Die Osternachtfeier fasst die ganze Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk zusammen. Angefangen bei der Erschaffung der Welt bis hin zum neuen Leben mit dem auferstandenen Christus als Getaufte.
Ist er wahrhaft auferstanden?
Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaft auferstanden!
Aber ist das nicht alles nur Geschwätz, der Fantasie von ein paar Frauen entsprungen, die damals von den Aposteln genau so wenig für voll genommen wurden, wie heute von ihren Nachfolgern. Petrus ließ es trotzdem nicht los, er musste sich selbst überzeugen, doch alles was er entdeckte war ein leeres Grab und ein paar Leinenbinden, keine Boten, die ihm auf die Sprünge halfen. Ratlos, voll Verwunderung geht er nach Hause. Und doch ist da die Aufforderung der Boten an die Frauen: Erinnert Euch an das, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war!
Darum die vielen Lesungen in der heutigen Osternacht, die Feier des Abendmahls am Gründonnerstag und des Leidens und Sterbens Jesu am Karfreitag, auch wir sollen uns erinnern an Jesus, an seinen Vater und an die Botschaft für die Jesus sein Leben eingesetzt hat.
Sich erinnern und sich besinnen
Erinnern ist aber im Verständnis des auserwählten Volkes kein Schwelgen in Nostalgie und auch keine Übung billiger Folklore, sondern die Vergegenwärtigung von Erfahrungen, als seien sie an uns heute geschehen. So feierte auch Jesus das Pessach, das Passah-Mahl, die Erinnerung an den befreienden Gott der Geschichte: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Sklavenhaus Ägyptens befreit hat.“ Israel erfährt Gott, als einen Gott des Lebens, der die Schwachen schützt, die Unterdrückten befreit, einen Gott, der da ist und mit seinem Volk den Weg in die Freiheit geht, so wie Mose ihn schon im brennenden Dornbusch erlebte, als „Jahwe“ – "ich bin, der ich bin da", und wie sie ihn erlebt haben, beim Zug durchs rote Meer, wo das, was das Leben bedroht, Waffen und Streitwagen einer übermächtigen Armee, in den Fluten versank. Israel bringt nach dieser Erfahrung Gottes, auch all seine geschichtlichen Überlieferungen mit diesem befreienden Gott des Lebens in Verbindung und deutet sie als Beziehungsgeschehen.
Da sind die Überlieferungen vom Stammvater Abraham, der das Leben suchte, Familie, Verwandtschaft und Heimat verlässt, im Vertrauen auf diesen Gott des Lebens. Abraham, der sich dem Priesterkönig Melchisedek unterordnet, Weiderechte und Schutz erkauft und dafür auch die Opferung der Erstgeburt als göttliche Weisung akzeptiert. Bis er selbst diesem Gott des Lebens in den drei Fremden unter den Eichen von Mamré begegnet, seine Frau Sarah noch im hohen Alter einen Sohn gebiert, und er mit seinem Sohn Isaak den Weg zum Berg Moria, dem heutigen Tempelberg in Jerusalem, hinaufsteigt. Abraham ringt mit seinem Gewissen, er entscheidet sich gegen das königlich-göttliche Gesetz des Kindesopfers und erkennt in der Entscheidung für das Leben den Boten Gottes, den Engel des Herrn: Kein Mensch darf dem Gesetz geopfert werden, selbst wenn es sich als göttlich ausgibt. Gott belohnt diese Gewissensentscheidung des Abraham und macht ihn zum Vater aller Glaubenden.
Wir hörten es in der zweiten Lesung und so verkündeten es auch alle Propheten, Gott will keine Opfer, er will unser Herz. Wenn der, dem Leben dienende Gott so groß ist, dass er selbst über dem Gesetz steht, dann können wir seine Handschrift auch in der gesamten Schöpfung finden und entziffern, davon berichtete die erste Lesung, dass dieser dem Leben dienende Wille Gottes, das Chaos ordnete und damit Räume schuf, in denen sich Leben entwickeln und entfalten kann. Selbst die angstmachende und lebensbedrohende Dunkelheit wird von Ihm begrenzt und hat fortan die positive Aufgabe, als Raum der Ruhe, der Erholung und Erneuerung, dem Leben zu dienen. „Und er sah alles, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“
Gottes Kampf gegen den Unglauben an die erlösende Macht der Gewalt
Doch die Geschichte Israels mit seinem Gott ist eine Geschichte des Versagens, des Abfalls und der Sünde, aber ebenso der Barmherzigkeit Gottes und seiner bedingungslosen Liebe. Und so erfährt es auch der Prophet Ezechiel, Israel war aus dem eigenen Land vertrieben und unter die Völker zerstreut. Und warum? Gott selbst gibt die Antwort: Weil sie Blut vergossen im Land und das Land mit ihren Götzen befleckt haben. Es ist und bleibt der alte Unglaube an die rettende und erlösende Macht der Gewalt, der sich immer wieder über die Entscheidung und Erkenntnis Abrahams hinwegsetzt: Kein Mensch darf dem Gesetz geopfert werden!
Diesem Unglauben sieht sich auch Jesus konfrontiert, das römische Imperium hatte mit brutaler Gewalt Israel besetzt und hielt es unter Kontrolle. Auch damals sahen die Menschen nur zwei mögliche Wege, auf diese Gewalt zu reagieren: A) aus Feigheit und Angst sich zu unterwerfen, zu kollaborieren oder zu fliehen und B) zu rebellieren, selbst zur Waffe zu greifen und Gewalt anzuwenden. Jesus lehrt seine Jünger einen dritten, einen neuen Weg: einen Weg des Widerstands, der Nichtgewalt, einen Weg der Gewaltfreiheit und Liebe, die selbst den Feind einschließt, ein Weg des langen Atems, weil er der Weg Gottes ist. Kein leichter Weg, denn er erfordert die Bereitschaft, eher selbst Leid auf sich zu nehmen, als dem Anderen Leid zuzufügen.
So sagt es Jesus in allen Evangelien: „Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich.“ Und Jesus geht diesen Weg bis zum bitteren Ende am Kreuz und erst da merken seine Freunde: Das Kreuz ist nicht das Ende, sondern der Sieg des Lebens über den Tod. Mit der Erfahrung des geöffneten und leeren Grabes und des weggerollten Steins, wurden auch die Jüngerinnen und Jünger geöffnet für neue Begegnungen mit dem Auferstanden, wurde in ihnen die Bereitschaft geweckt, Ihm auf diesem Weg zu folgen. Die Teufelskreisläufe der Gewalt sind zerbrochen, die Liebe hat den Hass überwunden und die Angst ist einem tiefen inneren Frieden gewichen.
Neuanfang, neues Leben
Und wieder ist es Gott, der uns einen Neuanfang ermöglicht, wie damals zur Zeit des Propheten Ezechiel: „Ich gieße reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein. Ich reinige euch von aller Unreinheit und von all euren Götzen. Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch“.
Dieser neue Geist der Liebe und der Achtung vor allem Leben, ist uns in der Taufe eingepflanzt worden, es ist der Geist Jesu, der uns aus der Rolle des unterdrückten Sklaven oder des prekär entlohnten Knechtes herausholt und uns zu Söhnen und Töchtern Gottes macht, zu Erben seines Reiches. So haben wir es vorhin im Brief des Apostels Paulus an die Römer gehört: „So sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus“. Für die Sünde tot sein, heißt aber, nicht mehr empfänglich sein für die Kriegsrhetorik, für die Illusion der Götzen der Gewalt, für das Verteufeln des Gegners, den Hass und die Angst. Stattdessen sollen wir uns als Menschen begreifen, die für Gott leben, der das Leben selbst ist, alles Leben, so sind wir in Ihm auch mit Allem verbunden. Fratelli Tutti, alles Geschwister, wie Papst Franziskus es in seiner Enzyklika formulierte.
In diese geschwisterliche Verbundenheit nimmt uns Jesus hinein, wenn er das Brot bricht, dem Vater dankt und spricht: Mein Leib, der für euch hingegeben wird, mein Blut, das für euch vergossen wird. Brot und Wein – wie alle Materie – fleischgewordene Liebe Gottes, Einladung, Jesus auf dem Weg der Gewaltfreiheit und Liebe zu folgen, denn so sagt ER es uns zu: „Ich bin der Weg, Auferstehen und Leben.“
Martin Leitgöb (2000)