Im Johannesevangelium nimmt Jesus mit dem "Hohepriesterlichen Gebet" Abschied von den Jüngern und auch von uns. Er blickt voraus in die Zukunft, in die Unendlichkeit des Vaters, und nimmt uns in seine Beziehung zum Vater hinein.
Mitten drin
Heute hängen wir mitten drin! Am Donnerstag feierten wir Christi Himmelfahrt. Jesus ist jetzt nicht mehr da. Zumindest nicht so, wie er einmal da war. Körperlich. Zum Anfassen. Zum Anschauen. Vielleicht sogar zum Anhimmeln.
Pfingsten aber feiern wir erst nächste Woche. Gott wird seinen Geist ausschütten. Über alle Menschen. Mit Sturm und Feuer bahnt sich eine neue Geschichte an: Einfache Leute, die von der Welt nichts gesehen haben, reden nicht nur so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist – sie reden so, dass die ganze Welt aufhorcht, ja, versteht, wie Gott die Welt liebt und verwandelt.
Da ist er, der Herr, wieder ganz da.
Heute hängen wir mitten drin!
Exaudi
Mitten drin zu sein, ist eigentlich eine schöne Erfahrung. Wir sind von Erinnerungen umgeben, aber auch von Hoffnung. Wir schließen etwas ab, schauen aber gespannt und gebannt nach vorne. Mitten drin ist alles so wundervoll offen. Nichts ist ausgemacht. Nichts ist zugemacht. Nichts ist unmöglich.
Eine schöne Spur legt der lateinische Namen dieses Sonntags: Exaudi. Hört sich schon lateinisch an, ist es auch. Der ganze Satz – ein Psalmwort (Ps 27,7):
"Exaudi, Domine, vocem meam,
qua clamavi ad te;
miserere mei,
et exaudi me!"
"Höre, HERR, meine Stimme,
wenn ich dich rufe;
Sei mir gnädig und erhöre mich!
Höre, Herr!"
Mit den Menschen, die vor uns gelebt, geglaubt, gezweifelt, gehofft haben, sprechen wir Gott an: Er möge hören! Uns hören! Dass es für uns ein offenes Ohr gibt, ein offenes Herz – das ist mehr als eine Wunsch. Das drückt Gemeinschaft aus, Zutrauen – und Geborgenheit. Wie werden so oft überhört. Kaum ein Mensch, der dazu nichts sagen könnte. Und, auch das ist wahr, wieviel überhöre ich in einer lauten Welt?
Mitten drin – ein Glücksfall
Es ist heute ein Glücksfall. Mitten drin. Vor unseren Ohren spricht Jesus seinen Vater an. Von ihm weiß er sich gehört. Johannes überliefert das sogenannte Hohepriesterliche Gebet Jesu. In jedem Satz, so verschachtelt und gewunden sich alles anhört, bittet er zwar auch für sich, hören wir genauer hin: Er bittet für uns. Wir sollen an seiner Schönheit und Herrlichkeit teilhaben. Das breitet Jesus in seinem Gebet aus. Wie in einem Teppich, gewebt aus den Fäden des Lebens.
Jesus sagt:
"Die Worte, die du mir gabst, Vater
habe ich ihnen gegeben
und sie haben sie angenommen.
Sie haben wahrhaftig erkannt,
dass ich von dir ausgegangen bin,
und sie sind zu dem Glauben gekommen,
dass du mich gesandt hast."
Eigentlich sind Gebete nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Johannes, der Evangelist meint aber, dass es jetzt so sein muss. Wir sollen Jesus ins Herz sehen! Dieses Gebet ist eine große Fürbitte. Eine Fürbitte für uns, für die Welt. Jesus vertraut uns seinem Vater an. Er legt uns Gott ans Herz. Nein, verlassen sind wir nicht. Verlassen werden wir nicht.
Jesus sagt:
„Ich bin nicht mehr in der Welt,
aber sie sind in der Welt
und ich komme zu dir.“
Sie, die in der Welt sind – das sind wir. Ursprünglich waren die Jünger gemeint, die mit Jesus unterwegs waren, ihn hörten, sahen – verrieten und verlassen haben. Wohlgemerkt! Jetzt sind wir dazu gekommen.
Hineingenommen
Wer wir sind, wissen wir dann so genau auch nicht. Schon mutig, was Jesus sagt: Sie – wir – hätten sein Wort angenommen. Ich schlucke. Habe ich sein Wort angenommen? Haben wir sein Wort angenommen? Wann haben wir das gemacht? Wie ist uns das passiert? - Jesus entscheidet wohl alleine darüber, wie sein Wort angenommen wird. So richtig will das nicht in meinen Kopf. Vermutlich aber auch, weil ich gerne ein Wörtchen mitreden möchte, wie und wann Jesu Wort angenommen werden kann. Die Krankheit des Profi – sozusagen. Doch die Sache ist mir aus der Hand genommen. Das Zutrauen, das Jesus in seinem Gebet ausdrückt, ist von einer großen Liebe getragen. Für die gibt es kein Maß und glücklicherweise auch kein fachmännisches Urteil.
Dass wir in der Welt sind und das auch herzlich gerne, wird in diesem Gebet liebevoll vorausgesetzt. Mit der Zusage ewigen Lebens übersteigt Jesus unsere alltäglichen Erfahrungen. Mit Dauer hat Ewigkeit wenig zu tun, mit Tod schon mal gar nichts. Ewiges Leben ist, so fremdartig es sich anhört, die bleibende und liebevolle Gemeinschaft mit Gott, in die wir einfach hineingenommen werden. Unsere Lebensdaten stecken diese Gemeinschaft nicht ab! Vor unserer Geburt war es bei Gott schon so beschlossen, mit unserem Tod kommt es an kein Ende. Gott teilt seine Ewigkeit mit uns. Oder heißt das nicht auch, dass er ohne uns nicht ewig sein möchte?
Die Stunde ist gekommen
Im Gebet Jesu heißt es, dass die Stunde gekommen ist. Die Stunde des Todes Jesu. Die Stunde seines Abschieds. Die Stunde seiner Himmelfahrt. Mitten drin – wir.
So heißt es im Evangelium:
„In jener Zeit
erhob Jesus seine Augen zum Himmel
und sagte:
Vater, die Stunde ist gekommen.
Verherrliche deinen Sohn,
damit der Sohn dich verherrlicht!
Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben,
damit er allen, die du ihm gegeben hast,
ewiges Leben schenkt.“
Es ist ein Blick in die Weite. In den Himmel. So könnten wir einfach beschreiben – oder umschreiben – was ein Gebet ist. Alles fängt mit einem Blick an! Die Augen, die zum Himmel sehen, werden sozusagen mit Himmel gefüllt. Meine kleinen Augen, auch nur zwei an der Zahl – sie trinken den Himmel. Nein, das ist nicht einmal fromm – es passiert beim Fahrradfahren und beim Stadtbummel, am Strand und auf den Bergen – es funktioniert sogar mit geschlossenen Augen, mit müden Augen.
Ob Jesus das so gebetet hat, wie der Evangelist es uns berichtet? Die Frage ist nicht so wichtig, aber dass in diesem Gebet das Herz Jesu sichtbar wird, wird in jedem Wort, in jeder Zeile deutlich. Alles, was er je gesagt, was er je getan hat, kommt in diesem Gebet zum Ausdruck. Es ist, als ob jetzt in diesem Herzen der Himmel aufgeht! Diese Weite. Diese Unendlichkeit.
Heute hängen wir mitten drin! Am Donnerstag feierten wir Christi Himmelfahrt. Pfingsten aber feiern wir erst nächste Woche. Gott wird seinen Geist ausschütten!
Ich bin mitten drin.
Höre, HERR, meine Stimme,
wenn ich dich rufe;
Sei mir gnädig
und erhöre mich!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Manfred Wussow (2005)
Johann Pock (1999)
Hans Hütter (1996)