Je--der--mann!
Die neue Inszenierung der Salzburger Festspiele lässt niemanden kalt. Die beeindruckende Atmosphäre am Domplatz bringt in die richtige Stimmung und zahlreiche Regie-Einfälle regen zum Nachdenken an. Jedoch wahrscheinlich berührt mehr das perfekt inszenierte Event als der sperrige, oft antiquiert empfundene Text des Stücks. - Worum geht es darin eigentlich?
Ein wohlhabender Lebemann will einen Lustgarten für seine Freundin erwerben. Auf dem Weg dorthin trifft er seine Mutter, einen armen Nachbarn und einen Schuldner, die er allesamt rhetorisch gekonnt abspeist. Es wird ein Fest gefeiert, zu dem auch der Tod erscheint. Dieser gewährt Jedermann eine einstündige Frist, in der er „sein Schuldbuch in Ordnung bringen“ kann. Er soll sich auch einen Begleiter suchen, jedoch seine Geliebte, sein Freund, seine Cousins, sein Gesinde und sein als Mammon personifiziertes Geld versagen ihm diesen Dienst. Nur die anfangs schwachen Guten Werke und der Glaube bieten sich an. Jedermann besinnt sich, bekehrt sich, dies alles zugegebenermaßen recht flott, sodass der etwas zu spät gekommene Teufel klein beigeben muss und Jedermann in den Himmel eingeht.
Warum will diesen Jedermann der Teufel holen? Jedermann hat weder Kinder missbraucht, noch gefoltert, Bomben geworfen, mit Drogen gedealt oder jemanden erschossen. Man würde diesen Jedermann wohl nicht einmal als „Kleinkriminellen“ bezeichnen. Der Teufel versucht es halt bei jedem und zieht – gottlob – meist den Kürzeren. Eigentlich ist Jedermann einer wie jeder Mann oder jede Frau, ein »Mensch wie du und ich«, der gar nicht so übermäßig reich ist, sondern der auf das Geld schaut, Bettlern in der Regel nichts gibt, seinen Schuldnern gegenüber auf die Gerechtigkeit pocht, zähneknirschend seine Steuern zahlt und Sorge trägt, dass sein Geld gut angelegt ist.
Mein Geld muss für mich werken und laufen
mit Tod und Teufel hart sich raufen,
weit reisen und auf Zins ausliegen,
Damit ich soll, was mir zusteht, kriegen.
Jedermann ist nicht boshaft, er hat nur vergessen, dass er von dem Glück, das er hat, anderen abgeben könnte. Er ist ein typischer Neoliberaler: Wer arm ist, ist selber schuld. Er hätte sich eben mehr bemühen müssen. - Ach, hätte er?
Ein Leben auf Kosten der Armen
Die Ursachen für Armut sind vielfältig: Steigende Ausgaben bei gleich bleibendem Einkommen, Verlust der Arbeit, Unfall oder Krankheit, Verlust des Partners (etwa durch Tod oder Scheidung), gescheiterte Existenzgründung, Mangel an Bildung oder Überschuldung. Diese »Schuldenfalle« ist oft auch die Folge der anderen Gründe.
Dazu kommen in Entwicklungs- und Schwellenländern noch Ursachen, für die wir alle verantwortlich sind. So etwa steht der Fleischkonsum von Tieren aus Massenhaltung in Europa und den USA in direkten Zusammenhang mit der Armut großer Bevölkerungsteile der Soja exportierenden Länder. Ein ähnlich ausbeuterischer Kolonialismus existiert bei Palmöl, Baumwolle, Biosprit, Fleece-Jacken, um nur einige Beispiele zu nennen.
Der Untertitel des Stücks lautet „Das Sterben des reichen Mannes“. Er könnte auch „Das Leben auf Kosten des armen Mannes“ lauten.
Ohne Kredit wäre vieles unmöglich: Kaum jemand baut ein Haus ohne Kredit, viele bezahlen mit Kreditkarten und auch Ratenkäufe gehören zur Normalität vieler Haushalte. Aber die damit üblicherweise verbundenen Zinsen sind eines der Hauptprobleme der modernen Wirtschaft.
Wer hieß dich Geld auf Zinsen nehmen?
Nun hast du den gerechten Lohn.
Mein Geld weiß nit von dir noch mir
Und kennt kein Ansehen der Person.
Verstrichne Zeit, verfallner Tag,
Gegen die bring deine Klag.
Zinsverbot?
„Wer hieß dich Geld auf Zinsen nehmen?“ – dies ist purer Zynismus. Ja, lieber Jedermann, hättest du ihm auch einen zinsenlosen Kredit gewährt? Wohl kaum. Wer tut das schon? Aber warum eigentlich nicht?
Im Buch Exodus steht „Wenn du Geld verleihst an einen aus meinem Volk, an einen Armen neben dir, so sollst du an ihm nicht wie ein Wucherer handeln; du sollst keinerlei Zinsen von ihm nehmen.“
Obwohl hier Notkredite gemeint sind, also das Geldverleihen an Notleidende, die nicht durch Zinsen in die Verarmung getrieben werden sollen, entstand daraus ein ursprünglich nur für Kleriker geltendes, aber dann im 12. Jahrhundert auf alle Christen ausgeweitetes, allgemeines Zinsverbot. Dieses Verbot wurde erst 1830 aufgehoben. Durch Zinsen wird dem Geld mehr Bedeutung gegeben, als es eigentlich hat. Geld wurde erfunden, um den Tausch-Handel zu erleichtern.
Nimm die Belehrung von mir an
Das war ein weiser und hoher Mann
Der uns das Geld ersonnen hat,
An niederen Tauschens und Kramens statt
Dadurch ist unsere ganze Welt
In ein höher Ansehen gestellt
Und jeder Mensch in seinem Bereich
Schier einer kleinen Gottheit gleich.
Gar vieles zieht er sich herbei
Und ohn viel Aufsehen und Geschrei
Beherrscht er abertausend Händ,
Ist allerwegen ein Regent.
Da ist kein Ding zu hoch noch fest,
Das sich um Geld nicht kaufen lässt.
Geld gewinnt seinen Wert ausschließlich als Äquivalent für Arbeit und die in Gütern steckende Arbeit. Durch Zinsen jedoch vermehrt sich das Geld scheinbar aus sich heraus. Tatsächlich gibt es heute bereits mehr als 20 Mal mehr Geld als man Waren dafür kaufen könnte. Durch Zinsen entstehen Reichtum – und Armut. Reich werden nur einige wenige, arm jedoch viele.
Da die Superreichen gigantische Zinsgewinne für ihr Vermögen einstreichen und die breite Masse diese erarbeiten muss, wird der Großteil der Bevölkerung immer ärmer. Jeder, der auf hohe Bankzinsen schielt, trägt dazu bei.
Am Sonntag vor zwei Wochen hörten wir als letzten Satz der Evangelienstelle „Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.“
Ein Anfang könnte sein, auf Zinsen zu verzichten.
(Randbemerkung: Eigentlich müsste man sogar eine Geld-Nutzungsgebühr bezahlen. Denn Geld wird uns von der Zentralbank als Mittel zur Handelserleichterung zur Verfügung gestellt, nicht damit wir es als Privateigentum betrachten können.)
Eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes
Jedermann ist ein Modell des modernen Menschen. Sein Umgang mit den Armen und sein Umgang mit dem Geld machen auch ihn zur Zielscheibe des Propheten Amos. Amos wirkte im Jahr 760 vor Christus im Nordreich Israel. Er übt scharfe Kritik an dem herrschenden Wirtschaftssystem, das die Armen ausbeutet und benachteiligt. Die Reichen leben im Überfluss von den Gütern, die sie den Armen wegnehmen.
Hört dieses Wort, die ihr die Schwachen verfolgt und die Armen im Land unterdrückt.
Ihr sagt:
Wir wollen auch am 8. Dezember Weihnachtseinkäufe machen.
Wir wollen auch an Sonn- und Feiertagen Handel treiben.
Wir wollen „more for less“, weil Geiz geil ist und das außerdem der Hausverstand sagt.
Wir wollen kriegen, was uns zusteht.
Wir wollen Schnäppchen.
Wir wollen hohe Zinsen und hohe Renditen.
Wir lassen in Billiglohnländern produzieren, damit wir unseren Profit maximieren können.
Wir wollen mit Geld die Hilflosen kaufen, für ein paar T-Shirts die Armen.
Sogar unseren Müll verkaufen wir in die Dritte Welt.
Ich schwöre euch: So kann es nicht weitergehen.
Es braucht eine Abkehr von Raubtierkapitalismus, vom Wahn des unbedingten und grenzenlosen Wirtschaftswachstums. Wachstumszwang ist Krebs, er zerstört die Umwelt und die Menschen.
Es braucht eine bessere, gerechtere Verteilung des Wohlstands.
Es braucht eine Mindestsicherung, die wirklich zum Leben reicht
und die auch alle bekommen, die sie brauchen.
Es braucht eine Abkehr vom Schauen auf den eigenen Vorteil.
Es braucht Konsumenten, die nicht nur dort einkaufen, wo es am billigsten ist.
Es braucht Menschen, welche die Stimme erheben
und sich für eine bessere Armutsbekämpfungs- und Verteilungspolitik einsetzen.
Denn du bist nicht schuld daran, dass die Welt so ist, wie sie ist.
Aber du bist daran schuld, wenn sie so bleibt.