Sehnsucht nach Verstanden werden und Verstehen
Verstanden werden, so wie ich bin und mich selber sehe - dies ist eine tiefe Sehnsucht von uns Menschen. Ebenso: einander gegenseitig zu verstehen und so echte Gemeinschaft zu erleben. Doch wie kann das gelingen?
Verständigung geschieht vor allem über Sprache. Wenn wir miteinander sprechen, reden, diskutieren, fragen und antworten, dann machen wir ganz unterschiedliche Erfahrungen damit.
Sprache als Quelle von Missverständnisse
Sprache wird zum Hindernis, wenn wir Menschen mit anderer Muttersprache begegnen. Aber auch innerhalb unseres eigenen Sprachraums kann Sprache eine Quelle von Missverständnissen sein, allein schon durch verschiedene Dialekte, Gruppensprachen wie Jugendsprache oder innerkirchliche Vokabeln. Und selbst wenn zwei Menschen die gleichen Worte benutzen, meinen sie kaum dasselbe damit. Mit Begriffen wie "Glück", "Krankheit" oder "Liebe" verbindet nämlich jeder seine ganz persönlichen Lebenserfahrungen und Gefühle. Bleibt man in seiner eigenen Vorstellungswelt gefangen, so misslingt die Kommunikation. Ganz anschaulich haben wir das in der Lesung vom Turmbau zu Babel gehört: Wo Menschen nur noch sich selber und ihre eigenen Pläne und Vorstellungen sehen, führt das unweigerlich zu Verwirrung und dem Gefühl von Trennung.
Haltungen als Voraussetzung für gelingendes Verstehen
Gott sei Dank machen Menschen auch die umgekehrte Erfahrung: Verständigung gelingt manchmal auch ohne Worte. Ein Baby auf dem Arm wiegen und eine Melodie summen; Kinder aus unterschiedlichen Ländern freuen sich beim gemeinsamen Spielen - auch wenn sie sich nur mit Händen und Füßen verständigen; einem Schwerkranken wortlos die Hand halten, in der Fremde mit freundlichem Blick und Lächeln willkommen geheißen werden - in diesen Situationen spürt man ganz deutlich, dass nicht die Wörter das Entscheidende sind. Was wirklich eine Verbindung zwischen Menschen schaffen kann, ist die Haltung, in der wir einander begegnen: liebevoll zugewandt, offen und neugierig für das noch Fremde, den anderen mit allen Sinnen aufmerksam wahrnehmen und mich auf ihn oder sie einstellen.
Geglücktes Verstehen als Gottesgeschenk
Und doch: Auch wenn ich mir noch so fest vornehme, dem anderen offen und liebevoll zuzuhören, ist auch das keine Garantie dafür, dass unser Gespräch gelingen wird. Die beglückende Erfahrung, im Tiefsten verstanden zu werden und zu verstehen, kann ich nicht selber machen, sie ist immer auch ein Geschenk an mich.
Diese Erfahrung haben auch die ersten Christen gemacht und sie als Wirken des Heiligen Geistes gedeutet. Erfüllt vom Heiligen Geist sprachen die Menschen so, dass "jeder sie in seiner Sprache reden hörte", heißt es in der Pfingsterzählung. Unsere eigenen Augenblicke geglückter Verständigung, "wenn einer meine Sprache spricht", sind also in diesem Sinne Pfingsterlebnisse, die Erfahrung von Gottes gutem Geist mitten in unserem Leben heute.
Hoffnungsvoll leben in der Spannung von "schon" und "noch nicht"
Wir leben also immer in einer Spannung: einerseits erleben wir immer wieder einmal schon das Glück gelungener Verständigung, andererseits bleiben die Grenzen und Unvollkommenheiten gegenseitigen Verstehens Teil unserer Realität - bis hin zum Zerbrechen von Beziehungen. Unsere tiefe Sehnsucht nach Verstandenwerden und Verstehenkönnen bleibt letztlich noch unerfüllt. Diese Spannung aushalten zu müssen schmerzt: wie die Geburtswehen einer Frau, meint Paulus. Mit diesem Bild nimmt er das ernst, woran wir am Leben leiden: Wir dürfen seufzen und stöhnen, während wir noch auf die Erfüllung unserer Sehnsucht nach gelungenem Leben warten und selbst Unseres dazutun.
Aber vor allem ermutigt uns dieser Vergleich mit einer Geburt: Einer gebärenden Frau schenkt der Gedanke an ihr Kind die Kraft, in den Schmerzen der Geburtswehen durchzuhalten, bis das neue Leben geboren ist. Das ist also die frohe Botschaft an uns mitten in den Spannungen unseres Lebens: Es lohnt sich auszuhalten, auszuharren und mitzuarbeiten. Es lohnt sich um des neuen erfüllten Lebens willen. So dürfen wir also "guter Hoffnung" sein und daraus immer wieder Kraft und Zuversicht schöpfen.
Dass Gottes Geist gegenseitiges Verstehen und Verstanden werden unter den Menschen bewirken kann - an diesem Vorabend von Pfingsten ahnen wir es schon und hoffen darauf.
© Claudia Simonis-Hippel, in: Bernhard Krautter/Franz-Josef Ortkemper (Hg.), Gottes Volk Lesejahr C5/2010. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2010, S. 12-19.