Wer ist Jesus?
Es beginnt unverbindlich, mit einer Meinungsumfrage: "Für wen halten mich die Leute?"
Nun, da fällt wohl jedem etwas ein: Du bist auf jeden Fall ein Vorbild. Friedensstifter, Menschenrechtler, Menschenfreund, Sozialreformer, Heiler. Auch Muslime können mit dir als Propheten etwas anfangen, sogar Juden halten dich für einen großen Rabbi...
Jedoch dann wird es plötzlich persönlich: "Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" - Aber auch diese Frage kann den routinierten Kirchenbesucher nicht aus der Ruhe bringen. Du bist Freund, Bruder, guter Hirte, Brot des Lebens, Licht der Welt, Herr, Meister, König, Menschensohn, Erlöser, Heiland, Messias, Sohn Gottes. - "Doch er verbot ihnen streng, es jemand weiterzusagen."
Warum? Was ist so schlimm daran, herum zu erzählen, dass Jesus der Messias ist, auf Griechisch "Christos", auf Deutsch "Gesalbter"? Wir nennen doch Jesus in jedem Gottesdienst mehrfach und auch im privaten Gebet oft so!
Der Messias ist ein von den jüdischen Propheten angekündigter endzeitlicher Retter, der ewiges Schalom, das heißt also Frieden, Heil, Wohl für alle bringen soll. Die Zeit, in der Jesus lebte, wurde als sehr endzeitlich empfunden: Die Römer übten eine Gewaltherrschaft aus. Damals erwartete man einen politischen Messias, einen kämpferischen Befreier, der die Römer aus dem Land jagen würde.
Jesus verbietet also, falsche Vorstellungen von ihm zu verbreiten. Und er erläutert dann auch noch, was für eine Art Messias er ist: Einer, der keine Gewalt anwendet, einer, der sogar leiden und sterben muss, der aber auch auferstehen wird. Und es gibt eine Konsequenz daraus: Die Nachfolge.
Jesus "brieft" seine Anhänger. Er schwört sie ein auf sein Programm. Wer zur jesuanischen Gesinnungsgemeinschaft gehören will, muss wissen, mit wem und worauf er sich einlässt.
Aber Jesus will sich dabei nicht auf ein bestimmtes Bild festlegen lassen.
Die Evangelien, insbesonders die "Ich-bin"-Worte aus dem Johannesevangelium zeichnen ein buntes Bild von Jesus: Ich bin das Brot des Lebens, das Licht der Welt, die Tür, der gute Hirte, die Auferstehung und das Leben, der Weg, die Wahrheit und das Leben, der wahre Weinstock. Ich bin nicht (nur) der Messias. Vor allem bin ich nicht (nur), für was du mich hältst.
Die Macht der Bilder
Sie kennen vielleicht die folgende Parabel von Bert Brecht:
"Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, "wenn Sie einen Menschen lieben?"
"Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K.,
"und sorge, dass er ihm ähnlich wird."
"Wer? Der Entwurf?"
"Nein", sagte Herr K., "Der Mensch."
Bert Brecht bringt es auf den Punkt. In jeder engen Beziehung wie Liebe, Partnerschaft, Freundschaft ist es wichtig, immer wieder zu prüfen, wer oder was der und die andere für mich ist. Aber es ist auch immer wieder zu prüfen, ob mein Bild vom anderen stimmt. Und dann besteht die Gefahr so zu sein wie Herr K. Ich habe ein Bild - Brecht verwendet die harte Formulierung "Entwurf" - von meinem Gegenüber und versuche ihn auf mein Bild hin festzulegen, anzupassen, einzuschränken.
Die Dynamik der Liebe
Jesus weist uns hingegen an, unsere Bilder immer wieder neu zu überdenken, uns nicht mit einem Bild zufrieden zu geben, der Dynamik der Liebe treu zu bleiben.
Ein Lebensthema von Max Frisch war "Du sollst dir kein Bildnis machen": "Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen."
Einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen... Der geliebte Mensch ist ein Geheimnis, ein schillerndes, sich wandelndes. „Nachfolge“ bedeutet auch das Wagnis, sich einzulassen auf dieses Rätsel, sich der Dynamik der Liebe auszusetzen.
Wer ist Jesus für dich?
"Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich bin?" - Wer ist also dieser Jesus für Sie, für dich?
Horcht in euch hinein. Macht es euch nicht zu einfach. Aber habt keine Hemmungen. Seid kreativ. Aber sucht keine eindeutige Lösung. Und: Sagt es nicht weiter. Verlasst den geschützten Raum der Freundschaft nicht. Es ist eine Frage der Intimität, der Privatsphäre. Eine Sache zwischen Jesus und dir. Es gibt Dinge, die man Facebook besser nicht anvertraut.
Lothar Zenetti fand eine zugleich sehr poetische und uneindeutige, offene Antwort, die ich Ihnen mitgeben möchte:
Wer Jesus für mich ist?
Einer, der für mich ist.
Was ich von Jesus halte?
Dass er mich hält.