Der Reiz der Nacht
Die Nacht hat ihren eigenen Reiz. Nacht der offenen Kirchen, Nacht der Galerien, Nacht der Museen... Wer heute erfolgreich sein möchte, kann mit der Nacht punkten. Die Menschen kommen! Sie lieben die Atmosphäre, die Ruhe und das versteckte Licht der Nacht. Und Lebenszeichen ist es auch, die Nacht zum Tage zu machen. Eine Krönung ohne Krone. Unsere Osternacht ist dabei unschlagbar. Gefeiert wird sie – gefühlt – seit Ewigkeiten. Ein Nachtgottesdienst an der Schwelle. An der Schwelle zwischen Nacht und Tag, Tod und Leben, Trauer und Freude, Verzagtheit und Hoffnung.
Die Osterkerze ist entzündet. Ihr Licht leuchtet. Ihr Licht wird im Exsultet besungen und bestaunt. Sogar die Engel loben ihr Licht.
Quapropter astantes vos, fratres carissimi,
ad tam miram huius sancti luminis claritatem,
una mecum, quaeso,
Dei omnipotentis misericordiam invocate.
Darum bitte ich euch, geliebte Brüder und Schwestern,
ihr Zeugen des Lichtes, das diese Kerze verbreitet:
Ruft mit mir zum allmächtigen Vater
um sein Erbarmen und seine Hilfe.
Eine ganz andere Nacht heute
In dieser Nacht ist manches anders. Wir denken an Brüssel. In Brüssel hat ein Terrorakt eine Stadt, ein Land hart getroffen. Wir lesen die Zahl der Toten und Verletzten, ihre Namen, ihre Geschichten kennen wir nicht. Inzwischen kennen wir gar die Gesichter der Attentäter. Ihre Namen fallen uns schwer auszusprechen. Sie sind wie aus einer anderen Welt. Der Flughafen trägt die Spuren auch dann noch, wenn die Scherben zusammengekehrt sind. Die Metro-Station kenne ich. Menschen sind auf dem Weg zur Arbeit. Oben sind die großen Bürogebäude der EU. Es ist früh am Morgen. Der Tod hält Einzug. Zähle ich die Terrorakte vorher, zähle ich sie womöglich weltweit, sehe ich den Tod wüten. Aber die Sense haben ihm Menschen in die Hand gegeben. Mir tut der Tod fast leid: was er alles machen muss, was Menschen von ihm wollen.
In dieser Nacht ist manches anders. Wir denken an Flüchtlinge. Wer weiß schon, was sich in diesem Wort verbirgt, das so leichtfüßig und schwerelos über die Lippen geht und den Erdball umrundet. Wenn wir dann Gesichter sehen, ahnen wir vielleicht Geschichten. Lebensgeschichten. Träume. In manchen Gesichtern sehen wir die Spuren von Misshandlungen, in anderen Gesichtern stumme – oder unheimlich laute - Hilfe-Rufe. Manchmal habe ich Angst, dass die Gewalt, die mit dem Islam in Verbindung gebracht wird, die Flüchtlinge ein zweites Mal trifft mit Vorurteilen und Hass. Schließlich sind viele von ihnen doch auf der Flucht vor Terror und zügelloser Gewalt. Auch vor dem Terror der Glaubenskrieger, die ihren eigenen Glaubensgenossen die Hölle heiß machen.
Eine ganz andere Nacht damals
In dieser Nacht ist manches anders. Wir hören das Evangelium. Frauen gehen zum Grab. Sie haben wohlriechende Salben zubereitet. Mit Liebe. Für einen letzten Liebesdienst. Es ist noch sehr früh. Es beginnt zu tagen. Langsam schwindet die Nacht. Aber das Grab ist offen. Jesus ist nicht mehr da. Rat- und hilflos stehen die Frauen vor einem großen Loch. Vor einem großen Loch in ihrem Leben. Was sie dann zu hören bekommen, revolutioniert alles, was sie zu wissen glauben, was wir zu wissen glauben:
„Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden. Erinnert euch an das, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.“
Eine Nacht, die den Tod entmachtet hat
Erinnert euch! Es ist nichts neu, nichts noch nicht gesagt. Jesus hält sein Wort! Es ist die Erinnerung, die eine Brücke schlägt zwischen Jesus und den Frauen, mit hohem Wiedererkennungswert. Jesus hat vom Tod geredet – und von der Auferstehung, vom Kreuz – und vom Leben, von der Nacht – und vom Tag. Es ist kein Zufall: Als die Nacht schwindet und der Sonne immer mehr weicht, wird das Grab mit dem großen Loch zu einem Zeichen, dass der Tod entmachtet ist und keine Angst mehr verdient. Es ist wie am ersten Tag der Schöpfung: „Es werde Licht – und siehe: es ward Licht“!
Der Tod muss sein eigenes Versteck fliehen. Der Tod hat kein Zuhause mehr. Das hat Jesus immer gesagt, gelehrt, gelebt. Viele Menschen, die ihm begegneten, wussten am Ende nicht einmal, dass ihnen ein ganz neues Leben geschenkt war. Aber sie konnten neu leben, neu anfangen, ohne alles zu wissen oder zu verstehen. Ist das nicht das Geheimnis der Liebe? Die Liebe braucht weder große Worte noch große Gesten, aber immer wieder: Erinnerung. Annäherung. Vergegenwärtigung. Und einen neuen Augen-Blick!
Die Apostel – man höre und staune: die Apostel, die die Säulen der Kirche sein werden – halten das alles für Geschwätz und glauben den Frauen nicht. Eine gute Gesellschaft für uns! Mir sind die selbstsicheren, großen und aller Zweifel enthobenen Floskeln und Leerformeln ohnehin unheimlich. Die Apostel geben Ostern eine sehr menschliche Seite. Ich fühle mich ihnen doch sehr nahe. Danke, Lukas!
Und doch: Das Evangelium ist ein Aufschrei, ein Fanal! Der Aufruf, aus dem Dunstkreis des Todes herauszutreten. Wir müssen ihm frech ins Gesicht sehen, ins Gesicht lachen! Ostern ist nichts für Feiglinge! Nichts für Schwächlinge! Nichts für Schönredner!
Die Erfahrung des neuen Tages
Höhepunkt unserer Osternacht ist die Eucharistie. Wir danken Gott für seinen Sohn. Er hat für uns den Tod überwunden. Er schenkt uns die Kraft und das Gedächtnis, das Leben zu feiern. Im Hebräerbrief wird er gar der Anführer ins Leben genannt. Anführer ins Leben ist Jesus in seiner Hingabe, in seiner Liebe. Er schenkt sich uns. Heute. In dieser Nacht.
Wenn sein Lob gesungen wird – in der Vorrede zum Mahl: Erhebet eure Herzen! – muss der Hass verstummen, muss auch der Tod verstummen. Alle seine Boten, Helfer und Freunde: machtlos.
Dem Terror halten wir ein Stück Brot entgegen - und unseren Trotz
Den Flüchtlingen schenken wir ein Stück Brot - und unsere Nähe
Die Verlorenen laden wir ein mit einem Stück Brot - und unserer Freude
Wir haben nicht mehr als ein Stück Brot.
Wir haben aber alles in einem Stück Brot.
Im österlichen Lobpreis, dem Exsultet, singen wir:
Dies ist die Nacht, von der geschrieben steht:
“Die Nacht ist hell wie der Tag”,
und “wie strahlendes Licht wird die Nacht mich umgeben.”
Der Glanz dieser heiligen Nacht
nimmt den Frevel hinweg,
reinigt von Schuld,
gibt den Sündern die Unschuld,
den Trauernden Freude.
Weit vertreibt sie den Haß,
sie einigt die Herzen
und beugt die Gewalten.
Frohe, gesegnete Ostern!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.