Lesung aus dem Buch Jeremía.
So spricht der Herr:
Jubelt Jakob voll Freude zu
und jauchzt über das Haupt der Völker!
Verkündet, lobsingt
und sagt: Rette, Herr, dein Volk,
den Rest Israels!
Siehe, ich bringe sie heim aus dem Nordland
und sammle sie von den Enden der Erde,
unter ihnen Blinde und Lahme,
Schwangere und Wöchnerinnen;
als große Gemeinde kehren sie hierher zurück.
Weinend kommen sie
und in Erbarmen geleite ich sie.
Ich führe sie an Wasserbäche,
auf ebenem Weg, wo sie nicht straucheln.
Denn ich bin Vater für Israel
und Éfraim ist mein Erstgeborener.
(Lektionar 2018 ff. © 2024 staeko.net)
Jeremia ist einer der Propheten, der seine Rolle als Mahner, Warner und Verkünder von Gottes Gericht am intensivsten ausgeübt hat. Was er will, steht gleich im 1. Kapitel: Ausreissen und niederreissen, vernichten und einreissen, aufbauen und einpflanzen (1,10). Wobei ein Übergewicht des Destruktiven augenscheinlich ist. Die zwei Verse der heutigen Lesung verbreiten daher eine Stimmung, die im Jeremia-Buch nicht unbedingt zur vorherrschenden gehört: Freude über erlebte Rettung. Nach aller Bedrängnis und allem Gericht gibt es die Rettung in Gott. Die Textstelle erinnert an Psalm 23, der dem Autor des Jeremia-Buches bekannt gewesen sein muss.
Mit dem Propheten Jeremia verbinden sich eher dunkle Worte und Unheilserfahrungen. In der vorliegenden Passage drückt Jeremia seine Sehnsucht aus: Eine Erneuerung des Volkes, weil es sich seinem Gott zuwendet. Der Weg mit aller Trauer ist der erste Schritt, auf den Gott mit seinem Weg des Neubeginns antwortet. Das Volk kann und soll einstimmen.
Es ist eine Trostaussage, die auch als solche zu lesen ist: Die Not wird beschrieben und anerkannt, aber ihr wird auch der Ausweg angeboten. Der Ausweg heißt aufrichtige Begegnung.
Das vierzigjährige Wirken des Jeremia fällt in eine politisch und religiös sehr bewegte Zeit. Unter König Josija (639-609) werden religiöse und politische Hoffnungen neu belebt: Deuteronomische Reform 621, Erneuerung des Jahwe-Glaubens. Politische Versuche, Samaria und Galiläa in ein wiederhergestelltes Reich David zurückzuführen, Hoffnung auf die Rückkehr der 721 in assyrische Gefangenschaft Deportierten. Alle Erwartungen werden zunichte mit dem Tode des Königs 609 im Kampf gegen die Ägypter bei Megiddo. 605 bringt Nebukadnezar Palästina unter seine Herrschaft. König Jojakim (608-598) ist von ihm abhängig, intrigiert mit Ägypten gegen Babylonien, was 597 zur Belagerung Jerusalems und zur 1. Deportation führt. König Zedekia (597-587), von Nebukadnezar eingesetzt, kann nicht verhindern, daß Jerusalem 587 belagert und zerstört wird. 2. Deportation. Judäa ist babylonische Provinz. Den Jeremia verschleppt man nach Ägypten.
Zum Text:
Vers 7: "Denn so spricht Jahwe": ist Anfang eines neuen Spruchs, gleichzeitig aber auch die Verbindung mit Vers 6. Dort rufen Wächter auf dem Gebirge Ephraim (Nordreich) auf zur festlichen Wallfahrt nach Jerusalem. Der Gedanke der religiösen (und politischen) Enheit steht dahinter: Zion wird wieder Mittelpunkt für danz Israel (Nord- und Südreich) sein. Die kultisch-liturgiesche Vorstellung klingt in V 7 weiter: Aufforderung zum Jauchzen, Jubel und gottesdienstlichem Bekenntnis. Der Jubel mündet in das Bekenntnis: "Jahwe hat sein Volk gerettet, den Rest Israels." Die Vorstellung vom "Rest" ist politisch-militärischer Herkunft (von besiegten Völkern bleibt ein Rest übrig), wird aber mehr und mehr bei Amos, bei Jeremia, Deuterojesaja und Ezechiel zu einem festen Terminus mit messianisch-eschatologischen Erwartungen verbunden: Mitten im Zusammenbruch erweist sich Gott darin am Werk, daß überhaupt ein Rest übrigbleibt, den Gott zu einem neuen Anfang in der Geschichte seines Heils ausersehen hat.
Vers 8: Mit der Restvorstellung ist meist auch das "Sammeln der Zerstreuten" verbunden. Nicht nur aus dem Exilland, sondern von allen Seiten, aus allen Ländern führt Jahwe die Zerstreuten heim: ein ergreifender Ausdruck für seine unwiderstehliche rettende Tat, die keinen übersieht, mag er in die fernsten Winkel der Erde verschlagen worden sein und keinen zurückläßt, auch nicht diejenigen, die zu allen Zeiten und überall den "Fortschritt" behindern: Blinde, Lahme, Schwangere etc - die "unproduktiven" Gruppen der Gesellschaft. Eschatologisches Heil und menschenmögliche reale, sozialpolitische Hoffnung sind hier fast unzertrennlich verbunden.
Vers 9: Unter Jahwes Geleit wird das neue Heil erfahren als die große Schicksalswende, in Bildern ausgedrückt, die stark an die Psalmen erinnern. Grund und Gewähr für den Erfolg auf diesem Weg liegen allein darin, daß man erfährt und erkennt: "Ich (der Herr) bin Israels Vater". Gottes erbarmende Liebe und väterliche Sorge machen Umkehr und Schicksalswende möglich.
Martin Stewen (2021)
Norbert Riebartsch (2003)
Feri Schermann (1997)