Worauf es ankommt, wenn er kommt
Es gibt Lieder, die singen wir besonders gern. Denn sie besingen eine ganz andere Welt als wir sie erleben. Als Jugendlicher habe ich gerne das folgende Lied mitgesungen:
Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde,
heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn er kommt
Der Herr wird nicht fragen: was hast du gespart, was hast du alles besessen?
Seine Frage wird lauten: was hast du geschenkt, wen hast du geschätzt um meinetwillen?
Der Herr wird nicht fragen: Was hast du gewusst, was hast du Gescheites gelernt?
Seine Frage wird lauten: was hast du bedacht, wem hast du genützt um meinetwillen?
Der Herr wird nicht fragen: Was hast Du beherrscht, was hast Du Dir unterworfen?
Seine Frage wird lauten: Wem hast Du gedient, wen hast du umarmt, um meinetwillen?
Das Gesetz der Liebe und der Barmherzigkeit
Dieses Lied hat noch mehr Strophen. Doch ich glaube, aus den ersten Zeilen ist klar geworden, worum es in diesem Lied geht. Es geht um die neue Welt Jesu. Da zählt ein anderes Gesetz als bei uns. Es ist das Gesetz der Liebe und der Barmherzigkeit. Es ist nicht das Gesetz der Stärke und der Macht. Als Kirche Jesu Christi, auch als einzelne Christen müssen wir uns immer fragen: nach welchem Gesetz leben denn wir. Was haben wir uns ausgewählt. Ist es eben das Gesetz der Liebe, besungen im Lied oder schwimmen wir im Strom der Welt mit. Es wird mir bei diesem Lied klar und deutlich: es ist so einfach schöne Lieder zu singen, so wie es so schön einfach ist große Sprüche zu machen, darüber zu reden, wie alles sein könnte. Aber es ist nicht einfach, nach diesen Worten zu leben.
Wer braucht sie nicht, die Anerkennung. Wer möchte es nicht: viel erreichen, einen Wohlstand zu erarbeiten. Wer möchte es nicht, auch beruflich voran zu kommen? Wer wünscht sich nicht, möglichst auf die Seite der Menschen zu stehen, denen es gut geht. Das ist als solches nicht schlecht. Im Alten Testament galt Reichtum und Wohlergehen als Zeichen für die Gnade und die Liebe Gottes, als Zeichen für ein rechtschaffendes Leben. Es ist auch nicht verkehrt, sich über Erfolg zu freuen, sei es ein beruflicher, sei es ein sportlicher Erfolg. Das Lied am Beginn aber und auch das Evangelium sagen uns, worauf es ankommt, wenn er kommt.
Es geht nicht ohne Werte
Gott wollte nicht, dass ein Mensch Not leidet. Genau bei diesem Satz bin ich schon beim Kern. Weil Gott nicht wollte, dass Menschen Not leiden, darum ist er barmherzig. Es hat immer Arme und Notleidende gegeben. Es gibt eben auf der Welt Einsamkeit, Trauer, Krankheit, es gibt Menschen in Gefängnissen, weil sie schuldig werden, kurzum: wir haben nicht das Paradies. Es ist in der Erziehung nötig, Kindern klar zu machen, dass das Leben eben kein Ponyhof ist, auf dem man sich den ganzen Tag vergnügen kann, wo einem alle Wünsche erfüllt werden.
Wenn ich die neueren Bücher über Erziehung sehe, dann merke ich beim Buchtitel oder bei der Kurzbeschreibung: die Menschen spüren, dass für unser Zusammenleben Werte notwendig sind, dass wir sie wieder entdecken müssen, den Kindern vorleben müssen. Denn wir leben am Sinn des Lebens vorbei, wenn wir nur noch die reine Spaßgesellschaft erleben wollen. Die Menschen spüren auch, wo es hinlaufen kann, wenn nur noch das Geld zählt, nur noch der Mensch zählt, der funktioniert. Sobald ein Mensch nicht mehr funktioniert, wird er ausgetauscht. Es ist heute mit 40 schon schwer, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Die Geldkrisen in Europa baden im Grunde genommen nur noch die aus, die sich am wenigsten wehren können.
"Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan"
Warum kann es zu solchen Krisen und Erfahrungen kommen? Diese Krisen sind zum ganz großen Teil ein Ergebnis, dass Menschen ihre Mitmenschen übersehen. Sie haben kein Auge für die Nöte ihrer Schwestern und Brüder. Sie haben kein Ohr mehr für die Hilfeschreie. Sie sehen nur noch sich selbst und sind in sich geschlossen. Genau davor möchte uns Jesus bewahren. Wir können im Katechismus diese Worte lesen: "Unser Herr macht uns darauf aufmerksam, dass wir von ihm getrennt werden, wenn wir es unterlassen, uns der schweren Nöte der Armen und der Geringen, die seine Brüder und Schwestern sind anzunehmen." Denn: wir haben sie ja gehört: was ihr dem Geringsten getan bzw. nicht getan habt, das habt ihr mir getan oder nicht getan. Jesus begegnet uns gerade im Menschen, die am Ende der Leiter stehen. Es sind die, die nicht leistungsfähig sind. Es sind die schuldig gewordenen, die sich nach Vergebung sehnen. Wie oft werden Menschen schuldig oder geraten auf der schiefen Bahn, weil sie zu wenig Anerkennung und Liebe erfahren.
Wie gut kann es diesen Menschen tun, wenn sie erleben: da nimmt mich jemand an, trotz meiner Vergangenheit. "Ich war im Gefängnis, und du hast mich besucht!" Da ist jemand fremd. Er wird freundlich aufgenommen. "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen!" Bei allen Werken, die der Weltenrichter aufzählt spüre ich, worauf es ankommt, wenn er kommt. Auf die Bereitschaft, diese Welt nicht nur ein wenig menschlicher zu machen, sondern sie als neue Welt zu gestalten, sie im Sinne Jesu zu gestalten. Wo wir das versuchen, das öffnen wir uns der Liebe Gottes, der Barmherzigkeit. Da beginnt schon die neue Welt, und da kommt es auf anderes an. Diese Welt beginnt jetzt und hier, in unserem Lebensbereich: "Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde, heute wird getan oder auch vertan..."
Eine neue Freiheit
Das Lied vom Beginn sollen wir nicht nur singen, sondern auch in unser Leben umsetzen. Schauen wir uns die einzelnen Strophen an, dann werden wir feststellen, welche Freiheit es auch uns als einzelnen schenken kann. Denn wenn ich nach dem lebe, was das Lied, was dieses Evangelium mir verkündet, dann fühle ich mich vom Druck befreit, erfolgreich zu sein, immer stark sein zu müssen, mich durchsetzen zu müssen, aus der Angst, ich könnte etwas verpassen. Ob mein Leben gelingt, das hängt doch nicht vom Ansehen ab, das ich bei anderen Menschen genieße, das hängt nicht vom Einfluss ab, ob ich mir viel leisten konnte, ob ich viel von der Welt gesehen habe.
Ich denke so an manche Beerdigungen. Da sind bei der einen Beerdigung Massen von Menschen. Das ist oft ein gutes Zeichen, dass ein Mann oder eine Frau ihr Leben sinnvoll gestaltet hat, dass er für andere da war, dass er seinen Einfluss zum Wohle der Brüder und Schwestern ausgenutzt hat. Aber es muss nicht sein. Da gibt es andere Beerdigungen, bei denen nur wenig Menschen da sind, oft nur ein einziger. Das Leben eines Menschen muss deswegen nicht weniger gelungen sein, vielleicht ist es sogar mehr gelungen. Denn bei Gott ist die Barmherzigkeit wichtig, die ich gezeigt habe, ob sie öffentlich bekannt wurde oder nicht.
Wenn ich meinen Mitmenschen nicht vergesse, mich ihm nicht verschlossen habe, sondern wenn ich mich ihm geöffnet habe, dann lebe ich mein Wesen. Dann lebe ich das Wesen Gottes, das Wesen Jesu, der sich für uns hingegeben hat. Wir können uns aber auch dem Wesen, der Liebe Gottes zu uns verschließen. Dann verschließen wir uns auch unseren Mitmenschen, wir wenden uns ab vom Mitmenschen und von Gott.
Ich kann nicht die Nöte der Welt beheben. Ich kann aber bereit sein, von dem, was mir im Leben an Guten zugekommen ist, zu teilen. Denn ich begegne in jedem Menschen Jesus Christus selbst, ganz besonders in dem, der meine Hilfe braucht. Das hat in einer sehr einprägsamen Weise Mutter Teresa einmal ausgedrückt. "Wir begegnen Jesus auf verschiedene Weise. In der Eucharistie begegnet er uns in der Gestalt des Brotes, hier in den Slums begegnet er uns im Armen und Notleidenden Menschen."
Lasst das Lied leben. Dann, so ist es uns heute verheißen, können auch wir hoffen, bei Gott zu leben und nicht getrennt von ihm. Möge jeder Gottesdienst uns dazu führen, Jesus im Wort zu begegnen und barmherzig zu werden, uns selbst gegenüber wie auch barmherzig zu anderen. Amen.