Wer selbst jemals enttäuscht und wütend war, kann nachfühlen, wie enttäuscht Gott von seinem Volk manchmal gewesen sein musste und wie wütend. Nicht Mose hat ihn umgestimmt. Gott denkt, fühlt und handelt anders als wir Menschen. Er ist der barmherzige Vater, der auf die Heimkehr seiner Kinder wartet. An seinem Beispiel kann auch unsere Liebe wachsen.
Enttäuscht und wütend
„Jetzt reicht es mir!“ „Jetzt ist Schluss“ „Mit dem will ich nichts mehr zu tun haben!“ „Jetzt, wo es dir schlecht geht, bin ich dir wieder gut genug!“ Liebe Schwestern, liebe Brüder, wer von uns kennt diese Äußerungen bei sich selbst nicht. Wir erleben dieses Denken heute in der ersten Lesung bei Gott. Doch so kennen wir Gott gar nicht. Er ist doch ein Gott der Liebe, ein Gott der doch immer verzeiht. Dann diese Worte, in denen er plant, dass er sein Volk vernichten wird.
Sind wir einmal ehrlich zu uns selbst. Wer könnte Gott nicht verstehen. Was hat Gott nicht alles für sein Volk getan. „Du hast doch dein Volk aus Ägypten geführt.“ „Du hast doch Abraham, Isaak und Israel Nachkommen zugesichert so zahlreich wie die Sterne am Himmel zu werden!“ „Du hast doch deinem Volk zugesagt, das Land zu besitzen.“ Doch das Volk geht den eigenen Weg. Es baut sich ein goldenes Kalb. Es löst sich von Gott, von seinen Verheißungen. Mose erinnert Gott an all seine Versprechungen. Doch wer könnte darum Gott nicht verstehen, wenn er sich von seinem Volk distanziert.
Mose gelingt es, Gott zu besänftigen. Mose erinnert Gott an seine Liebe, die er seinem Volk bislang erwiesen hat. Gott nimmt Mose ernst. Gott findet zu seiner Liebe zurück, zu seinem Heilsplan mit uns Menschen. Ich lerne gerade an dieser Geschichte, dass Gott Liebe ist, ja dass Gottes Liebe siegen wird. Gott entscheidet sich für das Volk Israel, für das Vergeben, für die Liebe und vor allem auch für uns.
Eine unbegreifliche Liebe
Ich schaue jetzt in das Evangelium. Wer hätte den Vater nicht verstehen können, wenn er seinen Sohn abgewiesen hätte: Vielleicht hätte jeder verstanden, wenn er ihn eingesetzt hätte als Tagelöhner. Viel mehr hat sich der jüngere Sohn nicht mehr erhofft. Ich glaube auch, dass viele von uns Sympathie für den älteren Sohn haben. Er war immer beim Vater. Er hat nie einmal Ansprüche gestellt. Er ist neidisch auf den jüngeren Bruder. Er wird gebraucht haben, bis er den Vater verstehen konnte.
Doch der Vater handelt ganz anders, als wir es erwarten würden. Im Moment, wo wir diese Geschichte hören (lesen), finden wir das Verhalten des Vaters gut. Doch fragen wir uns immer wieder. Lebe ich diese Liebe, die einfach so unbegreiflich, ja grenzenlos und so unglaublich ist. Der jüngere Sohn weiß, dass er auf nichts Anspruch hat. Doch der Vater lässt ihm das beste Kleid anziehen, steckt ihm einen goldenen Ring an den Finger, schlachtet das Mastkalb. Er feiert ein Fest als Zeichen der Freude. Das tut der Vater aus lauter Liebe. Wir können mit unserem Verstand diese Liebe nicht begreifen.
Auch wir sind taub, wir sind stumm, wir erfinden neue Götter
Doch Gottes Liebe, die unbegreiflich ist, zeigt sich immer wieder in der Geschichte der Menschen und auch seiner Kirche. Denn wer könnte es nicht verstehen, wenn Gott nach allen Skandalen, nach allem, was in der Kirche – sicher neben all dem Guten – falsch gelaufen ist und auch heute noch daneben läuft, seine Kirche hätte untergehen lassen. Das Machtdenken, das Klammern an Geld und anderes allzu Menschliches zeigen: Immer wieder entfernen sich auch die gläubigen Menschen von dem, was Gott will. „Wir sind taub, wir sind stumm, wollen eigene Wege gehen“ – so habe ich es in der Einleitung gesagt. „Wir erfinden neue Götter, und vertrauen ihnen blind.“
Wir haben es immer nötig umzukehren wie der jüngere Sohn. Auch wir sind taub für die Liebe Gottes, für die Hilferufe der Notleidenden, auch wir sind stumm, wenn es darum geht, den Glauben zu bekennen, uns einzusetzen für die Mitmenschen. Auch wir vertrauen unseren Göttern blind, wollen das Leben aus eigener Kraft gestalten – am besten ohne Gott und ohne seine Gebote. Auch wir kehren erst dann zurück, wenn es uns schlecht geht, wenn Pläne zerbrechen, wenn wir spüren, wie leer alles sein kann, was wir uns aufbauen. Auch die Kirche hat es immer wieder nötig, sich zu erneuern und sich von den goldenen Kälbern der Macht zu trennen. Die Krisen unserer Zeit müssen ein Anlass sein.
Zum Gott der Liebe zurückkehren
Doch gerade dann dürfen wir wissen, dass wir zum Gott der Liebe zurückkehren, der eines will: Dass wir erfüllt und glücklich leben. Wir kehren zu Gott zurück und dürfen immer wieder erfahren, wie wertvoll wir sind. Seine Gebote zeigen uns Wege auf, das Leben, das Miteinander zu gestalten.
Diese Liebe, die der Vater dem jüngeren Sohn zeigt, sollten auch wir lernen, als einzelnen wie auch als Gemeinschaft der Glaubenden. Diese Liebe muss auch der zweite Sohn lernen. Er muss in diese grenzenlose Liebe hineinwachsen.
Es gibt einen Weg, in diese Liebe hineinzuwachsen. Wir müssen uns daran erinnern, was uns der Glaube schenken kann: Sinnerfüllung, Freude, Halt. Auch der ältere Sohn, der treu beim Vater lebt, lernt noch, was er alles hat: „Alles, was mein ist, ist auch dein!“ Der ältere Sohn muss die Liebe des Vaters finden, der jüngere Sohn musste zum Vater zurückfinden.
„Jetzt reicht es mir, jetzt ist Schluss, Mit dem will ich nichts mehr zu tun haben!“ Diese Gedanken sind menschlich verständlich. Aber Gottes Liebe ist größer. Unsere Liebe muss größer werden, dieses Denken überwinden. Finden wir zu ihr und finden wir immer zu ihr zurück.
Bernhard Zahrl (2019)
Manfred Wussow (2004)
Martin Leitgöb (2001)