erkennen lassen.
Ja, lass uns lieben
und es mit unserem Leben sagen.
© Mag.a Gabriele Eder-Cakl, Direktorin Pastoralamt Diözese Linz.
Hans Hütter (2000)
Reinhard Gruber (1997)