Besser, schneller, schöner, reicher, erfolgreicher, angesehener sein
In meinem Zimmer stehen einige Tischkarten. Oft, wenn ich zu einem Fest eingeladen bin, wird mir durch eine Tischkarte gezeigt, wo und neben wem mein Platz bei einem Fest ist. Diese Tischkarten haben für mich noch eine andere Bedeutung. Der Gastgeber hat an mich gedacht. Das tut mir gut. Sicherlich hat er sich Gedanken darüber gemacht, mich gerade hier und nicht woanders zu platzieren.
Als Jesus an einem Fest teilnahm, da hatte der Gastgeber wohl keine Tischkarten aufgestellt. Er hatte sich vielleicht gedacht, dass sich die Tischordnung wie von selbst geben werde. Oder er hatte sich gedacht: wer zuerst kommt, der mahlt zuerst, der bekommt eben die besten Plätze. Was Jesus beobachtet, das zeigt: damals wie heute möchten die Menschen die besten Plätze bekommen. Vielleicht hatte Jesus auch schon öfters was beobachtet, wovor er warnt: die bittere Erfahrung, auch heruntergesetzt werden zu können.
An-gesehen werden ...
Doch Jesus erteilt hier keinen Anstandsunterricht. Vordergründig scheint Jesus das Verhalten der Menschen zu korrigieren. "Lasst euch vom Gastgeber platzieren!" Hinter dem, was Jesus sagt, steht noch viel mehr. Denn ein äußeres Verhalten ist auch oft ein Hinweis auf eine innere Haltung. Mehr noch: ein äußeres Verhalten kann auch viel sagen, wie mein Verhältnis zu Gott ist. Genau darin sehe ich den Sinn dieser Geschichte. Wir möchten nicht nur bei Festmählern die besten Plätze haben, sondern auch im Leben. Wer von uns kennt eben nicht das Bedürfnis besser, schneller, schöner, reicher, erfolgreicher, angesehener zu sein. Das letzte Wort ist es doch, was uns am meisten beschäftigt. In den Augen der Mitmenschen gut dastehen. "Sparst du was, dann hast du was. Hast du was, dann bist du was."
... von Menschen
Mein Selbstwertgefühl hängt sehr stark davon ab, wie mich meine Mitmenschen sehen, wie sie mich mögen, mir zujubeln. Das ist ein wenig überspitzt und pointiert gesagt: doch es ist so. Auch dann, wenn ich keine Berühmtheit bin, dann möchte ich doch Anerkennung genießen. Dafür tue ich alles. Das kann mich verkrampfen.
Was ist es denn, wovon in den Zeitungen und in den Medien berichtet wird? Es sind die Erfolge, die herausragenden Leistungen. Wer nur mit dem Durchschnitt aufwarten kann, wird schon gar nicht mehr erwähnt. Es sind die Besten, die Einser-Diplome. Wie oft habe ich mir doch schon gedacht: gerne wäre ich dabei. Darum brauche ich mich auch nicht zu überheben über die ach so bösen Pharisäer, die sich die Ehrenplätze heraussuchen.
... von Gott
Diese Geschichte kann mir viel sagen, über mein Verhältnis zu mir selber, über mein Verhältnis zu Gott. Diese Geschichte kann mir viel innere Gelassenheit schenken. Jesus rät, sich vom Gastgeber platzieren zu lassen. Betrachten wir unser Leben doch als ein Fest, zu dem uns Gott einlädt. Lassen wir uns doch unseren Platz von Gott schenken. Lassen wir uns doch zuallererst von Gott anerkennen. Gott schenkt uns Anerkennung, Gott schenkt uns Ansehen. Wir sind eingeladen, uns von seiner Liebe allein abhängig machen und nicht von dem Ansehen, das wir bei Menschen genießen. Mitmenschen, von deren Ansehen wir uns abhängig machen, nutzen uns oft nur aus. Sie machen uns unfrei. Mitmenschen schauen auf das äußerliche. Doch bei Gott eben ist das anders. Ich darf darauf vertrauen, dass ich, so wie ich bin, mit allem, was ich kann und auch, was ich nicht kann, so von Gott geschaffen bin, seit Ewigkeit gedacht und vor allem so auch angesehen und geliebt bin.
Freiheit und Bescheidenheit
Mich von Gott allein abhängig zu machen, das führt mich zur Bescheidenheit. Von der hören wir in der ersten Lesung aus dem Buch Jesus Sirach. Bescheidenheit - das darf ich hier als eine Einladung verstehen. Bescheidenheit bedeutet für mich nicht, mich selber abzuwerten. Falsche Bescheidenheit wird oft entlarvt. Ich mache mich selbst nicht schlechter, aber auch nicht besser.
Wenn ich einen Erfolg im Leben verbuchen darf, sei es eine bestandene Prüfung, sei es Wohlstand, dann weiß ich: es ist eben nicht nur mein Verdienst. Wenn ich eine verantwortungsvolle Aufgabe oder ein Amt anvertraut bekommen habe, dann spüre ich, dass ich nicht nur auf eigene Kraft vertrauen darf. Dann versuche ich auch immer wieder zu sehen, welch günstige Bedingungen es auch waren, durch die ich aufsteigen durfte, neben allem Fleiß, neben aller Anstrengung. Vor allem spüre ich dann auch die Verantwortung, die ich für eine Aufgabe, für die Menschen, die mir anvertraut sind, trage.
Niemals darf ich vergessen, wer es war, der mir Talente in die Wiege legte. Gott, der Gastgeber des Festes. Gott hat mich nicht so begabt, eben so wie ich bin. Dabei hat er in Liebe auf mich geschaut. Genau so und nicht anders soll ich meinen Platz ausfüllen. Wenn ich das weiß und auch verinnerliche, dann brauche ich weder danach zu schielen, der Erste oder der Beste zu sein, noch dass ich eine flache Bescheidenheit an den Tag lege.
Meinen Wert muss ich mir nicht krampfhaft erarbeiten, ich habe meinen Wert schon durch Gottes Ansehen. Um herauszufinden, wer ich vor Gott bin, wie Gott mich geschaffen hat, muss ich im Leben auch manches ausprobieren. Das kann auch zuweilen Scheitern bedeuten. Jedes Scheitern aber bringt mich doch wieder mehr zu dem, als der Gott mich haben will.
Christsein in einer Leistungsgesellschaft
Das alles wage ich in unsere Leistungsgesellschaft hineinzusprechen, in der ein zweiter Platz schon als Niederlage gilt, in der jedes Kind schon mindestens die Realschule besuchen muss, wenn es anerkannt werden will, in der die Rechte von Leiharbeitern oft mit Füßen getreten werden: einfacher gesagt als getan. Doch gerade hier zeigt sich, was die christliche Gemeinschaft ist. Wir als Christen sollten uns in unserem ganzen Denken von den anderen Menschen unterscheiden. So wirken wir missionarisch. Weil wir eben die Werte Jesu leben. Diese unterscheiden sich ganz deutlich von den Werten anderer Menschen. Es sollen bei uns eben nicht nur schöne und gute Worte sein, dass es ein Leben auch ohne Abitur gibt, sondern es sollte durch unser Leben abgedeckt sein. Bei uns Christen sollte ein Arbeitsloser nicht verdächtigt werden, faul und arbeitsunwillig zu sein. Wir sollen denen die ersten Plätze geben, die woanders die letzten Plätze bekommen. Und um einen wichtigen Gedanken Jesu aufzugreifen: wen laden wir ein? Diejenigen, die jeder einlädt, diejenigen, mit denen man sich schmücken kann und die uns irgendwann wieder einladen. Oder diejenigen, die sich nicht revanchieren können?
Von Gott geliebt und geschätzt
Wer bekommt bei Gott wohl die Ehrenplätze? Wer hat bei Gott wohl das meiste Ansehen? Immer wieder hören wir: es sind die Armen, die Geringsten. Es sind nicht eben die Einser-Diplome, die Doktortitel, es sind nicht die Gewinner: diese standen schon in diesem Leben auf dem Siegertreppchen. Ich glaube: Es sind die Menschen, die zwar nicht unbedingt im Leben auf Siegertreppchen standen, die niemals eine Auszeichnung bekommen haben, weil sie Jahrgangsbester waren, sondern es sind Männer und Frauen, die anderen gedient haben, oft im Stillen. Es sind die Menschen, die für die hilfsbedürftigen, die für die ärmsten der Armen da waren. Es sind die Taten der Hilfsbereitschaft, die aufmunternden Worte, die bei uns zählen sollten. Der Wert eines Menschen zeigt sich nicht in Leistung oder im Ansehen bei anderen, sondern darin, dass er von Gott, so wie er ist, unendlich geliebt ist. Wir Christen sollten das einander spüren lassen.
Wenn ich meine Tischkarten betrachte, dann glaube ich fest: Gott hat mir meinen Platz schon zugewiesen. Das kann sich auf meinen Platz im himmlischen Reich beziehen und auch auf meinen Platz im Hier und Heute. Er hat an mich gedacht. Ich bin das, was ich vor Gott bin und so bin ich wertvoll. Amen.
Martin Stewen (2007)
Lopez Weißmann (2001)