Auf das Wort Gottes hin bricht Abraham auf und wird auf Grund seines Glaubens zum geistigen und leiblichen Stammvater vieler Völker. Auf Jesus sollen wir hören, erklärt eine Stimme aus dem Himmel. Hören und Glauben schaffen eine neue Wirklichkeit.
Vom Mut aufzubrechen
Eigentlich passt das heute alles zusammen: Abraham, ein alter, nein, ein uralter Mann, bricht mit seiner ganzen Familie auf, um Neuland zu erobern. Er ist der Patriarch. Sein Wort hat Gewicht. Größte Versprechungen begleiten ihn und die Seinen. Ein großes Volk sollen sie werden – sie, diese kleine Sippe. Wie viele Köpfe mochten es sein? Wie viele Generationen? Ob Abraham alle Geburtsdaten noch im Kopf haben konnte? Andererseits: Abraham ist nicht alleine. Er geht auch nicht alleine.
Es ist dann von Segen die Rede und davon, Segen zu werden. Eine heilvolle, heilbringende Gemeinschaft taucht sozusagen aus dem Nichts auf. Aber vorher werden die Abrahamleute Migranten. Oder Nomaden? Mag sein, dass sie es auch schon vorher waren. Immer unterwegs. Heute hier – morgen da. Aber dass Segen auf diesem Aufbruch liegt, Segen gar in die Fremde gebracht wird, macht aus dieser Geschichte eine Glücksgeschichte. Zu einem Glücksfall für die Geschichte der Menschen.
Was Abraham aufgibt, aufgeben muss? Die vertraute Heimat, die Gräber seiner Vorfahren, die alten Geschichten. Wer aufbricht, muss wissen, was er tut. Und Abraham? Er weiß nichts. Als er wohl gefragt wurde, warum er diesen Schritt wagt, konnte er nur auf Gott verweisen. Und die anderen, bis zu Ururenkeln, gehen mit. Tatsächlich erzählt die kleine Geschichte von nichts anderem als dem Mut, eine alte Welt zu verlassen und eine neue zu gewinnen, Vertrautes zurückzulassen und noch einmal an anderer Stelle das Vertrauen neu zu gewinnen. Wohin werden sie denn jetzt kommen? Wie sieht die neue Heimat aus? Werden sie willkommen sein? Über der Geschichte steht als Überschrift nur: Geh!
Migration
Von Migration, von Flucht ist in diesen Tagen viel die Rede. Idlib ist fast so vertraut wie Wien, Berlin oder Paris. Nur so viel anders! Wir können die Menschen sehen, die aufbrechen. Die irgendetwas gehört haben von einem sagenhaften Europa. Die ihr Heil in der Flucht suchen. Was könnten sie denn auch sonst tun? Die Geschichten von Gewalt und Krieg bekommen Gesichter. Von Offensiven ist die Rede, von Vergeltungsschlägen, von letzten Hochburgen. Die, die Strippen ziehen, hungern aber nicht. Sie spielen mit Menschen Schach. Die Bauernopfer sind millionenfach. Ich muss an Abraham denken. Sein Motiv, einfach aufzubrechen, bleibt mir schleierhaft. Es muss doch irgendetwas gegeben haben, was ihn und die Seinen dazu trieb? Eine Not, womöglich eine Katastrophe? Nichts davon wird erzählt. Was aber erzählt wird, erzählt von einem so großen Vertrauen, dass die Welt klein wird.
Familienbande
Gehören wir nicht zu seiner Familie? Abraham ist doch tatsächlich zu einem großen Volk geworden. Wir sind reich gesegnet. Wir haben unsere Wurzeln in seinem Aufbruch. Wir teilen sein Vertrauen. Manchmal reden wir dann sogar von „abrahamitischen Religionen“, um uns genau hier einzuordnen. Abraham – Vater von Juden, Christen und Muslime sind. Und es ist schön, ihn zum Vater – oder Urururururgroßvater – zu haben. Dann auch seinen Mut! Seine Stärke! Seinen Glauben!
Wie sieht das aus, wenn Menschen einander zum Segen werden? Die Frage stellt sich einfach ein, wenn Abraham auf einmal auftaucht. Er fragt danach, wie wir mit den weltweiten Fluchtursachen umgehen, wie wir uns in wirtschaftlichen Interessen verstricken, wie wir Finanzströme lenken. Er fragt danach, wie wir Wahrheit in Lüge verwandeln, Hass rechtfertigen und der Angst freies Geleit gewähren. Die Abrahamleute haben ihre Herden mitgenommen. Menschen brauchen Perspektiven, ein Zuhause, Vertrauen – immer wieder: Vertrauen. Das Wort Glaube ist ein anderes Wort dafür. Und Abraham freut sich, von uns „Vater des Glaubens“ genannt zu werden!
Worte schaffen Wirklichkeiten
Kübra Gümüsay, eine Türkin, die in Hamburg lebt, hat vor wenigen Wochen ihr erstes Buch veröffentlichen können: „Sprache und Sein“. So gewichtig und akademisch der Titel daherkommt, es ist stellenweise ein fast schon zärtliches Buch. Die junge Autorin, schon weit herumgekommen in der Welt, enthüllt, wie unser Denken durch Worte geprägt wird und unsere Politik auch. Worte verletzen, sie sind wie Steine, sie machen aus Menschen ein Ding – dabei können sie doch Beziehungen knüpfen, Erfahrungen verzaubern und einen Menschen mit seinen Namen nennen. Die Sehnsucht nach einer Sprache, die jeden Menschen wahrnimmt und niemanden abqualifiziert, auch keinen Menschen in eine Schublade sperrt, ist ungebrochen– auch in einer Zeit der immer härteren, hasserfüllten Sprechweisen. Um Worte und Sätze werden Stacheldrähte gezogen, die Zungen reden sich blutig und Münder werden zu Gefängnissen.
Wir suchen Wege in ein neues Land. Wir suchen neue Worte. Mit Abraham brechen wir auf. Über der Geschichte steht: Geh!
Gipfeltreffen
Etwas finde ich schade: Abraham war nicht dabei, als Mose und Elia Jesus auf dem Berg der Verklärung besuchen. Dabei hätte er hier so gut hingepasst! Vielleicht auch hingehört? Mose und Eljia kommen auch nur, um Jesus zu stärken. Er ist auf dem Weg nach Jerusalem. Am Ende dieses Weges steht der Tod, steht das Kreuz. Noch einmal fällt Licht auf Jesus, so viel Licht, dass den drei Jüngern, die dabei sein können, die Augen übergehen. Diese Szene wollen sie denn auch festhalten. Konservieren. Für alle Zeiten. Drei Hütten könnten es doch richten! Denkt, sagt Petrus. Doch dann hören wir die Stimme Gottes:
„Dieser ist mein geliebter Sohn,
an dem ich Wohlgefallen gefunden habe;
auf ihn sollt ihr hören.“
Petrus, Jakobus und Johannes liegen da aber schon auf dem Boden. Ganz klein. Jesus muss sie aufheben. Er ist mit ihnen wieder allein, sie mit ihm. Das himmlische Schauspiel ist wie nie gewesen. Die drei Hütten – deplaziert. Wer sollte auch in ihnen wohnen? Da oben auf dem Berg? Die großen Figuren aus der Geschichte Gottes mit den Menschen – einfach wieder weg. Doch der Befehl, auf Jesus zu hören, ist so lebendig, dass für uns seitdem sein Wort Maßstab, Trost und Widerwort sind. Maßstab, Dinge klar zu sehen, Position zu beziehen, für Würde und Recht einzutreten; Trost, sich dabei nicht beirren zu lassen, Menschen Barmherzigkeit zu schenken; Widerwort, es mit Tod und Teufel aufzunehmen.
Hören
Jesus ist der geliebte Sohn. Dass Gott Wohlgefallen an ihm gefunden hat, gleicht einer Liebeserklärung – für uns. Für unsere Ohren. Damals, als Jesus an den Jordan kam, um sich taufen zu lassen, hat Gott ihn genauso vorgestellt. Jetzt geht dieser Weg in die letzte Etappe. Jesus wird für uns sterben. Er wird für uns auferstehen. Er ist, nach einem alten Bekenntnis, der Anführer in das Leben. Darum hat er auch das letzte Wort – und das erste ist auch von ihm.
Es ist zwar nicht so ganz richtig – verzeihen Sie mit bitte -, aber ich möchte Abraham dann doch auch noch gerne auf den Berg schicken. Vielleicht kommt er noch rechtzeitig. Aber dann kommen schon die Jünger von dem Berg, Jesus in ihrer Mitte. Abraham geht mit ihnen weiter. Die Vorstellung bekommt in meinem Herzen bunte Farben, klare Konturen. Abraham kann erzählen, wie das war, als er von Gott angesprochen wurde, ihm aufs Wort folgte und mit seiner ganzen Familie aufbrach. Es sind die Ohren, in denen eine neue Welt entsteht!
Worte schaffen eine neue Welt
Was dieses Wort macht und schafft! Eigentlich passt das heute alles zusammen: Abraham, ein alter, nein, ein uralter Mann, bricht mit seiner ganzen Familie auf, um Neuland zu erobern. Und Jesus geht mit seinen Jüngern nach Jerusalem, um am Kreuz die Liebe Gottes zu vollenden. Zwei Geschichten, die von neuem Leben erzählen! Auch von dem Glanz, der über den Szenen liegt. Gott leuchtet aus, was uns dunkel erscheint.
Dabei bleiben meine Gedanken an dem einen Wort hängen, einem Wort Gottes:
„Ich werde dich zu einem großen Volk machen,
dich segnen
und deinen Namen groß machen.
Ein Segen sollst du sein.
Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen.“
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserem Herrn.
Martin Stewen (2005)
Johann Pock (1999)
Martin Leitgöb (1996)