Heraus aus dem Alltag
Die Schriftstellen dieses zweiten Fastensonntags weisen uns auf zwei wesentliche Aspekte unseres Christseins hin. Wir hören in der (ersten) Lesung von Abraham. Er bricht auf, er hört den Ruf Gottes und macht sich auf den Weg.
Im Evangelium, erleben wir, wie Jesus drei seiner Jünger herausholt aus dem Alltag. Er zieht sich mit ihnen zurück auf den Berg Tabor. Nach dem mühsamen Aufstieg erleben die Jünger seine Verklärung. Sie wissen zuerst nicht viel damit anzufangen. Dennoch werden sie später erahnen, was hier Großartiges geschehen ist. Sie durften Zeuge der Verklärung Jesu werden. Es ist ein erschreckendes und faszinierendes Mysterium, das sie hier erleben dürfen.
Aufbruch und Begegnung mit dem Unbeschreiblichen, mit dem ganz Anderen, mit Gott - was hat das mit unserem Leben zu tun?
Als Glaubender in der Fremde
Die Tradition der Mönchsväter sieht in dem Aufbruch Abrahams drei wesentliche Punkte, die uns allen etwas zu sagen haben.
Abraham hat auf die Stimme Gottes gehört. Als Hörender ließ er sich ein auf diesen Ruf Gottes, der ihn mitten in seinem Alltag traf. Er hörte und brach auf. So wurde er zum Stammvater unseres Glaubens. Glauben ist ein Hören, ein Sich-offen-Halten auf die Stimme Gottes hin.
Im Buch Genesis wird dieser Aufbruch in drei Schritten beschrieben: "Zieh weg von deinem Vaterhaus, von deiner Verwandtschaft, von deinem Vaterland!" Hier geht es also um ein Aufbrechen aus allen Sicherheiten, aus allem, was uns vertraut ist. Ein Zurücklassen alter Gewohnheiten, lieber Erinnerungen, ja sogar Abstand nehmen von geliebten Menschen. Verlangt Gott da nicht ungemein viel?
Wer sein Vaterland verließ, der war überall ein Fremder. Er hatte keinerlei Sicherheiten und war auf das Wohlwollen und die Gastfreundschaft fremder Menschen angewiesen. Genau diesen Gedanken greift das II. Vatikanische Konzil auf, wenn es uns sagt, dass wir als Glaubende in der Fremde leben. Ja, dass wir als Kirche das pilgernde Gottesvolk hier auf Erden sind. Dieses Fremdsein nannten die Mönchsväter peregrinatio. Wir sind als peregrini, als Pilger unterwegs zu unserem eigentlichen und ewigen Zuhause bei Gott. In Pilgerfahrten kommt das sehr schön zum Ausdruck.
Perspektivenwechsel
Wenn wir diesen Ruf an Abraham auf uns selbst übertragen, mutet es zuerst eigenwillig an. Wie dürfen wir das verstehen?
Wegziehen bedeutet für uns einen Wechsel der Perspektiven. Es bedeutet, dass wir uns gerade jetzt, in der österlichen Bußzeit wieder bewusst machen, was uns eigentlich trägt. Es bedeutet ein Durchleuchten der falschen Sicherheiten, ein Aufbrechen unheilvoller Bindungen und Einflüsse. Es bedeutet vielleicht festgefahrene Lebensmuster zu verändern und sich wieder ganz bewusst zu machen, dass wir gleichsam Fremde sind in dieser Welt. Manchmal mag das auch bedeuten, sich nicht der Meinung der Mehrheit anzuschließen. Manchmal bedeutet es, sich auf die Seite der Schwächeren oder Ausgestoßenen zu stellen. Christen sollen den Mut haben gegen den Strom falscher Wertevorstellungen zu schwimmen.
Dazu haben wir nichts anderes als Abraham: die Zusage Gottes, dass wir gesegnet sind und dass wir so für andere zum Segen werden dürfen.
Zur Mitte finden
Wegziehen kann auch bedeuten: Nimm dir Zeit, um von der Außenorientierung wieder in deine Mitte zu finden. Nimm dich in Zeiten der Stille und des Gebetes heraus aus der Hektik des Alltags. Wage es, dich dieser Welt gleichsam gegenüber zu stellen und in dieser Stille offen zu sein für Gott.
Der große Theologe Karl Rahner sagte: "Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht sein..." Mystiker sind Menschen, die Gott erfahren haben in den Alltäglichkeiten ihres Lebens. Wir dürfen sie uns nicht abgehoben, weltfremd oder entrückt vorstellen. Mystiker sind Menschen, die strahlen. Sie haben den Boden aller vermeintlichen Sicherheiten dieser Welt verlassen und gelernt, auf Gott zu hören. Sie leben als Fremde in dieser Welt und haben eine Kraft und ein inneres Leuchten, die aus einer anderen Dimension kommen.
Jesus nahm die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes mit hinauf auf den Berg Tabor. Immer wieder zog sich Jesus zurück, um an einsamen Orten zu beten. Auch er musste wegziehen, aufbrechen aus der Geschäftigkeit des Alltags, um die Stimme seines Vaters ungetrübt vernehmen zu können. Die Jünger sind bei ihm und wissen vorerst nichts mit dem Erlebten anzufangen. Sie wollen Hütten bauen, es sich häuslich einrichten. Doch dazu sind Taborstunden und Gipfelerlebnisse nicht geeignet. Dann bekommen sie Angst und werfen sich auf den Boden. Sie sind überwältigt und erschüttert von der Nähe Gottes, die im Strahlen Jesu sichtbar wird.
Zum Segen werden
Geht es uns nicht manchmal auch so? Wenn wir die Nähe Gottes in besonders erschütternden, schrecklichen, oder besonders schönen und ergreifenden Stunden unseres Lebens erahnen? Jesus sagt: Habt keine Angst!
Das sagt er auch zu uns: Wer sich als Pilger in dieser Welt weiß, der geht mit den Erlebnissen des Alltags anders um: Er zerbricht nicht an den schweren Lebensaufgaben, auch wenn er keine Antwort auf seine Warum-Fragen bekommt. Er ist aber auch dankbar für die Taborstunden seines Lebens. Er weiß um die Kostbarkeit dieser Augenblicke, in denen er intuitiv erahnt, was gerade das Richtige ist, wohin die nächsten Schritte führen sollen.
Aufbrechen, als Fremder den Weg in dieser Welt gehen, Sein Leuchten erahnen in unsrer Tiefe, Heimat bei Gott haben - gesegnet sein und zum Segen werden - dazu ruft uns Gott heute!