Kindliche Konfliktlösungen
Wenn ich als Kind mit meinen zwei älteren Brüdern Konflikte ausgetragen habe, ging es meist lautstark und handfest zu. Es dauerte nicht lange und wir bekamen von der Mutter zu hören: "gebt Frieden!" Eine Botschaft, die wir zwar hörten, die aber fürs Erste nichts bewirkte. Aus dem Blickwinkel der Mutter mögen unsere Probleme nicht ernsthaft genug gewesen sein, uns waren sie aber wichtig. Meist berührten sie unsere Grundsatzfragen: Wer ist der Stärkere, wer der Klügere und wer der Bravere... Jeder von uns hatte seine eigenen Strategien sich durchzusetzen. Bemerkenswert war, dass die drei jüngeren Geschwister, die "Kleinen", dabei kaum eine Rolle spielten. Aus meiner heutigen Sichtweise erkenne ich in dieser Konstellation meiner Kindheit Grundmuster im Umgang mit Konflikten, die ich auch in der hohen Politik wiederfinde.
Die Forderung "gebt Frieden!" hat uns kaum zu Frieden und Eintracht motiviert. Moralische Appelle fruchten auch heute nicht viel. Viel effektiver war meiner gegenwärtigen Einschätzung nach, dass unsere Eltern - die Mutter spielte dabei eine besondere Rolle - es zustande brachten, ihre sechs Kinder immer wieder um den Tisch zu versammeln. Auch noch, als fünf von uns bereits aus dem Haus waren und ihre eigenen Wege gingen. Auf diese Weise haben wir gelernt, uns trotz unterschiedlicher Lebensentwürfe und Wertordnungen gegenseitig zu respektieren und zu mögen.
Jesu Brandrede
Die Worte, die wir heute im Evangelium aus dem Munde Jesu gehört haben, passen gar nicht in das gängige Bild, wie Christen sein sollen: vor allem friedfertig. Sie scheinen sogar anderen Jesusworten - man denke an die Seligpreisungen und die Bergpredigt - zu widersprechen. Wie können wir diese Worte von Spaltung, Zwietracht und Feuerwerfen einordnen? Geben sie nicht denen recht, die sich als Gotteskrieger profilieren wollen, und denen, die behaupten, Religionen mit dem Anspruch auf Alleingültigkeit seinen zu dauerhaftem Frieden nicht fähig?
Wenn wir die Botschaft Jesu ernst nehmen, enthält sie ein großes Konfliktpotential. Gerade im ersten Jahrhundert des Christentums ging der Riss unterschiedlicher Werthaltungen quer durch Familien. Auch Staat und Gesellschaft haben sich von den Einstellungen der Christen provoziert und in Frage gestellt gefühlt. Die Auseinandersetzungen und die Verfolgung der Christen sind gut verständlich.
Wie schwierig es ist, dass Menschen mit unterschiedlichen Werthaltungen zusammenleben, zeigen die Glaubenskriege, die es bis in unsere Zeit herauf innerhalb der Christenheit und mit anderen religiösen Konzepten immer noch gibt. Als die Christen allein das Sagen hatten, konnten sie mit Andersdenkenden und Andersgläubigen genauso wenig tolerant umgehen.
Toleranz
Gibt es dazu eine Alternative? "Toleranz" scheint das Zauberwort zu sein. Aber auch Toleranz gelingt nicht so einfach. Wie weit kann sie gehen? Wie weit muss sie gehen? Wie hoch darf z.B. ein Minarett sein? Höher als der Kirchturm? Finanztempel überragen sie allesamt... Darf man das Schächten von Tieren zulassen? Ist Beschneidung eine Verletzung des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit? Führt Toleranz nicht zu einer Gleich-Gültigkeit von Verhaltensnormen und wird sie nicht zu einer Vorstufe einer allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber ethischen und religiösen Fragen? Bedeutet Toleranz den Verzicht auf klare Werthaltungen und Wertordnungen?
In diesen Fragen sehe ich die Bedeutung der "Brandrede" Jesu im heutigen Evangelium. Jesus ist nicht gekommen um alles weich zu spülen. Er hat uns große Ideale und klare Werte gepredigt. Und er ist selbst dafür eingestanden. Dies hat ihn sogar ans Kreuz gebracht, nachdem er nicht bereit war, davon Abstriche zu machen.
Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass er es abgelehnt hat, zum Schwert zu greifen, Gewalt anzuwenden. Er hat auch keine alternativen religiösen Machtstrukturen aufgebaut. Er hat keinen Gottesstaat angestrebt, sondern das Reich Gottes gepredigt. Er hat Mahl gehalten mit Sündern einerseits und Pharisäern andererseits. Er ging einen spannungsreichen Weg. Und er hat die Spannungen nicht aufgelöst.
Leben mit Spannungen
Ein konfliktloses Schlaraffenland wird es auch für uns nie geben. Solange sich Menschen in die jesuanische Überlieferung vertiefen, wird die Wertediskussion immer neue Nahrung bekommen sowohl in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen und Weltanschauungen wie auch innerhalb der Gemeinschaft der Christen.
Die wunden Punkte der innerkirchlichen Konflikte finden wir fast immer im Umfeld von Wertefragen, in denen sich verschiedene Gruppen auf je ihre Sichtweise der biblischen Überlieferungen berufen. So z.B. der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, mit gleichgeschlechtlich Liebenden, mit Fragen der Zulassung zu Weiheämtern oder mit Fragen der Ökumene.
Ich sehe keine dauerhafte Lösung von Konflikten welcher Art auch immer weder in einem gewaltsamen Zerschlagen des jeweiligen gordischen Knoten noch im Weichspülen der Konflikte im Sinne der Gleichgültigkeit.
Zielführender ist es, sich immer wieder gemeinsam an einen Tisch zu setzen, miteinander das Gespräch zu suchen, sich zu respektieren und miteinander einen Weg zu suchen, der für alle gangbar ist. Das ist mitunter sehr spannungsreich. Manchmal möchte auch ich am liebsten aufstehen und der Diskussion aus dem Weg gehen. Im Blick auf den Umgang Jesu mit Konflikten, der sich interessanterweise mit meinen persönlichen familiären Erfahrungen deckt, bin ich fest überzeugt, dass es sich lohnt am Tisch zu bleiben, sogar wenn man dabei scheinbar den Kürzeren zieht.