Der Glaubensweg eines Christen
Der Text des heutigen Evangeliums führt in zwei Richtungen. Einmal will uns der Evangelist Johannes einen Einblick in die Anfänge des öffentlichen Auftretens Jesu geben. Der Täufer am Jordan bereitet Jesus den Weg, indem er die Menschen zur Umkehr ruft und auf Jesus hinweist. Aus dem Jüngerkreis des Täufers kommen dann auch die ersten Vertrauten, die sich Jesus als Gefährten anschließen und später sein Werk fortsetzen.
Zum anderen bietet der Evangelist seinen Zuhörern eine Katechese an. Sie können dem Evangelientext den Werdegang und Glaubensweg eines Christen entnehmen.
Verfolgen wir diese Spur einmal anhand der Jünger, die Jesus folgten.
offen sein
Als erstes können wir beobachten: Die Jünger sind offen für das Religiöse. Sie machen sich auf und begeben sich in den Umkreis des Täufers, hören ihm zu, bedenken seine Worte. Sie hätten auch wie andere zuhause bleiben können, um im Üblichen und Gängigen wie bisher das Leben zu gestalten. Dass sie innehalten und sich mit ihrem Glauben auseinandersetzen, zeichnet sie aus, bringt sie auf den Weg religiöser Entwicklung und innerer Entfaltung.
sich annähern
Auf das Innehalten und Nachdenken folgt bei den Jüngern das sich Annähern an Jesus. Die Jünger hätten sich damit begnügen können, dass sie ja nicht gottlos sind. Sie glaubten schließlich längst daran, dass es einen Gott gibt und dass man sich diesem Gott anvertrauen kann. Wieder kann man sagen: Die Jünger hätten sich damit begnügen können, ohne gleich schlechte Menschen zu sein. Aber in ihrem grundsätzlichen Glauben an Gott bleiben die Jünger Suchende. Den Glauben ausschöpfen und gestalten ist ihr Ziel. So beenden sie ihren Aufbruch nicht im Hocken-Bleiben beim Täufer und im Kreis der Gläubigen um ihn, sondern vollziehen auch den weiteren Schritt, auf den sie durch den Täufer hingewiesen werden: Seht, dieser da ist das "Lamm Gottes"; ich, Johannes, bin nur sein Vorbote.
sich auf Neues einlassen
Schritt für Schritt fügen die Jünger ihrem Glauben Neues hinzu. Das sich immer neue Einlassen auf noch Ausstehendes verleiht ihrem schon vorhandenen Glauben zunehmend Tiefgang. Ihr Glaube wird verbindlicher, ihr Wesen vom Glauben her geprägter, ihr Denken und Handeln intensiver vom Glauben bestimmt. Mehr und mehr beginnen sie, begeistert zu glauben, konsequenter aus dem Glauben zu leben, mutiger und entschlossener für den Glauben einzutreten.
Die Jünger nachahmen
Johannes schreibt sein Evangelium natürlich mit der Absicht, dass die, die es lesen oder hören, sich mit den Jüngern vergleichen und sich von ihnen anstecken lassen, sie nachzuahmen. Das hieße: Unabhängig davon, wo ich im Glauben stehe, immer neu einmal nach der Erweiterung des Glaubens Ausschau halten, damit mein Glaube sich entwickelt und wächst.
Es wäre z.B. zu klären: Was sind unaufgebbare Fundamente des Glaubens? Wo müsste ich bisherige Vorstellungen im Glauben läutern, damit ich zu gut durchdachten und dem Evangelium Jesu entsprechenden Antworten für mein Leben finde? Welche Sicherungen kann ich einbauen, dass im Alltagsgeschehen mein Glaube nicht in der Luft hängt, sondern mein Denken und Handeln bestimmt oder wenigstens mitbestimmt?
Dieses Nachdenken, Suchen und Fragen käme dem Aufbrechen der Jünger zum Täufer am Jordan und dem sich Einlassen mit Jesus gleich.
sich an Jesus herantasten
Die Jünger damals mussten sich erst an Jesus herantasten. Sie tun das Klügste, was man tun kann: Sie gehen auf Tuchfühlung mit ihm. Die Jünger wollen nicht nur wissen, welche Ansichten der von Johannes als Lamm Gottes Bezeichnete hat und was er lehrt. Erleben wollen sie diesen Jesus in seinem Zuhause, im Umgang mit ihnen und damit in seiner Einstellung zu den Menschen. Jesu Charakter, sein Wesen, sein Leben aus dem Glauben wollen sie unter die Lupe nehmen, um sich ein Urteil über ihn bilden zu können.
Und dann kommt das Entscheidende und Beglückende. Sie können sich überzeugen, dass der Täufer richtig lag mit seinem Hinweis auf Jesus als den Messias.
Was suchen wir?
Die Klärung der Frage, ob Jesus wirklich der Messias ist, wird uns wahrscheinlich nicht bedrängen. Ich vermute, uns beschäftigt mehr die Frage: Wirkt der auferstandene Messias oder Gott in unser Leben hinein? Würde Jesus die Frage "Was sucht ihr?", die er den Jüngern gestellt hat, an uns richten, würden wir wohl kaum antworten: Herr, wo wohnst du? Ich glaube, wir würden eher zur Antwort geben: Wir suchen deine Hilfe, deine Unterstützung, deinen Trost, deinen Segen. Und weil es bei allem Glauben an Gott schwierig auszumachen ist, wann und wie Gott wirkt, hilft, beisteht, stellt sich uns immer wieder einmal die Fragen: Ist unser Vertrauen, das wir in Gott setzen, berechtigt oder nur Einbildung? Aus der Praxis wissen wir: Rein gedanklich und durch Diskussionen lässt sich darauf eine sichere, nicht mehr anfechtbare Antwort nicht geben.
Den Weg Jesu mitgehen
Wo wir im Bereich des Glaubens in der gedanklichen Beweisführung nicht weiter kommen, sind wir allerdings noch nicht am Ende. Die Jünger von damals zeigen einen Weg auf, den auch wir einschlagen können. Sie bleiben nicht nur an jenem Tag der Erstbegegnung bei Jesus; sie gehen künftig alle Wege des Herrn an seiner Seite mit.
Der Weg an der Seite Jesu war kein Spaziergang. Er enthielt Frohes und Schweres, ließ die Jünger zweifeln und dann wieder fassungslos staunen. Aber nach und nach formte der gemeinsame Weg aus den Jüngern Menschen, die ihr Einssein mit Jesus - ob als Wanderprediger oder Auferstandener - nicht mehr losließ. Durch Christus wussten sie sich getragen, gestärkt, aufgefangen. Zu dieser Sicherheit, die sie sich aus den Erfahrungen durch das Unterwegssein mit Jesus erwarben, wären die Jünger niemals vorgestoßen über das Denken und Diskutieren. Sicherheit im Glauben erwächst aus dem sich Einlassen auf Gott bzw. Jesus.
Auch für uns ist dies der Weg. Über das Denken können wir uns zwar schon relativ nah an Gott herantasten, aber intensiv spüren und erfahren werden wir das Wirken Gottes und seines Sohnes erst, wenn wir uns mit ihm auf den Weg machen und uns treu - ohne abzuweichen - an seiner Seite halten. Und dies umso mehr, je schwieriger der Weg wird.
Lassen wir uns von Johannes einladen, den Weg der ersten Jünger auch heute zu gehen. Wie die Jünger von damals will Jesus auch uns zu Menschen formen, die im Glauben sicher sind, vor allem aber will er uns zu liebenden Menschen gestalten, die es als Glück empfinden, dass ihr Herz sie lenkt und leitet. Und wer sich der Liebe verschrieben hat, wird Gottes Hilfe, seinen Beistand und seinen Trost immer wieder einmal handgreiflich spüren und erfahren.