Im Nebel des Lebens
Das Wetter dieser Tage lädt ein - und viele tun das nun auch während der Ferien -, auf die Ski zu steigen und dem Schneesport zu frönen. Wer das schon einmal getan hat, weiß, dass es neben einem wunderbaren Vergnügen auch durchaus heikle Momente geben kann. So gibt’s für mich etwa nichts Schlimmeres, als auf der Skipiste plötzlich im Nebel oder in einem Schneesturm zu stehen. Dieses Treiben beinhaltet nämlich einen ganz fürchterlichen Effekt: Dadurch, dass man keinen Horizont mehr sieht und das Auge keinen Fixpunkt aufnehmen kann, spielen die Gleichgewichtsorgane verrückt und mir wird furchtbar schwindelig. Jede noch so einfache Piste wird dann zu einer üblen Herausforderung. Ich weiß inzwischen, dass es sehr vielen Skifahrern durchaus ähnlich geht. Wenn hingegen sonniges Wetter eine einwandfreie Sicht ermöglicht, gar der Föhn noch fast eine Spiellandschaft mit Bergen zum Greifen nahe hervorbringt, ist die Freude perfekt. Meine Wahrnehmung muss klar und ungetrübt sein, und dem Skivergnügen steht nichts im Weg.
Aber auch außerhalb der Skipiste gilt: Wenn wir die Welt um uns herum erfassen und begreifen können, wenn uns das Leben in deutlichen Konturen begegnet, wenn unser Augenmaß für all das, was uns im Leben begegnet, stimmt, wenn unsere Pläne aufgehen, weil wir richtig gerechnet haben, führen wir ein Leben in guter Balance, in Ausgeglichenheit, in Ruhe und Sicherheit.
Und wir wissen nur zu gut: Ein solches Leben ist immer in der Gefahr, gestört zu werden.
Im göttlichen Nebel
Das mussten auch die drei Apostel spüren, die Jesus auf den Berg mitgenommen hatte. Er hatte ihr Leben kräftig aus der Bahn geworfen. Zunächst hatte er sie aus ihrem beruflichen und familiären Umfeld gerissen. Und nun auf dem Tabor ließ er ihnen Hören und Sehen vergehen. Im gleißenden Licht des Mose und des Elija wie auch in der Wolke, die Gott über die Situation legte, verloren sie auch noch den letzten Rest von dem, was ihnen das Leben an Sicherheit bieten konnte. Obwohl ihnen doch die Geschichte des Volkes Israels mit seinem Gott bekannt war, konnte ihnen die Erscheinung der beiden großen Lichtgestalten des Volkes keine Orientierung geben. Dass in Jesus die Offenbarung Gottes ihrem Höhepunkt entgegen ging, war ihnen zu unfassbar. Die ganze Situation auf dem Tabor ließ sie nur schwindelig werden und verblendet sein. - In seiner Hilflosigkeit schlägt Petrus vor, einfach mal drei Hütten zu bauen.
Immer wieder: Aufkommende Nebelgebiete!
Das Geschehen am Tabor ist nichts Einzelnes, - die Situation, die Lukas beschreibt, hat Beispielcharakter - auch weit über die Zeit des Neuen Testamentes hinaus. Denn Offenbarung geschieht schließlich auch heute für uns immer wieder neu. Und auch lange, nachdem Gott seinen Sohn den Aposteln zu erkennen gegeben hat, sind Verblendung und Vernebelung ja durchaus noch Phänomene, die die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu begleiten können.
Immer wieder überfällt mich das Gefühl, dass man sich mancherorts in unserer Kirche verhält wie im Nebel eines Weltgeschehens, der schwindelig werden lässt, der verunsichert, der orientierungslos macht.
Statt hinzuhören, was Gott im Wirken des Heiligen Geistes heute seiner Kirche durch mannigfaltige gute und aufbauende Entwicklungen in dieser Welt zu sagen hat, fühlt man sich orientierungslos, unsicher, schwindelig, weil diese Entwicklungen irgendwie nicht in überlieferte Konzepte passen.
Statt zu fragen, wo und wie in diese Welt hinein das Wort Gottes gelebt werden kann, weil das diese Welt von der Kirche braucht, wird sich verzweifelt an Traditionen und Weisen geklammert, deren Bedeutungen sehr vielen Menschen nicht mehr zugänglich sind.
Es wird wird in der Kirche diskutiert, welche Formen der Liturgie die richtigen sind, welche Bischöfe für welche Politik einstehen. Und ähnliches.
Wie Petrus in seiner Hilflosigkeit was Handfestes - nämlich Hütten - schaffen will, wird das Leben der Kirche in scheinbar sichere Bahnen gedrückt, die aber mehr verhindern als ermöglichen.
Wenn jeder Bescheid weiß, gehen alle richtig
Schauen wir intensiver hin, stellen wir zudem fest, dass diese Art nicht nur für die Kirche in ihrer Gesamtheit festzustellen ist, sondern auch an den einzelnen Orten, wo sie konkret wird - etwa in unseren Gemeinden, in unseren Gruppierungen, aber auch im eigenen persönlichen Leben. Gern halten wir uns fest an dem, was uns lieb geworden ist. Das ist ja auch nicht schlecht und nur zu natürlich. Traditionen und Gewohnheiten geben Sicherheit und Halt. Aber sie dürfen nicht blockieren, sie dürfen nicht Neues, nicht Bewegung verhindern. Das gilt für das Leben der ganzen Kirche wie für jeden einzelnen Christen.
An diesem 2. Fastensonntag lassen wir uns erneut zur Umkehr aufrufen. Umkehren heißt nicht nur, zu persönlichen Tugenden zurückzukehren, die uns aus dem Blick geraten sind. Umkehr muss auch immer bedeuten, jene Systeme, in denen wir leben, kritisch zu betrachten, immer wieder neu zu überdenken. Solche Systeme sind unsere persönlichen Beziehungen, unsere Familien, unsere gesellschaftliche Umgebung wie aber auch größere politische und kirchliche Zusammenhänge.
Wir Menschen leben nicht allein in dieser Welt - es reicht nicht, unsere eigenen Befindlichkeiten und Verhaltensweisen zu überdenken und neu zu gestalten. Als Menschen, die wir christlich leben wollen, sind wir immer auch Teile eines Ganzen, das von der christlichen Botschaft vielerorts weit entfernt ist. An uns liegt es, daran mitzuschaffen, dass auch dort Umkehr gelingt.
Dazu gehört, es Situationen dieser Welt zunächst einmal auszuhalten, die uns blind machen, die uns schwindelig werden lassen - Situationen, die schier unlösbare Probleme darstellen. Dann ist es ungeraten, einfache Lösungen zu bevorzugen - einfach wie Petrus schnell Hütten zu bauen. Wenn wir als Nachfolgegemeinschaft Jesu diese Welt Stück für Stück und immer mehr zum Guten umkehren wollen, ist es notwendig, hinzuhören, was uns durch das Wirken des Heiligen Geistes aus so mancher Wolke dieser Zeit entgegen gesprochen wird. Es gilt, das Leben der Welt in all seinen Facetten wahrzunehmen, immer wieder neu zu beurteilen und zu angemessenem Handeln zu kommen.
Unsere Heimat ist der Himmel, wie Paulus schreibt - das ist wohl wahr: Aber dennoch soll unsere irdische Pilgerfahrt gut gestaltet sein.